Der Denker als Grenzgänger

Leo Koflers Philosophie der Praxis in der Betrachtung von Christoph Jünke

Von Werner JungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Werner Jung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das neue Buch des Historikers und Publizisten Christoph Jünke, der 2007 mit einer opulenten Monographie über Leo Kofler auf sich aufmerksam gemacht hat, versteht sich als „Wiederholung und Vertiefung zugleich.“ Überflüssig ist ein solches Unternehmen schon deshalb nicht, weil der Marxist Kofler, wie sein Biograph Jünke, der auch entscheidend an der Gründung der Kofler-Gesellschaft und an deren Wirken seit vielen Jahren beteiligt ist, zu Recht in einer Vielzahl von Aufsätzen, Essays und Artikeln immer wieder feststellt, zwar vereinzelt gewürdigt, selten aber umfassend auf dem Hintergrund linkssozialistischer, gar marxistischer Diskurse diskutiert worden ist. Einzig wohl noch hat Ernst Bloch am Ende seines Lebens Leo Kofler seine Aufmerksamkeit gewidmet und darauf hingewiesen, daß Koflers Denken – ganz ähnlich wie Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewußtsein – darauf gerichtet gewesen ist, die marxistische Dialektik wiederzubeleben. Genau hierauf zielen nun die verschiedenen Beiträge in Jünkes neuem Buch ab, dessen Perspektive dahin geht, Koflers Arbeiten als selbständige Beiträge und Kofler selbst als gewichtige Stimme im Platzkonzert dessen, was man als ‚pluralen‘ (Haug) bzw. ‚westlichen‘ (Anderson) Marxismus wird ansprechen dürfen, wahrzunehmen – und dies nicht etwa aus bloß historisch-historistischen Gründen, sondern zugleich unter systematischen Gesichtspunkten, die erlauben, Kofler in aktuelle Diskussionszusammenhänge einzubringen und einzubinden.

Der mit der Biographie Koflers nicht so vertraute Leser möge, so jedenfalls der Eindruck des Rezensenten, mit dem achten und letzten Kapitel des Buches beginnen, das die verschiedenen biographischen Stationen und damit auch intellektuellen Entwicklungsstufen dieses von Jünke als „Grenzgänger“ bezeichneten Denkers abschreitet: von den Anfängen als Adler-Schüler im ‚roten Wien‘ der 20er Jahre über die Faschismus-Erfahrung, das kurzfristige Impromptu in der SED, schließlich die Jahrzehnte währende intellektuelle Schattenexistenz in der BRD mit einer partiellen Zur-Kenntnisnahme durch die 68er und das späte öffentliche Wirken an der Bochumer Universität. An dieser Universität, teilt Jünke in einer kleinen Fußnote seinen Lesern mit, hat er dann auch Kofler kennengelernt: „Ich war zu seinen Lebzeiten definitiv kein Schüler Koflers, sondern stand ihm ausgesprochen kritisch gegenüber – was mich nicht gehindert hat, mich für ihn und für die Auseinandersetzung mit seinem Werk in einer entsprechenden studentischen Arbeitsgruppe zu engagieren und mich in seinen Vorlesungen und durch seine Schriften weiterzubilden. Erst im Laufe meiner intensiven Arbeit am Sozialistischen Strandgut habe ich ihn überwiegend schätzen und auch ein wenig lieben gelernt.“

In den ersten fünf Kapiteln stellt Jünke ‚seinen‘ Kofler vor und versucht dabei zugleich immer, neben dem systematischen Kern der Theorie auch die Anschlußfähigkeit herauszustellen. Das gilt ebenso – und hier können natürlich nur einzelne Momente aufgelistet werden – für die entscheidende axiomatische Stellung, die Kofler der Bewußtseinsfrage zukommen läßt, damit zusammenhängend dann für den Klassenbegriff, den er nicht nur von Max Adler, sondern gewiß auch über Lukács von Hegel adaptiert hat, wie auch für die Kritik am Stalinismus, für Koflers sich parallel zur Entwicklung der Neuen Linken herausbildenden Begriff der „progressiven Elite“, nicht zuletzt dann für sein Votum für eine marxistische Anthropologie und für eine an der Ethik orientierte Ästhetik. In allen Fragen erweist sich Jünke nicht nur als profunder Kenner ‚seines‘ marxistischen Philosophen, Soziologen und Ästhetikers Kofler, sondern auch als kompetenter und streitbarer Geist, was sich insbesondere in den beiden Kapiteln seines Buches zeigt, die sich mit der reaktionären Aneignung Koflers einerseits (durch Pitsch und Dornu, Kap. 6) bzw. mit der kommunistischen (Herab-)Würdigung andererseits (durch Holz oder Seppmann, Kap. 7) in extenso beschäftigen.

Man wird gewiß den einen oder anderen Punkt in Jünkes Darstellung kritisieren können – etwa im Blick auf das (mindestens in dieser Einführung) nicht so recht einleuchtende Verhältnis zum marxistischen Übervater Lukács –, die Bedeutung freilich von Jünkes Arbeiten wird dies kaum schmälern.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Christoph Jünke: Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Einführung in sein Denken.
LAIKA-Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg 2015.
231 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783944233338

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