Wie ein Text seinen Autor interpretiert

Bonn Park: „Wir trauern um Bonn Park“

Von Kyra PalbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kyra Palberg

Einer muss dran glauben. So das Motto des diesjährigen „Stück auf!“-Festivals. In diesem Fall: Bonn Park, der Autor des zweiten Stücks des Theatermarathons. In Wir trauern um Bonn Park inszeniert Bonn Park also Bonn Parks Suizid und lässt das Stück mit einer Feststellung beginnen, die aufgeladener kaum sein könnte: Der Autor ist tot. Und auch wenn Bonn Park, der ‚Echte‘, im obligatorischen Vorgespräch jegliche Hintergedanken bestritt und das Schreiben über den eigenen Tod nicht mit einer Anlehnung an Roland Barthes, sondern mit einer weihnachtlich-depressiven Allmachtsphantasie begründete, so verhandelt sein Stück eigentlich doch die Frage, wer am Ende die Kontrolle über die Interpretation des (Lebens-)Werks hat. Und wer eben nicht.

Innerhalb des Texts ergibt sich aus dem Tod des Autors allerdings vorerst eine formale Konsequenz: Da der Autor tot ist, schreibt auch niemand mehr gute Dialoge, und so steht schnell fest: Wir trauern um Bonn Park muss fortan ohne Gespräche auskommen. Zumindest fast. Und so sollen der neurotische Arzt und der alkoholabhängige Kommissar, die sich um 20.15 Uhr am Tatort eingefunden hatten, vorerst zwar die letzten sprechenden Figuren bleiben, (pop-)kulturelle Zitate wird es aber noch einige geben. Dass der Text trotz der fehlenden Figurenrede funktioniert, liegt daran, dass im Folgenden alles personifiziert wird. So wird die Gesellschaft festgenommen, da der Verdacht aufkommt, sie trüge die eigentliche Schuld am Tod von Bonn Park. Ihr Pressesprecher trägt stellvertretend eine Verteidigungsrede vor, die einen tiefen Konflikt zwischen Gesellschaft und Menschheit offenbart und innerhalb derer die Verantwortung für den Tod Bonn Parks hin und her gespielt wird: „Ich weise entschieden alle Vorwürfe von mir und möchte an dieser Stelle nochmals meine Aussage ausdrücklichst betonen, dass du, liebe Menschheit, ein Idiot bist. Du bist so dumm, du wirfst Steine auf den Boden und triffst nicht.“ Überhaupt spricht niemand mehr für sich selbst, der Austausch läuft über Pressesprecher. Dadurch entstehen so viele Ebenen, dass Park jegliche Kommunikation ad absurdum führt. So ist es kaum verwunderlich, dass auch die Pressekonferenz der Pressesprecher einen eigenen Pressesprecher hat, der sich am Ende einschaltet und die Geschehnisse rückwirkend allwissend erklärt.

Das Testament spricht Parks letzte Wünsche aus und macht vor allem das vom Autor im Vorgespräch als textauslösende Motivation beschriebene Allmachtsgefühl deutlich: „Meine Elektrogeräte sollen auseinander geschraubt werden und dann wieder zusammen gesetzt und so zu einem Super-Elektro-Gerät werden, und gleichzeitig soll dieses dann in einer Form sein, die so aussieht wie ich.“ Zugleich setzt es sich mit der literarischen Bedeutung Parks auseinander: „Ich möchte begraben werden auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof und ich möchte liegen genau zwischen Helene Weigel und Bertolt Brecht. Wer damit ein Problem hat, soll sich bitte unbedingt beschweren.“ Und so soll auch sein Grabstein den Jahreszeiten angepasst werden, im Winter soll es einer aus Eis sein und auf dem steht dann: „Ich hoffe, Euch nervt die ewige Grabsteinerneuerung Jahr für Jahr mehr, damit nur das von mir der Welt erhalten bleibt, was nützlich ist. Meine Dreistigkeit.“

So inszeniert Bonn Park nicht nur seinen Tod, sondern auch seine Beerdigung und gibt den Hinterbliebenen eine Vorabinterpretation seines Lebens mit. Und spätestens hier wird die Analogie zu Roland Barthes eben doch deutlich. Denn es geht zwar nicht um die Interpretationsmacht des eigenen Textes, aber um die des eigenen Lebens und über das Verfügen über Interpretationen. So handelt das Stück weniger vom Tod Bonn Parks als von der Inszenierung seines Daseins. Verschiedene Traueranzeigen bewerten rückblickend seine Person: „Er hat Dinge getan, die wir alle tun, manche besser, manche schlechter. Er nahm ganz normal Nahrung zu sich, er trank, er hat zum Glück auch Sex gehabt, er hat auch viel geraucht frei nach dem Motto ‚rochste stirbste, rochste nich, stirbste och‘ und so kam es dann ja auch“, heißt es gleich zu Beginn. Eine zweite Traueranzeige erklärt:

Mit dem Tode von Bonn Palk vellielt Challottenbulg einen gloßen Glangstel. El wal Teil eines chinesischen Mafiasyndikats, dessen Namen uns volliegt, abel wil ihn auf keinen Fall aussplechen können. Auch wenn el kein Wolt chinesisch splach und auch sonst übelhaupt nichts mit China zu tun hatte, abel weil ihn ständig Leute auf del Stlaße und in del U-Bahn mit nihao beglüßt haben und ihn flagten ob el aus China kommt, haben schließlich die Chinesen selbst ihn aus fül einen Chinesen gehalten, so dass sie ihn in ihlen Clan aufnahmen und so etwas wie eine Familie für ihn wulden.

Und eine dritte Traueranzeige fügt hinzu:

Wir trauern nicht um Bonn Park. Wir fragen uns was die ganze Scheiße soll. Denn Bonn Park ist überhaupt nicht berühmt und überhaupt nicht relevant (oh yeah). Was soll der Quatsch, ich habe besseres zu tun. Bonn Park wird bei keiner Preisverleihung post mortum in einer Fotomontage auftauchen (oh no). Bonn Park hat keine verkackte Stiftung, die ohne ihn weiter gegen Krebs kämpfen wird. Bonn Park ist mir voll egal, egal, egal (oh yeah).

Hier wird deutlich: Der Text interpretiert seinen Autor.

Zu Beginn der szenischen Lesung stürzten sich die Schauspieler*innen immer wieder von einem Stuhl. Der Akt der Selbsttötung wurde in den Mittelpunkt gerückt und der Schwerpunkt des Textes verschoben. Der im Text angelegte offensive Witz, der immer wieder durch Elemente einer klassischen Verwechslungskomödie gefüttert wird, wurde durch die boulevardeske Inszenierung zuweilen noch überzogen und dem Text so zumindest in Teilen seine Wirkmacht genommen. Insgesamt hat die szenische Lesung – inklusive einer sehr gelungen musikalischen Einlage – das Stück allerdings amüsant und kurzweilig aufgearbeitet. Bonn Park hat den Preis der Theaterlabor-Jury erhalten, der von acht Jurymitgliedern zwischen 12 und 24 Jahren vergeben wurde.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen