Von Mischlingen und Störenfrieden

Björn Molls Hybridisierung des „Zauberbergs“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Thomas Manns Roman Der Zauberberg bietet Björn Moll in seinem Buch Störenfriede eine Lektüre unter dem Blickwinkel von Hybridisierungsprozessen an. Wirkt dieser Zugang im ersten Moment sperrig, so eröffnet Molls Analyse einige neue Sichtweisen auf Thomas Manns dritten Roman, den er 1924 fertigstellte. Das Buch Störenfriede. Poetik der Hybridisierung in Thomas Mann Zauberberg basiert auf Molls Dissertationsarbeit und ist als 50. Band der Reihe Thomas-Mann-Studien erschienen.

Moll legt einen Begriff der Hybridisierung zugrunde, den er als Vermischung beschreibt, bei der die hybridisierten Elemente noch als eigenständig wahrgenommen werden können. Hier knüpft er an Michail Bachtin an, der sich bereits in den 1930er-Jahren mit dem Hybridisierungsbegriff auseinandersetzte. Die Poetik der Hybridisierung, die Moll nun anhand des Zauberbergs nachvollzieht, ist hiernach ein System von Grenzsetzungen und Grenzverletzungen. Anhand von Begriffen wie Infektion und Pathologie, Störung und Irritation, Parodie und Karneval zeichnet der Autor diese Poetik der Hybridisierung in Thomas Manns Sanatoriums-Roman nach. Molls Ansatz fordert hierbei das festgeschriebene Bild vom Autor des Zauberbergs heraus; jenes nämlich, das Thomas Mann in seinen vielen Selbstkommentaren von sich gezeichnet und welches die Literaturwissenschaft größtenteils übernommen hat: Die Idee vom Autor als Kreateur eines in sich geschlossenen Kunstwerks. Björn Moll geht im Zauberberg auf Spurensuche nach Elementen von Bedeutungsvielfalt und Komplexität. Er tut dies nicht zuletzt, um die „Eigensinnigkeit“ einer literaturwissenschaftlichen Zuschreibung zu durchbrechen, die Manns Roman einer konservativ-realistischen Linie zuordnet.

Moll weist anhand vieler Textstellen nach, dass Tomas Mann im Zauberberg das Schreiben in Vermischungen auf unterschiedlichste Weise zum erzählerischen Prinzip erhebt. Einen der wesentlichen Hybridisierungsprozesse macht Moll im Motiv der Krankheit aus (die Tuberkulose wird bereits im Romantext selbst als „Störung“ durch das „Eindringen fremdartiger Zellen“ bezeichnet) und spricht von einer „infektiösen Textur“ des Romans als solchen. Er identifiziert in seiner Analyse „Störenfriede“ unter den Figuren (von Madame Chauchat bis zu Frau Stöhr) und weist „Ansteckungs“-Momente nach, in denen Erzählsprache von Figurensprache (gerade auch der ‚Störenfriede‘) infiziert wird. Dieses pathologische Ansteckungsphänomen ist eines der erzähltechnischen Momente, die die Mann’sche Leitmotivtechnik auch über den Horizont des Zauberbergs hinaus ausmachen.

Titelbild

Björn Moll: Störenfriede. Poetik der Hybridisierung in Thomas Manns ‚Zauberberg‘.
Thomas-Mann-Studien, Fünfzigster Band.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2015.
288 Seiten, 69,00 EUR.
ISBN-13: 9783465039099

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