Morden für eine bessere Welt

Ein Roman aus dem Nachlass Jack Londons in neuer Übersetzung

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jack London (1876–1916) wurde vor allem mit seinen Abenteuerromanen bekannt. Bücher wie Ruf der Wildnis (1903), Der Seewolf (1904), Wolfsblut (1906) oder Lockruf des Goldes (1910) machten ihn zum Bestsellerautor. Dass er sich gegen Ende seines Lebens, gründend auf einem Exposé, welches er – zusammen mit dreizehn anderen Ideen für Geschichten – 1910 dem späteren Nobelpreisträger Sinclair Lewis (1885–1951) für 5 Dollar abgekauft hatte, auch an einem Agententhriller versuchte, wussten seine zeitgenössischen Leser nicht. London selbst stellte das Manuskript nie fertig. Nach 20.000 Wörtern gab er auf und ließ sich auch durch Lewis, der ihn drängte, bei der Sache zu bleiben, und ihm ein mögliches Ende vorschlug, nicht dazu bringen, das Werk zu vollenden. Die verstörende Aktualität, die es am Vorabend des durch das Sarajewo-Attentat ausgelösten Ersten Weltkriegs hätte erreichen können, blieb ihm also zunächst verwehrt. In seinem Ersterscheinungsjahr ereignete sich allerdings ebenfalls ein die Welt aufrüttelnder politischer Mord, jener an US-Präsident John F. Kennedy nämlich.

Die Grundidee, auf der Mord auf Bestellung basiert, ist so einfach wie verblüffend. Warum, so fragt sich der New Yorker Geschäftsmann Ivan Dragomiloff, nicht dem in der Welt vorherrschenden Unrecht begegnen, indem man diejenigen, die es verursachen, aus dem Verkehr zieht? Die Attentatsagentur, die er auf diesen Gedanken hin aufbaut, nimmt deshalb nur Aufträge entgegen, die sich moralisch rechtfertigen lassen. Profit macht sie selbstverständlich trotzdem und zwar umso mehr, je höher die Position und der Einfluss sind, die das potenzielle Opfer in der Welt besitzen. Für einen despotischen Monarchen kann da schon einmal eine halbe Million fällig werden. Bei einem Polizeichef mit seinen wesentlich geringeren Möglichkeiten, Menschen zu schaden, genügen hingegen ein paar Tausend.

Winter Hall, ein „Millionärssozialist“, wie es an einer Stelle heißt, ist Dragomiloffs Gegenspieler. In ihn hat London ein wenig von seinen eigenen sozialdarwinistischen Überzeugungen hineingeschrieben. Den Agenturchef bringt Winter in die Bredouille, indem er als Ziel des Attentats, für das er die Agentur angemessen zu bezahlen verspricht, Dragomiloff selbst benennt. Damit ist der Mann, der im bürgerlichen Leben als der erfolgreiche Unternehmer Sergius Constantine unterwegs ist, dazu gezwungen, seine über den ganzen nordamerikanischen Kontinent verteilt operierenden Killer – allesamt Universitätsprofessoren übrigens, das Morden soll sich schließlich auf einer angemessenen geistigen Basis, tiefgründig reflektiert sozusagen, abspielen – auf sich selbst anzusetzen. Dass dies moralisch gerechtfertigt ist, hat ein raffinierter Disput zwischen den beiden Kontrahenten Dragomiloff und Hall ergeben. Dass Letzterer aber eben dabei ist, um die Hand von Dragomiloffs ihren Onkel über alles liebenden Nichte Grunya anzuhalten, hatte der junge Moralist nicht auf der Rechnung.

Die folgende Jagd quer durch die USA – Dragomiloff, so sind die Regeln der Attentatsagentur, muss ein Jahr überleben, dann ist er frei – wird von London zwar literarisch gekonnt in Szene gesetzt. Die sich stets wiederholenden Abläufe – Aufspüren des Flüchtigen, Falle stellen, Opfer entzieht sich der Falle und entkommt, nicht ohne zuvor seinen eigenen Plan der Liquidation der Agentur durch Liquidierung der in ihrem Auftrag Mordenden weiterzuverfolgen – dürften aber mit der Grund dafür gewesen sein, dass der Autor das Interesse an seiner Geschichte langsam verlor. Auch das zunehmende Ungleichgewicht zwischen Actionpassagen und den Roman immer mehr beherrschenden moralischen Disputen könnte London gestört haben. Den finalen Showdown auf Hawaii ließ er sich dann zwar noch vorschlagen, selbst umgesetzt hat er ihn nicht mehr.

Dabei steckt just in jenen Passagen, in denen es um die Frage geht, ob Terror und Mord moralisch zu rechtfertigen sind, wenn es darum geht, die Ungleichheit auf der Welt zu beseitigen, eine gerade auch für heutige Leser spürbare Aktualität. Terrorismus war zu Londons Lebzeiten ein durchaus probates Mittel, seine von denen der jeweils Herrschenden abweichenden politischen Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen und den Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Auch London selbst hat wohl zeitweise – der schon früh im Leben mit den sozialen Widersprüchen in seiner Gesellschaft in Berührung gekommene Autor bekannte sich zum Sozialismus und war von 1901 bis kurz vor seinem Tod Mitglied der Socialist Party der USA – mit dem Gedanken an Gewalt als soziale Problemlöserin kokettiert. Dass er Terrorismus aber letztlich ablehnte, dafür steht auch dieser Roman.

Nachdem das Manuskript von Mord auf Bestellung, vervollständigt von Robert L. Fish, 1963, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Autors also, unter dem Titel The Assassination Bureau Ltd. erstmals in New York veröffentlicht worden war, erschien acht Jahre später die erste deutsche Übersetzung von Werner von Grünau bei Kiepenheuer & Witsch in Köln. Sie trug den Titel Das Mordbüro. Eine – sich nur vage an die literarische Vorlage haltende – Verfilmung von 1969 unter der Regie von Basil Dearden mit Oliver Reed, Curd Jürgens, Diana Rigg und dem Kojak-Darsteller Telly Savalas lief in den deutschen Kinos als Mörder GmbH. Seitdem sind bereits mehr als 40 Jahre vergangen, sodass die Neuübersetzung des Romans durch Eike Schönfeld fast seiner Neuentdeckung gleichkommt. Wer sich auf ihn einlässt, bekommt ein kurzweiliges, mit Werk und Autor einordnenden Anmerkungen und einem informativen Nachwort von Freddy Langer versehenes Buch zu lesen, dem man den „tiefgründigen Genre-Klassiker“, mit dem der Manesse Verlag Mord auf Bestellung bewirbt, zwar nicht so recht abnehmen will, das aber Fragen stellt, die auch in unseren Tagen nichts von ihrer Brisanz verloren haben.

Titelbild

Jack London: Mord auf Bestellung. Ein Agententhriller.
Mit einem Nachwort von Freddy Langer.
Übersetzt aus dem Englischen von Eike Schönfeld.
Manesse Verlag, München 2016.
264 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783717524267

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