Wie man Fragen an das Denken stellt
Mit „Philosophische Methoden zur Einführung“ macht Tatjana Schönwälder-Kuntze schwere Kost verständlich
Von Dafni Tokas
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJedes zielführende, geregelte Verfahren ist der Defintion des Wortes nach eine „Methode“. Im Laufe der Philosophiegeschichte haben sich vielfältige solcher Zugänge zum Erkenntnisgewinn herauskristallisiert, die sich trotz ihrer Widersprüchlichkeiten und Verstrickungen nicht grundsätzlich ausschließen müssen, sondern vielmehr einer Symbiose bedürfen – und diese schon eingehen, etwa wenn Tatjana Schönwälder-Kuntze bei Hans-Georg Gadamer hegelianische Züge nachweist –, um zu einer gemeinsamen Antwort zu kommen. So weit ist man sich einig. Hier allerdings liegt ein erstes Problem: Die Methoden beruhen teilweise auf unterschiedlichen Fragen. Schönwälder-Kuntze arbeitet in ihrer Einführung ebenjene fundamentalen Fragestellungen und Vorgehensweisen der verschiedenen Theorien auf. Die sieben philosophischen Methoden transzendentales Begründen (Immanuel Kant), dialektisches Rekonstruieren (Georg Friedrich Wihelm Hegel), phänomenologisches Einklammern (Edmund Husserl), hermeneutisches Verstehen (Hans-Georg Gadamer), analytisches Verdeutlichen (Gottlob Frege/John Langshaw Austin), diskursives Ordnen (Michel Foucault) und dekonstruktives Fragen (Jacques Derrida) werden zu etwa gleich großen Teilen zu je etwa 20 Seiten in chronologischer Reihenfolge abgehandelt. Jeder der genannten griechischen und lateinischen Oberbegriffe wird in einem ersten Abschnitt über Philologisches etymologisch erläutert und bietet dabei je einen hervorragenden Einstieg in das Verständnis der Materie – und das, obwohl die Autorin sehr dicht schreibt. Die seichte Strukturierung des Inhalts täuscht. Es empfiehlt sich, was sowohl ein negativer als auch ein positiver Aspekt sein mag, wegen dieses sehr raschen, anspruchsvollen Schreibstils nicht nur einzelne Kapitel, sondern den ganzen Band mehrfach zu lesen oder die Primärliteratur stets zur Hand zu haben, da sich sonst bereits nach wenigen aufeinander aufbauenden Seiten Verständnisschwierigkeiten ergeben. Mit der richtigen Einstellung vonseiten der Lesenden ist der Einführungsband im Idealfall ein zwar hartes, aber effektives Zäpfchen für jeden Philosophiestudierenden, den die endlosen Verstrickungen der westlichen Philosophie bereits irre gemacht haben.
Die Autorin begründet ihre Beschränkung auf die abendländische Philosophie zunächst pragmatisch mit Platzgründen und gesteht „anderen“ Methoden durchaus ihre Nützlichkeit und Berechtigung zu, nennt sie jedoch an keiner Stelle. Wer einen kulturübergreifenden Blick sucht, ist damit also an der falschen Stelle – andererseits muss man Schönwälder-Kuntzes zweite Begründung, dass mit Kant eine einschneidende Wende in der Art und Weise einsetzt, wie philosophische Erkenntnisse gewonnen werden, als gelungene Argumentation für diese Arbeitsweise anerkennen. Kant fragt nach den Möglichkeitsbedingungen menschlicher Erkenntnis überhaupt. Für die Autorin stellen die darauf folgenden philosophischen Methoden einander ergänzende, korrigierende oder auch entgegengesetzte Reaktionen auf diese kritische Wende bei Kant dar. Unerwähnt bleiben die mit der abendländischen Philosophie in Verbindung stehenden Traditionen der jüdischen, islamischen, afrikanischen und östlichen Philosophie. Dass allerdings Erkenntnis als Prozess des durch Erfahrung und Einsicht gewonnenen Wissens gilt und dieser Erkenntnisbegriff in seiner heute bekannten Form erst in der neuzeitlichen Philosophie Verwendung fand, rechtfertigt Schönwälder-Kuntzes Exkludierung zumindest in Teilen. Ein interessanter Aspekt in Anbetracht der im Empfinden vieler Studierender eher angestaubten Philosophietradition, von der das Einführungsbändchen spricht: Das Buch ist gegendert.
Die im ersten Kapitel erläuterten Systeme und Ansätze, die unter den Begriff Transzendentalphilosophie fallen, wollen die Grundstrukturen allen Seins gerade nicht durch eine Ontologie beschreiben, sondern viel fundamentaler über das Begründen von Wissen und die Bedingungen der a priori im Subjekt liegenden Erkenntnis eruieren. Die metaphysische Kritik besteht folglich darin, dass ihr eine Erkenntniskritik durch die transzendentale Methode zwischengeschaltet wird. Schönwälder-Kuntze unterscheidet hier sehr genau die Begriffe „Transzendenz“, „das Transzendente“, „Transzendentalien“ und „transzendental“ (hier bei Kant). Kant hatte den Anspruch erhoben, eine neue Grundlage der Philosophie gelegt zu haben. Was heute selbstverständlich scheint, ist in ihrem Fundament die Essenz allen Denkens: Der Weg, den Philosophierende beschreiten, um zu Erkenntnissen zu gelangen, ist an Erfahrungen gebunden. Die transzendentale Philosophie der Neukantianer der Marburger Schule stellt also die Abhängigkeit der Wahrnehmung (des Denkenden) von dem ordnenden System des Denkens heraus. Ausgehend von diesem ersten Kapitel wird eine Übersicht geboten, mit der nur wenige philosophische Einführungswerke in dieser Komprimierung mithalten können. Auch verbreitete Missverständnisse oder gefährliche Verständnisfallen werden aus dem Weg geräumt, wie etwa der Irrtum, dass Husserls phänomenologische Epoché sich dem Ideal der antiken Skepsis nach einem Urteil gänzlich verweigere oder alles Dasein und jegliche Existenz negiere. Auch hier bleibt die Autorin ganz auf der Ebene der jeweiligen Fragestellung: Epoché bedeutet nämlich, „die erkenntnistheoretische Frage nach der Existenz nicht zu stellen.“ Hier zeigt sich, dass auch Beachtung findet, welche Fragen innerhalb einer philosophischen Methode nicht gestellt werden.
Schönwälder-Kuntze überblickt in beeindruckendem Maße die Entwicklung des europäischen Denkens innerhalb der Philosophiegeschichte und schafft es, ein klar gegliedertes System aufzubereiten, innerhalb dessen die eigentlich unfassbare und komplexe Menge an Gedankengebäuden und Methoden als erster Einstieg, der jedoch vor der eigenständigen Lektüre nicht bewahrt, verständlich wird. Vor allem eine Linie wird sehr deutlich nachgezeichnet: Die cartesisch-kantisch-reflexive Wende wird im Laufe einer methodischen Verschiebung durch Hegel erweitert, wenn er das vermeintlich erfahrungsunabhängige selbstreferenzielle Denken um eine soziokulturelle, historische Dimension des Werdens erweitert, die von Schönwälder-Kuntze mit passenden Zitaten und stichhaltigen Erläuterungen wiedergegeben wird. Das Denken der akademischen Philosophe des 20. Jahrhunderts kehrt zurück zu sich selbst, wird sein eigenes Thema, und die „historische Verortung aller Dimensionen des Denkens“ folgt. Der dritten methodischen Verschiebung in der Philosophiegeschichte, die die Sprache in den Fokus der Analysen stellt und sie als Medium hinterfragt, zergliedert und umdeutet, schenkt die Autorin ebenfalls am Beispiel Gottlob Freges und Bertrand Russells vermehrte Aufmerksamkeit.
Der mimetische Nachvollzug philosophischer Methoden jener Denker und Denkerinnen, die in den philosophischen Kanon eingegangen sind, wird dank der Einführung von Schönwälder-Kuntze Interessierten und Philosophiestudierenden – im Sinne Kants – präsentiert und den Lesenden schmackhaft gemacht. Höchst differenziert breitet die Autorin die wissenschaftlichen Voraussetzungen, Ziele, Thesen, eigenen Methoden und Betrachtungsweisen ihrer Einführung aus und scheut sich auch nicht, bereits im Vorwort Selbstkritik zu üben. Nichtsdestotrotz reproduziert sie, wie sie selbst weiß, mit ihrem Werk einen Kanon, der den repressiven Charakter der Philosophiegeschichte, den der vitalistische Gilles Deleuze „Schule der Ernüchterung“ nannte, und ihre Subversion durch die Bevorzugung einzelner Philosophen nur fortsetzt – doch das ist vermutlich allen zeitgenössischen philosophischen Einführungswerken vorzuwerfen. Zwar bleibt Schönwälder-Kuntze konstant neutral in ihren Ausführungen und stellt die Ansätze gleichberechtigt sowie verknüpfend gegenüber, aber es sind eben nur die Ansätze jener maximal zehn Geistesgrößen, die ohnehin kontinuierliche Thematisierung und Rezeption finden. Ob die stärksten philosophischen Methoden, die es in der westeuropäischen Denktradition bisher gegeben hat, tatsächlich an nur acht bis zehn Köpfen hängen, ist fraglich und sollte den Lesenden dieses Bändchens bis zum Ende als Kritikpunkt bewusst sein.
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