Die Seuchen der Anderen

René Braun: „Das E-Wort“

Von Kyra PalbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kyra Palberg

René Braun hat ein Stück über Ebola geschrieben, das zwar wenig über Ebola, dafür aber viel über den westlichen Blick auf Katastrophen erzählt: Steve kommt aus Liberia zurück. Im Team der ‚Ärzte ohne Grenzen‘ hat er dort gegen Ebola gekämpft. Dass dies einen Kampf bedeutete, daran lässt Braun keinen Zweifel, indem er mittels Kriegsmetaphorik die Situation in Liberia und der dort agierenden Figuren beschreibt. Zurück in Berlin soll Steve als erster weißer Ebolapatient medial bekannt werden.

Einleitend sieht er sich allerdings erstmal mit den üblichen Problemen eines Heimkehrenden konfrontiert. Sein Platz ist eigentlich schon neu besetzt. Sein Freund Patrick ist auch Arzt – nur behandelt er Weiße –, schläft mit Steves Verlobter und kümmert sich um dessen Mutter. Steves Rückkehr bringt nun etwas durcheinander. Nicht nur, weil seine Rolle bereits vergeben ist, sondern auch, weil er ein Stück Afrika mit nach Berlin bringt. Einerseits in Form von rotem Sand, der immer wieder durch den Text des Stücks rieselt, andererseits personifiziert durch den toten Afrikaner, der jetzt an seinem Bett sitzt und dem Steve sich selbst beschreibt. Steve funktioniert somit als Hybridfigur, verbindet die beiden Kontinente, ist im Fieberkoma gleichzeitig tot und lebendig, gleichzeitig Held und Opfer.

Wie Steve so fremd durch die Heimat läuft, erinnert er an Beckmann aus Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür oder an Danny aus Simon Stephens Motortown, denen der Krieg die Heimat fremd gemacht hat und denen mit der Rückkehr der Lebenssinn abhandengekommen ist: traumatisiert und mit Bildern im Kopf, die sie kaum beschreiben können und von denen das Umfeld auch nichts wissen will. „Scheiße. Es wird doch auch nicht besser, wenn man nicht mal darüber reden kann“, beklagt sich Steves Mutter bereits zu Beginn des Stücks. Und diese Stummheit ist im Titel angelegt: das E-Wort. Es gibt eine stillschweigende Übereinkunft, dass der Begriff „Ebola“ tabu ist. Braun spielt mit diesen Sprachregelungen, indem er die Grenzen des Sagbaren verschiebt: Während Ebola sprachlich tabuisiert wird, ist die Wortwahl der weißen Figuren durchweg rassistisch („Negerseuche“, „Jubelperser“). Diese Sprachverrohung schafft Distanz. Ebola wird als ‚Seuche‘ eindeutig lokalisiert: sie gehört nach Afrika. „Was meinst Du, warum die ganzen Regierungen korrupt sind und es in Afrika nirgendwo WCs gibt? Hältst Du das für einen Zufall, dass es da ausbricht?“, fragt Steves Mutter. „Und dann reist ein weißer junger Arzt dahin, um sie zu retten, nicht wahr? Sag mir, was daran nicht stimmt.“ Es ist diese Figur des weißen Helden, mit der Steve im Verlauf des Stücks immer wieder konfrontiert wird. Es geht um Rollen und die gegenseitigen Abhängigkeiten, die sich daraus ergeben. Der von Steve erfieberte tote Afrikaner ist es, der nicht müde wird, dies zu benennen: „Du hast deine Rolle gespielt, ich habe meine Rolle gespielt. Deine Rolle war es, einen Schutzanzug unter der heißen Sonne meines Kontinents zu tragen, meine Rolle war es zu sterben. Mehr nicht“, sagt er einmal zu Steve. Und an anderer Stelle: „So ist das, wenn die Starken zu den Schwachen kommen, um ihnen zu helfen, in dem Moment, als ihr bei uns ankommt, in euren gelben Anzügen, ist ausgemacht, wer stark ist und wer schwach.“ Diese Begegnungen und Abhängigkeiten sind es, die Braun zeigen will. So schreibt er in einem kurzen Vorwort: „Ich kann nicht über Afrika schreiben und nicht über Ebola, von beidem habe ich keine Ahnung. Ich kann nur davon erzählen, wie wir uns in dem Blick auf Afrika zu spiegeln scheinen.“ Diese Spiegelungen bemüht das Stück durchgehend, das winterliche Berliner Grau steht im Gegensatz zur staubroten liberischen Hitze. Verbunden werden diese Welten nur durch Steve, der mit dem roten Staub unter den Nägeln durch das Straßenlaternengelb wandelt. Die Welt, die Braun beschreibt, ist eine gespiegelte, ist vor allem schwarz-weiß, verliert damit aber auch ihre Feinheiten und Ambivalenzen. So ist das Ergebnis dieser Spiegelungen immer nur eine Bestätigung etablierter Klischees. Wenn Johanna sich bei Steves Mutter vorstellt, sagt sie:

Ich bin die Journalisten-Schlampe, die mit diesen Bildern Geld verdient. Mit diesen, aber eigentlich erst dann, wenn ich noch ein anderes Foto habe, auf dem die befreundete Familie erschossen im Dreck liegt, oder sagen wir, ein Teil der befreundeten Familie und der andere schreit in die Kamera nach der Idylle der Tage, als sie mit den weißen Helfern ihr Haus geteilt haben.

