Mit Fhrngsvrntwrtng in die Belanglosigkeit
Bruno Ziauddins „Bad News“ als Gesellschaftsroman über Manipulation und Stimmungsmache?
Von Sabrina Iven
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer in Zürich aufgewachsene Bruno Ziauddin ist der Sohn eines indischen Ingenieurs und einer Schweizer Krankenpflegerin. Bekannt wurde er durch die beiden Bücher Grüezi Gummihälse (2010) und Curry-Connection (2010), in denen er sich humorvoll mit dem Sujet kultureller Unterschiede auseinandersetzte. In Grüezi Gummihälse geht es etwa um ,die‘ Deutschen, die scharenweise in die Schweiz strömen, in Curry-Connection wiederum möchte Ziauddin nach dem Tod der Eltern mehr über das Leben seines Vaters und seine indischen Wurzeln erfahren und erzählt vom eigenen „Kampf der Kulturen“.
Auch in seinem neuesten Werk, Bad News, schreibt Ziauddin über die Probleme mit der Migration, den Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen und darüber, welche Folgen es haben kann, wenn Migration ,nicht funktioniert‘. Dieses Mal geht es indes nicht um Ziauddin selbst, nicht um Anekdoten und nicht um eine humoristische Auseinandersetzung; sein Roman zeigt Probleme auf, die gerade durch die sogenannte Flüchtlingskrise kaum aktueller sein könnten. Was passiert in unserer Gesellschaft, wenn die Stimmung im Land umschlägt und Hetze gegen Migranten zunimmt, wenn Hasskommentare das Internet beherrschen, wenn Einwanderung schiefgeht und wenn sich durch Verunsicherung und Verzweiflung bei Migranten extremistische Tendenzen bilden? Im Roman hetzen nicht die AfD oder Pegida, sondern die Medien, die sich ihre Reichweite zu Nutze machen, um extreme Botschaften öffentlich zu verbreiten, und das Volk aufzuwiegeln versuchen.
Die Romanhandlung folgt zwei Menschen, die auf den ersten Blick und daran anschließend für eine lange Zeit keinerlei Berührungspunkte haben. M., ein Journalist mittleren Alters, bekommt vom „wichtigsten Wochenblatt des Landes“ ein Angebot, das er ,nicht ablehnen kann‘, einen Job mit Führungsverantwortung: „Ein Wort mit zwiebelgroßem Krawattenknopf. Genau wie Zielgruppenorientierung, Synergien, USP, Ebit-Marge. Er hasste den Businessjargon, der sich auf den Redaktionen ausbreitete, als sei Journalismus ein MBA-Seminar und Chefredaktoren McKinsey-Aspiranten. Er wollte nichts mit diesen Wörtern zu tun haben. Das war Anthrax für den Geist. Schon Kleinstmengen konnten einen heillos kontaminieren. Fhrngsvrntwrtng.“ Eine Verantwortung, die M. so gar nicht übernehmen will und mit der er vor allem auch überhaupt nicht umzugehen weiß, weil sie ihn heillos überfordert. Was als große Chance beginnt, entwickelt sich nach und nach zu einem Albtraum.
Damir wiederum ist ein 19-jähriger Flüchtling, der Anfang der 1990er als Kind zusammen mit seinen Eltern vor dem Jugoslawienkrieg geflohen ist und mit seiner traumatisierten Mutter zusammenlebt. Zu Beginn des Romans hört er noch Bushido, lebt in den Tag hinein und will Videoclip-Produzent werden. Als er vom Trauma seiner Mutter erfährt, will Damir sich ändern und freundet sich mit einem gläubigen Muslim an, der ihn dazu motiviert, wieder die Moschee zu besuchen. Je mehr er über das Leben seiner Mutter herausfindet und je schwerer ihm der Umgang damit fällt, desto mehr ist Damir bereit, seine Mutter, seine Brüder und seinen neu entdeckten Glauben zu verteidigen.
