Kontakt ändert Sprache

Ein hochinteressantes Jahrbuch für Exilforschung

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor allem im letzten Jahrzehnt hat sich die sprach- und literaturwissenschaftliche Exilforschung unter dem Leitbegriff der „Interkulturalität“ Fragen gestellt, die ihr davor eher fremd waren – obwohl deutschsprachige Exilautoren selbst darauf hingewiesen hatten, was die intensive Begegnung mit einem fremden Land und einer anderen Sprache bewirken kann. In Lion Feuchtwangers Essay Der Schriftsteller im Exil (1943) heißt es: „Allmählich, ob wir wollen oder nicht, werden wir selber verändert von der neuen Umwelt, und mit uns verändert sich alles, was wir schaffen. Es gibt keinen Weg zur inneren Vision als den über die äußere. Das neue Land, in dem wir leben, beeinflusst die Wahl unserer Stoffe, beeinflusst die Form. Die äußere Landschaft des Dichters verändert die innere“. Wobei Feuchtwanger sich in puncto Sprache, anders als andere, zumeist jüngere Kollegen wie zum Beispiel Klaus Mann, noch ganz sicher war: „Gewiss, man kann lernen, sich in einer fremden Sprache auszudrücken; die letzten Gefühlswerte des fremden Tonfalls lernen kann man nicht. In einer fremden Sprache dichten, in einer fremden Sprache gestalten kann man nicht“.

Der aus Prag stammende Schriftsteller Franz Carl Weiskopf hat in seiner literarhistorischen Skizze Unter fremden Himmeln (1948/1981) schon früh auf diese und ähnliche Stimmen hingewiesen – und im Übrigen, was natürlich eine heute überholte, sehr zeitgenössische Formulierung ist, dazu bemerkt: „Wie aus diesen Beispielen hervorgeht, hat sich die ständige Berührung mit der fremden Sprache nicht in allen Fällen negativ ausgewirkt“. Genau um diese „ständige Berührung mit der fremden Sprache“ – und damit auch um die ständige Auseinandersetzung mit ihr –, die meistens eine veränderte Einstellung zur Erst- oder Muttersprache sowie Neuverhandlungen der Bedeutung und Funktion fremder Sprachen mit sich bringt, geht es in der 32. Ausgabe des renommierten Jahrbuchs der Gesellschaft für Exilforschung / Society for Exile Studies: Sprache(n) im Exil.

In der Einleitung der Herausgeber wird der durch die gesellschaftlichen wie akademischen Debatten über Interkulturalität, Mehrsprachigkeit und Migration veränderte Blickwinkel auf das Thema recht bald angesprochen: „In jedem Fall muss der Eindruck, den die Behandlung des Sprachaspekts in der früheren Exilforschung erweckt hat, nämlich dass besonders die Erfahrung der Sprachberaubung und des Verstummens für das Exil prägend gewesen sei, revidiert werden“. Ohne Zweifel gab es diese Erfahrung, aber es gab eben auch sehr viele andere. Ist es wirklich unmöglich, aus „der Muttersprache auszuwandern“, wie Schalom Ben-Chorin das vermutet hatte? Oder kann man, was Klaus Mann nicht ausschließen möchte, „mit dem zweiten Vaterland auch eine zweite Sprache finden“? Sicher ist jedenfalls, dass es zahlreiche, früher meist weniger beachtete literarische Beispiele gibt, die mit Sprachmischungen sowie Formen der Übersetzung experimentieren – das Augenmerk nun darauf zu richten, führt unter anderem dazu, den etablierten Kanon der Exilliteratur zu modifizieren und vor allem auch zu erweitern. Das „Anliegen dieses Bandes“ bestehe vor allem darin, so formulieren es seine Herausgeber, „die genannten Topoi von der Sprachberaubung oder Sprachbewahrung im Exil mit breiter angelegten linguistischen Analysen zum Sprachverhalten von Migranten und Exilanten sowie mit Forschungen zu konfrontieren, die die rhetorische Etablierung von Nationalsprachen diskursgeschichtlich nachzeichnen“. Die besondere Situation des Exils lässt, das darf hier schon vorweggenommen werden, die alte Idee einer durch die Muttersprache tief verwurzelten kulturellen Zugehörigkeit zu einem Territorium und damit auch das traditionelle Konzept einer Nationalsprache fragwürdig werden. Festzustellen ist vielmehr die Etablierung von Sprach- und Schreibformen ganz eigenen Rechts „jenseits eindeutiger territorialer und nationaler Verortungen“.

Fragen der Mehrsprachigkeit, der Sprachenmischung und des Sprachwechsels von Schriftstellern geraten immer mehr in den Fokus der germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft und spielen vor allem bei der Beschäftigung mit der sogenannten „Literatur der Migration“ eine zentrale Rolle. Dass sie für die Exilforschung ebenfalls von höchster Relevanz sind, zeigt dieses Jahrbuch. Und es geht gleich selbst beherzt daran, diese doch gravierende Forschungslücke zu schließen. Im Abschnitt „Sprachkonzepte des Exils“ überzeugen vor allem die Studien von Susanne Utsch, die den prägenden Einfluss von „Muttersprachideologien“ der 1920er- und 1930er-Jahre auf die „Sprachbewahrungstendenzen“ von Exilintellektuellen herausarbeitet, von Utz Maas, der die Sprache exilierter Linguisten in den Blick nimmt, und von Birgit R. Erdle, die „Adornos Sprachdenken im Exil“ genauer untersucht. Von der Psychoanalyse und dem exilbedingten Sprachwechsel handelt Esther Kilchmanns Aufsatz, mit der Wissenschaftssprache und dem politischen Denken im Exil befasst sich Daniel Weidner.

Besonders aufschlussreich sind die immer wieder auf den „Migrationskontext“ zurückkommenden sprachwissenschaftlichen Analysen im Abschnitt Sprachverlust, Spracherhalt, Sprachwandel (Ilse Stangen / Tanja Kupisch, Christoph Gabriel / Susann Fischer / Elena Kireva, Eva Duran Eppler, Simona Leonardi). In diesem Abschnitt wird sozusagen linguistisch bewiesen, dass, wie Monika S. Schmid, Cornelia Lahmann und Rasmus Steinkrauss darlegen, das Lernen und Verwenden einer Zweitsprache unweigerlich zu Veränderungen in der Erstsprache führt. „Wie stark ausgeprägt diese Merkmale sind, hängt von den Umständen ab und unterscheidet sich auch von Sprecher zu Sprecher“. Genau das thematisieren die Beiträge des dritten Abschnitts über Mehrsprachigkeit in der Exilliteratur, in denen es um Leo Lania und Hilde Spiel (Primus-Heinz Kucher), Stefan Zweig, Fanya Gottesfeld Heller und Ruth Klüger (Marc H. Gelber), Benno Weiser Varon (Reinhard Andress), Ludwig Strauss (Lina Barouch), Gertrud Kolmar und Paul Celan (Friederike Heimann), Georges-Arthur Goldschmidt (Jenny Willner) und „sephardische Mehrsprachigkeiten“ in der Literatur (Elisabeth Güde) geht.

Eine Art Fazit der hier versammelten 17 Studien ziehen die Herausgeber selbst:

Statt der bislang weitgehend angenommenen Dichotomie einer Bewahrung des Deutschen vs. der Aufgabe desselben im eindeutigen und womöglich irreversiblen Sprachwechsel zeigen die Untersuchungen dieses Bandes, dass sich Sprache(n) im Exil zwischen den Polen der Bewahrung bestimmter erstsprachlicher Wendungen und der Wertschätzung der Muttersprache einerseits sowie der unumgänglichen Veränderung durch Sprachkontakt andererseits bewegen.

Hinter dieses bei durchaus unterschiedlichen Fragestellungen überzeugend präsentierte Fazit wird die Exilforschung kaum mehr zurück können, und darin liegt das besondere Verdienst dieses aufschlussreichen und vielseitigen Bandes. Auch der sehr profunde, 26 Seiten umfassende Rezensionsteil, mit dem dieses Jahrbuch endet, ist bemerkenswert.

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Doerte Bischoff / Esther Kilchmann / Christoph Gabriel (Hg.): Sprache(n) im Exil.
edition text & kritik, München 2014.
371 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783869163741

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