Augenblick verweile doch? Lieber nicht!

Sabine Grubers (Kitsch)Roman „Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal ärgert man sich über ein Buch. Ganz besonders ärgerlich wird es, wenn man danach das Gefühl hat, dass man seine investierte Lebenszeit nicht mehr zurückbekommt. Und noch ärgerlicher wird es, wenn man ein Buch liest, dem ein interessantes Grundthema zugrundeliegt, welches aber dann zu einem leicht verdaubaren Kitsch à la Hollywood verkommt. Das ist der Fall bei Sabine Grubers neuem Roman Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. Dabei ist die Idee von einem Kriegsfotografen, der den Krieg hinter sich lässt, eigentlich eine interessante Idee, die auch recht gesellschaftskritisch hätte geraten können. Ist sie aber nicht, sie bedient sich eher grausigen Filmklischees, was nicht hätte sein müssen.

Bruno Daldossi ist als ehemaliger Kriegsfotograf in fast jedem Krisen- und Kriegsgebiet der Neuzeit gewesen. Er hat im Irakkrieg gesehen, wie Menschen beim lebendigen Leib verbrannt wurden und in Tschetschenien hat sich ein junges Mädchen für ihn geopfert, damit er nicht erschossen wird. Entbehrungen, Leid und Tod sind ein fester Bestandteil in seinem Leben geworden. Aber jetzt ist er in Rente gegangen, damit er den Lebensabend mit seiner Freundin Marlis, die Zoologin ist und sich um verhaltensgestörte Bären kümmert, verbringen kann. Marlis hat aber auf Daldossi keine Lust mehr und brennt mit einem jungen, hippen Lehrer aus Venedig durch, weil der sich für die verhaltensgestörten Bären interessiert, die Daldossi egal sind, was wiederum Marlis ärgert. Ihre Flucht hat weniger damit zu tun, dass Daldossi ein alter Mann ist, der ständig betrunken ist und mit jeder Frau, die ihm begegnet, ins Bett geht. Wenn keine in der Nähe ist, dann holt er sich halt eine ‚Professionelle‘, die ganz nebenbei auch ein Flüchtling ist und zur Prostitution gezwungen wird, indem man sie mit Drogen und Alkohol gefügig gemacht hat – und natürlich hilft ihr Daldossi mit Geld aus. Ein alter Säufer, der junge Frauen vögelt? Das kennt man doch irgendwoher. Das hat doch der Mann mit der braunen Aktentasche, Charles Bukowski, salonfähig gemacht. Bei Bukowski tauchen auch immer wieder diese heruntergekommen Männer auf, die mit ihrem Leben nicht mehr klarkommen und sich in Sex und Alkohol flüchten. Doch seine Romane haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber Grubers: In ihnen wird der Sex viel besser beschrieben. Gruber lässt Daldossi dauergeil sein und wenn es dann zum Sex kommt, heißt es bei ihr einfach nur: vögeln, vögeln und auch mal bumsen. Sprachliche Varianz Fehlanzeige. Gruber besitzt nur ein kleines sprachliches Repertoire, dass sie bis zum Exodus ausreizt, und auch sonst hat man das Gefühl, dass sich auf jeder Seite das Gleiche ereignet. Denn wenn Daldossi nicht gerade vögelt oder säuft, dann schmachtet er Marlis hinterher, die aber keine Lust mehr hat und das auch mehr als einmal Daldossi zu verstehen gibt. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, dauernd anzurufen oder eine SMS zu schreiben oder auf seinem Handy nachzuschauen, ob sie nicht doch geschrieben hat und so weiter. Nicht nur bei der sprachlichen Varianz sind Mängel festzustellen, sondern auch in der Handlungsebene: Saufen – Vögeln – Marlis stalken – Saufen – über das Vögeln nachdenken – mal wieder Marlis stalken – Saufen – jetzt mal über Thomas Bernhard herziehen – so dreht es sich im Kreis. Dabei fragt man sich, warum Gruber Thomas Bernhard namentlich und auf so plumpe Weise vorführen muss, dass hätte auch subtiler geschehen können: Schultheiß, der Kollege von Daldossi, der für die Texte zu den Bildern von Daldossi verantwortlich war, zitiert gerne Bernhard namentlich und wird von den anderen Figuren dafür gescholten, denn keiner mag den Bernhard. Der österreichische Autor hat zwar auch immer das Gleiche in seinen Romanen geschrieben, aber die waren dennoch variantenreich und auch höchst unterhaltsam, ein wirkliches Kunststück, welches Gruber nicht beherrscht.