Der Ausgang des Romans deutet sich bereits auf den ersten Seiten an. In einer Art Vorausschau werden 35 Minuten in einer Notaufnahme beschrieben, in denen ein Unfallarzt versucht, einem ihm und auch dem Leser unbekannten Patienten das Leben zu retten. Es wird offengelassen, wer der Patient ist und ob er überlebt; dies stellt sich erst im letzten Kapitel des Romans heraus. Die Anfangsszene stellt aber von vornherein klar, dass die Handlung nur auf einen Punkt zusteuern kann: Es gibt keinen freien Willen, keine Entscheidungsmöglichkeiten. Was auch immer die Protagonisten tun, ihr Schicksal – und damit das Ende des Romans – die Landung in der Notaufnahme – sind vollständig determiniert.
Die auf den Prolog folgende Handlung spielt kurze Zeit nach den Anschlägen des 11. Septembers. Die USA beschließen gerade den Einmarsch in den Irak und die Öffentlichkeit ist gespalten. Während die anderen Zeitungen durchaus kritisch über den Krieg und die Politik der USA berichten, erscheinen im „wichtigsten Wochenblatt des Landes“ nur positive Artikel und auch in anderen Bereichen driftet die Zeitung in Richtung rechten Gedankenguts ab.
Weder M. noch sein Chef T. werden mit vollem Namen genannt, wodurch sie abstrakt wirken und auch sonst kaum Persönlichkeit entwickeln. Auch die berüchtigte Zeitung, bei der die beiden arbeiten, bleibt namenlos und wird immer nur als „wichtigste Zeitung des Landes“ bezeichnet. Dies spiegelt nicht nur das Selbstverständnis der Zeitung wider, sondern lässt Assoziationen offen, um welche Zeitung es sich handeln könnte. Parallelen zu Ziauddins Vergangenheit sind nicht zu übersehen: Er arbeitete sieben Jahre bei der Schweizer Weltwoche, die unter dem Chefredakteur Roger Köppel einen rechtskonservativen Kurs einschlug. Wenn sich also die mutmaßlich „wichtigste Zeitung des Landes“ mit politisch provokanten, wenn nicht gar polemischen Artikeln und Kommentaren, dem vorgeblich linksliberalen Mainstream widersetzt, sind politische Anspielungen nicht von der Hand zu weisen.
Obwohl die Handlung durch ihre aktuellen Bezüge und die daraus resultierende Brisanz den Zeitgeist trifft, schafft es Ziauddin nicht, seinen Protagonisten genug Leben einzuhauchen, um den/die LeserIn tatsächlich zu interessieren und letztendlich zu berühren – und das, obwohl der Roman durch die personale Erzählweise eine Nähe zu den Figuren suggeriert. M. bleibt seltsam blass und eindimensional; durch seine durchgehende Passivität und sein lustloses Verhalten löst er keinerlei Gefühlsregungen beim Leser aus. Hätte M. sein aufkeimendes Unbehagen gegenüber seinem Chef, dessen Anweisungen und den Veränderungen in der Redaktion sowie gegenüber den veröffentlichten Artikeln nicht von sich weggeschoben, die Ratschläge seiner Freunde und Kollegen nicht ignoriert, sondern sich nur einmal zur Wehr gesetzt und Position bezogen, wäre sein Schicksal nicht so vollkommen uninteressant und unausweichlich gewesen. So bleibt M. dem Leser als Feigling in Erinnerung, der alles hinnimmt und erst die Reißleine zieht, als alles zu spät ist und er nichts mehr ändern kann.
Durchaus hätte Ziauddin an solchen Stellen mehr in seine Protagonisten investieren können. So aber gehen die reizvollen Aspekte des Romans – die Zeit der Handlung, Vorurteile gegenüber Migranten und die daraus resultierenden rechten Bewegungen sowie die perspektivische Vielfalt, aus der heraus die Geschichte beleuchtet wird – leider unter. Im Kopf des Lesers bleibt nur ein schulterzuckendes ‚selbst schuld‘ haften.
Ziauddin liefert einen medienkritischen Roman, der gleichwohl daran scheitert, den Leser tatsächlich zum Nachdenken anzuregen. Er zeigt zwar auf, wie Meinungs- und Stimmungsmache funktionieren, jedoch reißt einen die 200-seitige Lektüre nicht mit. Durch die Passivität des Protagonisten M. steht der Leser dem, was im Roman geschieht, gleichgültig gegenüber. Kurz, dem Roman hätte es gut getan, seine Protagonisten für den Leser greifbarer und vor allem nahbarer zu gestalten.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen