Geschichtsklärung

Andrea Maria Schenkel schwenkt mit „Als die Liebe endlich war“ ins konventionelle Erzählen – und bleibt sich doch treu

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihre großen Erfolge hat Andrea Maria Schenkel im Krimigenre gehabt, sie hat dabei auch das Genre selbst ein wenig umgekrempelt. Das ist einem Erzählprinzip zu verdanken, in dem die faktische Überlieferung einerseits, die Lücken zwischen den erzählten Teilrekonstruktionen andererseits eine spezifische Spannung erzeugen, die in der Tat als „Spannung“ gelesen worden ist. Denn große Teile der Rekonstruktion blieben den Lesern vorbehalten, die nie sicher sein konnten, ob sie denn richtig lagen.

Diese Unschärfe macht die Qualität von Schenkels Texten aus, und ist womöglich auch der Grund, warum sie so schnell und unerwartet Erfolg hatte. Über eine Million Mal hat sich ihr Erstling Tannöd verkauft. Eine immer noch erstaunliche Geschichte und ein verdienter Erfolg.

Mit denselben Mitteln einen solchen Erfolg wiederholen zu wollen, ist wahrscheinlich eine spezifische Form der Überheblichkeit. Aber Schenkel hat sich nicht vorschnell von ihrem Erzählprinzip verabschieden wollen – und vielleicht auch können – und wurde dafür mit weiterem Erfolg belohnt. Kalteis belegt das, wenngleich der Megaseller danach ausgeblieben ist.

Mit Als die Liebe endlich war hat Schenkel nun einen entscheidenden Schritt getan, der sie vielleicht endlich zur ‚normalen‘ Schriftstellerin macht. Ob sie damit eine gute bleiben wird, muss sich zeigen. In jedem Fall ist zu respektieren, dass sie sich mit diesem Buch neu erfindet. Das hätte sie nicht gemusst, wenngleich es angesichts dessen, dass ihre letzten Bücher – vielleicht auch wegen des Verlagswechsels – ein wenig untergetaucht sind, sinnvoll erscheint.

Im Wesentlichen erzählt die Autorin in Als die Liebe endlich war die Vorgeschichte eines in den USA lebenden Paares, Carl und Emma. Beide sind aus Deutschland ausgewandert, Emma nach dem Krieg. Carl hingegen ist bereits Ende der 1930er-Jahre als Sohn eines jüdischen Vaters mit der Mutter und seiner Schwester Erna nach Shanghai geflohen. Mit dem Kriegsende kam er schließlich in die USA.

Schenkel fokussiert von Beginn an kaum den Punkt, an dem die bisherige gemeinsame Geschichte von Carl und Emma zu implodieren begann. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Reise der exilierten kleinen Familie und auf die Geschichte einer jungen Frau in Deutschland während der Nazizeit.

Den jungen Carl und die junge Erna mit dem alten Paar Carl und Emma zu verbinden, ist wahrlich keine große Leistung. Allerdings ist dafür bei Emma der Identitätswechsel von Erna zu Emma nachzuvollziehen, was schließlich auch relativ einfach möglich ist – wenigstens für Leser. Anders hingegen für Carl: Für den alten Mann ist die Entdeckung, dass seine Frau eine Vergangenheit hat, die sie ihm über mehr als 60 Jahre vorenthalten hat, ein Schock. Carl ist nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Zu sehr nimmt er dem Land und auch seinem Vater übel, der – obwohl bedrohter als Frau und Kinder – die Reise ins Exil nicht mitangetreten ist, ihn vertrieben zu haben. Und nun stellt er fest, dass Emma nicht Emma ist: Doch wer ist sie dann?

Der Text füllt diese Lücke mit einer Geschichte, derjenigen Ernas, die nach München kommt und bei einer Tante arbeitet, die unter anderem Abtreibungen vornimmt und einer Freundin hilft, an Kinder zu kommen. Sie arbeitet bei deren Mann als Assistentin mit, was erst dadurch fatal wird, dass er Menschenversuche im KZ Dachau betreibt. Allerdings spielt das in den Erzählungen Schenkels kaum eine Rolle. Nicht also die menschenverachtenden Experimente skandalisieren Ernas Biografie, sondern die Beiläufigkeit, mit der sie in die Überlebensversuche einer jungen Frau im Deutschland der 1930er-Jahre aufgehen. Keine humanitäre Katastrophe, kein Leid, sondern ein hoher Grad an Normalität zeichnen sie aus.

Und dennoch ist die Beziehung zwischen Carl und Emma dadurch vergiftet und zerstört. So sehr, dass der greise Carl schließlich einen Schlaganfall erleidet und darniederliegt, zu kaum mehr fähig und willens, als noch seine Frage an Emma zu stellen: „Wer bist Du?“

Das wird man auch aus den umfangreichen Erzählrückblicken, die das Gros des Romans ausmachen, nicht vollständig klären können. Dennoch rührt diese Frage an den neuralgischen Punkt einer Jahrzehnte dauernden Beziehung, die nicht zuletzt auf Vertrauen basiert.

Hannah Arendt hat vor vielen Jahren die „Banalität des Bösen“ am Beispiel Adolf Eichmanns zu erklären versucht. Hier, in Schenkels Roman, wird sie zur Banalität selbst abgerüstet. Weder Emma noch Erna sind böse, sie sind nur diejenigen, die sie nun einmal sind. Für Carl, der sich zum Judentum bekannt hat, ist dies freilich nicht hinnehmbar, mithin desaströs.

Titelbild

Andrea Maria Schenkel: Als die Liebe endlich war. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
382 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455403824

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