Wurde schon gesagt, dass Daldossi seine Marlis über alles liebt und sie unbedingt zurück will? Denn Marlis ist die einzige Frau in seinem Leben, an die er sich klammern kann, die ihn seine Kriegstraumata vergessen lässt. Er säuft ja nur, um endlich vergessen zu können. Im Krieg ist immer ein Stück von ihm zurückgeblieben, sodass er jetzt in der Rente als Person beinahe nicht mehr zu fassen ist und nur Marlis kann ihn verstehen, aber genau jetzt verlässt sie ihn. Er reist ihr nach, um sie zurückzuerobern, aber sie will nicht mehr. Und eigentlich will er als alter War-Dog kein Zivilist sein, sondern zurück in den Krieg. Das klingt nach einem billigen Kriegsfilm aus Hollywood, der die ganz großen Gefühle feiert. Und so liest sich auch der Roman: Gruber nimmt einfach die bekannten Strukturen aus diesen Kitsch-Filmen, ohne diese in irgendeiner Art und Weise weiterzubearbeiten. Neben der Varianz vermisst man schmerzlich auch die Originalität. Und ebenso die Schilderungen der Kriegserlebnisse wirken wie aus der Retorte, man kennt sie aus genügend Filmen. Der Roman kommt einfach viele Jahre zu spät, man hat sich an diesen Bildern bereits sattgesehen.

Zwischendrin trifft Daldossi übrigens auf die Ex-Frau von Schultheiß, die Johanna heißt und die total auf Daldossi steht. Die ist gerade nach Lampedusa gereist, um eine Reportage über weibliche Flüchtlinge zu schreiben. Johanna entpuppt sich dabei als ein Abziehbild von Daldossi. So wie dieser die ganze Zeit über Marlis trauert, trauert Johanna über ihre tote Mutter. Beide Figuren sind in ihrem Schmerz, den Gruber auf fast jeder Seite zelebriert, dermaßen nervig, dass man als Leser am liebsten beide Figuren schütteln würde. Eine Figurenentwicklung ist nicht festzustellen. Daldossi und Johanna können und wollen nicht loslassen und verharren in der Stasis der Trauer und des Selbstmitleids.

Die angesprochene Flüchtlingsproblematik wird im Roman nur angedeutet, dabei hätte Gruber dieses Thema kritisch in ihrem Roman einfließen lassen können, was sie aber nicht getan hat. Vielmehr werden dem Leser bereits bekannte Fakten geboten, die auf eine Power-Point-Folie passen. Man hat das Gefühl, dass die Flüchtlingsthematik nur als Aufhänger gewählt wurde, damit das Buch irgendwie aktuell wirkt. Neues darüber liest man hier nicht, vielmehr soll das Thema wohl nur betroffen machen, aber dies geht gehörig daneben. Daldossi oder das Leben des Augeblicks hat schon was von einem Konjunkturroman: Die Flüchtlingsproblematik, wie sie Gruber darstellt, verkommt zu etwas beliebigem und hat im Roman selber keine Funktion. Ob nun Johanna diese Reportage schreiben soll oder nicht oder ob sie über die schönste Sehenswürdigkeiten in Italien schreibt, es ist vollkommen egal, es ist völlig beliebig, weil es eben keine Funktion im Roman erfüllt. Das Treffen von Johanna und Daldossi hätte auch in Spanien oder Norwegen stattfinden können. So bleibt die Flüchtlingsthematik nur ein flüchtiges Thema.

Nur an ganz seltenen Stellen gewinnt der Roman an Tiefe, dann nämlich, wenn Daldossi über seinen Beruf nachdenkt: Was und wann darf man fotografieren? Hat man als Beobachter auch die Pflicht, einzugreifen? Was darf man auf den Bildern sehen und kann man die Bilder den Menschen in der sicheren Heimat überhaupt zumuten? Geht man über eine ethische und moralische Grenze, wenn man das Elend der Anderen dokumentiert? Das sind interessante Fragen, die zum Nachdenken anregen, die aber im selben Moment, in dem sie gestellt werden, durch das Gejammer von Daldossi überlagert werden und nur bloße Andeutungen bleiben. Dabei ist es mehr als paradox, dass Daldossi fordert, dass man von der Oberfläche stets in die Tiefe der Dinge vordringen muss, um sie verstehen zu können. Aber jener Forderung wird Gruber selbst nicht gerecht – es ist und bleibt alles reine Oberfläche im Roman, der sich aus längst Bekanntem und klischeehaften Vorstellungen zusammensetzt, und der zu einer nervigen Liebesgeschichte verkommt, die recht einseitig ist. Augenblick verweile doch! Aber lieber nicht bei diesem Roman!

Titelbild

Sabine Gruber: Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
315 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783406697401

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