Denken mit Schrecken

Tamás Miklós rollt die Geschichtsphilosophie neu auf. In „Der kalte Dämon. Versuche zur Domestizierung des Wissens“ benennt er die Irrwege und Verdienste einer bemerkenswerten Denkbewegung

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Geschichtsphilosophie kam die Aufklärung. Und mit ihr der Schrecken: Die Erkenntnis unserer metaphysischen Einsamkeit in einem sinnentleerten Niemandsland nannte Friedrich Nietzsche einen „kalten Dämon“. Die Geschichtsphilosophen machten es sich zur Aufgabe, diesen Dämon zu domestizieren. Dieses Vorhaben kostete nicht weniger als den Verlust der intellektuellen und moralischen Unschuld.

Ihren Aufschwung erlebte die Geschichtsphilosophie, „als die Religion zur Bewahrung der abendländischen Identität nicht mehr genug, die Wissenschaft aber schon zu viel war“, wie es der Autor beschreibt. Ein Zwischenstadium, eine Übergangsphase geprägt von Angst, die vor Erkenntnisperspektiven zurückschrecken ließ. Tamás Miklós, der Philosophiegeschichte an der Eötvös Loránd Universität in Budapest lehrt, führt den Leser in seinem neuen Buch „Der kalte Dämon. Versuche zur Domestizierung des Wissens“ durch die deutsche Geschichtsphilosophie.

Seine Analaysearbeit reicht von Immanuel Kant, Friedrich Wilhelm Josef Schelling und Friedrich Schiller über Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche bis hin zu den Positionen nach der „Großen Erzählung“ bei Walter Benjamin, Karl Löwith, Odo Marquard, Paul Feyerabend und Hans Peter Duerr. Miklós zeigt an ihren Beispielen das Entsetzen über die Wildheit des losgelassenen Wissens. Seine Ausführungen zeigen: Auch wenn „die Schöpfer der geschichtsphilosophischen Konstruktionen von Anfang an Wanderer in einem öden Niemandsland“ gewesen sind, waren sie keineswegs naive Fortschrittsgläubige. Ihre Befürchtungen und Einsichten wirken auch in bedeutenden Werken der postgeschichtsphilosophischen Literatur und der neueren Erkenntnistheorie nach, die nach Anhaltspunkten für Vernunft und Freiheit forschen. Es war also nichts vergebens.

Das Buch ist mit über 360 Seiten angemessen umfangreich konzipiert. Die Lektüre verlangt dem Leser aber einiges ab. Miklós ist kein Entertainer, kein leichter Erzähler. Seine Sprache ist analytisch und trocken. Der Autor setzt bei seinen Lesern Vorwissen voraus, was Lesern mit Erstkontakt zum Themenfeld Probleme bereiten kann. Doch der Aufwand lohnt. Die Analysen des Autors sind präzise und seine Positionierung der klassischen Denker in der Diskussionstradition geschichtsphilosophischer Dilemmas ist nachvollziehbar.

Titelbild

Tamás Miklós: Der kalte Dämon. Versuche der Domestizierung des Wissens.
Übersetzt aus dem Ungarischen von Eva Zador.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
362 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406688331

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