Wie komme ich dazu, aus etwas Worte zu machen?

Eine poetologische Selbstreflexion: Elke Erb kommentiert ihre eigenen Gedichte

Von Nina JanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Janz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Walter Benjamin fragt in seinem berühmten Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ (1921), ob Dichtung generell übersetzbar sei und in welcher Form eine solche Übertragung möglich wird. Die Hauptaufgabe des Übersetzers muss dabei sein, so Benjamin, insbesondere das „Unfassbare, Geheimnisvolle, ‚Dichterische‘“, also alles außer der eigentlichen Mitteilung, in einer Dichtung wiederzugeben; er muss sozusagen ‚zwischen den Zeilen lesen‘.

Wie die praktische Umsetzung dieses Konzepts gelingen kann, führt die in Berlin lebende Lyrikerin Elke Erb in dem neu erschienenen Band Gedichte und Kommentare vor. Gedichte, die zwischen 2003 und 2013 entstanden sind und bereits in vier anderen Bänden veröffentlicht wurden, werden von der Autorin selbst zwecks einer Übersetzung ins Slowenische kommentiert; stets erscheint das Gedicht auf der linken Seite, der entsprechende Kommentar auf der rechten. Der Adressat der Kommentare ist daher ein potenzieller Übersetzer, dem genau dieses ‚Geheimnisvolle‘ sichtbar gemacht werden soll.

Doch unabhängig vom Adressaten schenkt Elke Erb durch diese, eigentlich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehenen Kommentare auf eindrucksvolle Weise Einblicke in die Arbeit des Übersetzens (sie selbst übersetzt vorrangig aus dem Russischen) und in ihr eigenes lyrisches Schreiben. So zeigt sich beispielsweise, wie einfühlsam und sensibel ihr Sprachempfinden ist, wenn sie den im Grunde selbsterklärenden Vers „Muß Koffer packen. Stehe deshalb gekränkt“ um den Kommentar „wenn ich schriebe: stehe deshalb gekränkt da, wäre das Stehen (samt Kränkung) weniger vorgängig, d.h. weniger wirklich“ ergänzt. Das Fehlen des Wortes „da“ wird für sie damit zur exakten Beschreibung des Augenblicklichen und Flüchtigen der Wirklichkeit, eine Feinheit, die es offenbar festzuhalten und aufzudecken gilt.

Die Wirksamkeit kleinster sprachlicher Nuancen legt Elke Erb dem Leser auch in dem Gedicht vom 6.2.05 nahe. Die beinahe fragmentarisch wirkenden Verse „sollte ich / sie sterben, leiden, verreisen, / sollte ich / die Katze vergessen“ erläutert sie minutiös „der Konjunktiv allein, ohne das wenn, bewirkt eine Intensivierung. […] Das vor dem wiederholten sollte ich eingeschobene sie sterben, leiden, verreisen, intensiviert konkreter was geschieht“. Ebenso konkret wird sie in dem Kommentar zum „Report“: „Es wäre gut, wenn die Übersetzung auch Report sagt. Der Ausdruck ist distanzierend, eine Nuance ironisch“. Zuweilen schlägt sie sogar selbst slowenische Wörter vor, durch die sich das Gesagte am eindrucksvollsten darstellen ließe.

Diese scharfsinnige Beobachtungsgabe durchzieht den gesamten Band und eröffnet so, wie Mitherausgeber Jan Kuhlbrodt im Nachwort zur Konzeption des Bandes anmerkt, auf eindrückliche Art und Weise den „Dichtraum unter und neben ihren Texten und legt ihn in den Kommentaren frei“. 

Doch auch selbstkritische Töne werden in dem Kommentar laut und lassen den Leser Elke Erbs Verfahrensweisen des Lesens, Wiederlesens und Verstehens (nicht nur ihrer eigenen Werke) erahnen. Sie thematisiert in dem Kommentar zu Seltsam, wie schwierig die Überarbeitung des 2006 entstandenen Gedichtes für sie war: „Während ich ihn im Sommer 2013 bearbeitete, saß ich davor wie noch vor keinem, wie eine aufgerichtete Schlange, so seltsam fremd“. An anderer Stelle erkennt sie selbstkritisch „ach, schon wieder ein Wortspiel! Vielleicht ist es gar nicht so nötig. Wenn man übersetzt: Also muß ich gehorchen – müßte es doch auch wirken“.

Dass Elke Erbs Gedichte besonders dicht miteinander verwoben sind, veranschaulicht vor dem ersten Gedicht bereits die grafische Gestaltung des Buchcover von Miriam Zedelius, auf dem ein Konvolut von Sätzen und Wörtern aus Erbs Werken immer wieder übereinander gedruckt wurde, bis lediglich eine schwarze Fläche zurückblieb. Der Leser kann diese Dichte in der reinen Gedichtlektüre beispielsweise in häufig wiederkehrenden Motiven und Metaphern finden, sich aber auch durch die verbindende Lektüre der Kommentare auf weiterführende Verbindungen und Gedankengänge der Lyrikerin einlassen: „2010 hatte ich mich noch mit dem Baum identifiziert, aber da war es Herbst (S.o. das Gedicht „Oktober“, Seite 158). Das Gedicht ist im April 2013 geschrieben“.

Letztlich besteht die größte Leistung dieses eindrucksvoll konzipierten Bandes in dem unwiderstehlichen Reiz, sich als Leser immer wieder neu zur Re-Lektüre einladen zu lassen, um neue, spannende Querverbindungen zu entdecken, die Elke Erb zwischen ihren Texten schafft. Dabei gelingt es der Lyrikerin stets auf herausragende Weise, geschickt für die Herausforderung des Übersetzens und gleichzeitig durch hochkomplexe poetologische Selbstreflexionen für den Facetten- und Bedeutungsreichtum von Sprache zu sensibilisieren.

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Elke Erb: Gedichte und Kommentare.
Poetenladen, Leipzig 2016.
200 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783940691729

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