Sie verstärkt damit lediglich das ohnehin vorhandene Bild einer zynischen Journalistin, die für ihre Karriere wörtlich über Leichen geht. Gegen Ende des Stücks fragt Patrick sie: „War das nötig? Musst Du Deine Karriere damit machen, wie mein Freund hier krepiert?“ Wenn Braun die Frage stellen will, wie Ebola die Menschen im Westen beeinflusst hat, dann müsste hier die Antwort lauten: gar nicht. Die Figuren bleiben ihren Stereotypen treu. Das gilt ebenso für Steves Freund*innen Patrick und Manja. Der eine will nicht über Steves Erfahrungen sprechen, weil er jegliche Emotionen unterdrückt, die anderen kann es nicht, weil sie sonst von ihren Emotionen überwältigt würde. Hier gehen die Figuren nicht über die Bestätigung verkrusteter Geschlechterklischees hinaus. Die Rollen, die die einzelnen Figuren einnehmen, werden zwar immer wieder thematisiert und angesprochen, doch nur selten ausgehebelt und umgedreht. Verbildlicht werden diese Auseinandersetzungen durch ein Hasenkostüm, das mitunter im Hintergrund zu sehen ist. So hält Steves Freundin Manja es bei ihrem einzigen Auftritt in der Hand. Sie will Steve überreden, in einer Kindergartenaufführung einen Hasen zu spielen: „Der Hase wird den bösen Wolf finden und zusammen mit den Kindern wird er ihn vertreiben“, erklärt sie Steve. Dieser antwortet: „Ich glaube, das ist genau meine Rolle.“ In der letzten Szene ist das Hasenkostüm wieder zu sehen, es befindet sich in Steves einsamer Wohnung, die mit Junggesellenklischees eingerichtet ist und mit deren vermittelter Trostlosigkeit Braun das Stück enden lassen will. Das Kostüm soll dann vor allem eins verraten: dass Steve den Hasenhelden gespielt, dass er die Rolle angenommen hat. Der Held wird zum Beutetier, das Beutetier wird zum Helden. Steve bleibt damit die einzige Figur, die einen Wandel erlebt.

So symbolisiert die leise Parallelgeschichte um das Kindertheater wiederum den Kern des Stücks: Es geht um die Figuren und um ihre Rollen. Der Eboladiskurs fällt dahinter zurück: Er wird runtergebrochen auf eine Bestätigung der Stereotype und die Figuren bleiben ihrerseits zu schwach, als dass sie eine neue Perspektivierung auf Ebola ermöglichen könnten. Das sagt natürlich nichts über Ebola und scheint auch in Bezug auf die Figurenentwicklungen erstmal belanglos. Die Frage, die Braun aufwirft, ist allerdings eine andere: Inwiefern brauchen seine Figuren Katastrophen wie Ebola, um sich mithilfe dieser zu profilieren?

Basis für das Stück waren Berichterstattungen zur Ebolaepidemie, die Braun innerhalb des Textes verlinkt und die vor allem in Skype-Interviews zwischen Steve und der Journalistin Johanna einfließen. Gleichzeitig deutet das E-Wort auf eine gewisse Austauschbarkeit der Ereignisse hin. In den Berichterstattungen wird der Umgang mit Ebola als Kriegsthema noch deutlicher. Ebola ist der Feind. Und ein bisschen sind es auch die Schwarzen, denen mit all ihrem anscheinend rückständigen Verhalten zumindest eine Teilschuld an der Verbreitung der Epidemie gegeben wird. Der Duktus mit dem das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen beschrieben wird, erinnert an überwunden gehoffte Kolonialhierarchien.

All das vermochte die szenische Lesung des „Stück auf!“-Festivals leider nicht zu vermitteln. Sie umging die Ebene der Berichterstattungen, beschränkte sich auf die Beziehungen zwischen den Figuren und stellte hier vor allem die Absonderlichkeiten heraus. So ging es um die Beziehung zwischen Johanna und Steve, um das Verhältnis von Steve mit einer ‚Mulattin‘ in Liberia – deren Anziehungskraft im Text sich ebenfalls aus ihrer Hybridfunktion speist – und um den Traum, indem Steve von seiner Mutter zum Sex gezwungen wird und sie anschließend umbringt. Diese Szene ist mit all ihrer metaphorischen und literarischen Überladung (Orest? Ödipus?) schon fast wieder nichtssagend und ließ die Zuschauer*innen dementsprechend ratlos zurück. Im Text hingegen wird Steves (Berufs-)Leben immer wieder in Bezug zur Abkopplung von seinen Eltern gesetzt. Seinem Vater will Steve zeigen, dass er ein guter Arzt ist, der übergriffigen Liebe seiner Mutter will er entkommen, sich selbst einen Lebenssinn verschaffen. Für das alles braucht er Ebola. Steve braucht Ebola, um einen Sinn in seinem Leben zu sehen. Johanna braucht Ebola, um daraus eine Geschichte zu machen. Und das ist es, worüber das Stück am Ende eine Aussage machen kann: Brauns Figuren brauchen Katastrophen, um im Kontext derer wirken zu können. Sie brauchen Feindbilder, um sich über die Abgrenzung zu diesen zu profilieren. Sie brauchen Opfer, um diese zu retten. Sie brauchen Kranke, um sich gesund zu fühlen, Rückständigkeit, um ihren Fortschritt zu spüren. Brauns Stück sagt also wenig über Ebola aus, vielleicht noch weniger über die Figuren, aber es ist ein Erklärungsmodell dafür, wie Berichterstattungen über Katastrophen funktionieren und wie die westliche Welt sich über den Blick auf Afrika definiert.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen