Ins Reich der Freiheit

David Ignatius’ „Ein neuer Feind“ als moderner Cyber-Polit- und Geheimdienstthriller

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fangen wir doch mit dem Motiv an: Deutschland gilt in David Ignatius’ Roman Ein neuer Feind als Zentrum der Hackerlandschaft, während Russland, die USA und China sich besonders schurkig anstellen, wenn es darum geht, sich der Erkenntnisse solcher illegalen Zugangsarten zu bedienen, die die vorgeblich hauptsächlich deutschen Hacker sich so aneignen. Chaos Computer Club? Gibt’s den noch?

Im Roman geht es um Freiheit, vor allem um Freiheit im Netz, weshalb es denn schick und angesagt unter Hackern – wie gesagt, vorwiegend deutschen – ist, auf besonders extreme Pornos und Sexualpraktiken zu stehen. Dass der neue Robin Hood der Hackerszene ein Amerikaner ist, ist wahrscheinlich eine Konzession an das amerikanische Publikum. Dass dieser James Morris auch noch auf sadomasochistische Praktiken steht und es sich von bezahlten Frauen zeigen lässt, spricht hingegen nicht für ihn. Allerdings schützt ihn das auch vor solchen Anschuldigungen, wie sie etwa Julian Assange über sich ergehen lassen musste. Wer sich gegen Bezahlung verprügeln lässt, damit er zum Höhepunkt kommt, wird wohl kaum in Verdacht geraten, dass er ein Vergewaltiger ist. Aber auch das ist nur eine Vermutung und wohl hier nicht von Bedeutung.

Aber vielleicht ist es von Bedeutung, dass jemandem, der nun eben als Urheber eines resoluten Hackerskandals gilt und zum Gegenstand eines neuen Politthrillers wird, nur eine sehr magere Motivation zugestanden wird: Der Hack des Jahrhunderts trifft die in der Schweiz ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die für das internationale Bankensystem eine wichtige Rolle spielt. Die nun steht für „alles, was nach 1945 falsch gelaufen ist“ – und das ohne weitere Einschränkung auf die Wirtschaft, die Politik, die Kultur oder Menschheit. Eben alles, was falsch gelaufen ist. Größer kann man nicht wechseln.

Worin nun jenes ominöse „alles“ besteht, mag man sich ausdenken oder vor sich hinraunen, jener James Morris, immerhin ein hochrangiger CIA-Mitarbeiter und zudem als hochintelligent beschrieben, zeigt sich mit der Generalschuldzuweisung schon zufrieden. So zufrieden, dass er auch keine Scheu hat, Leute über die Klinge springen zu lassen, die seinem Ziel – in das System dieser Bank einzudringen – im Wege stehen.

Das nennt man effektiv und funktional, und Igantius scheut sich seinerseits in seinem Roman nicht davor, die Geschichte um den Hack der Bank zu einem monströsen Skandalon aufzubauschen, ja zur Bedrohung der Menschheit selbst zu stilisieren. Was mit zunehmender Lektüre ebenso die Geduld strapaziert. Vor allem, als dann der Effekt des Angriffs kein Zusammenbruch weltweiter Computer- oder Währungssysteme ist. Stattdessen begnügen sich Morris und Mitstreiter damit, ein paar Milliarden an aufstrebende Dritte-Welt-Länder zu überweisen, ganz unbemerkt natürlich – und eine Ramona ist deshalb ganz besonders stolz auf ihn: „Du tust etwas.“ Aha. Da wird es doch nicht ein geheimes Motiv geben?

Nicht minder monströs, allerdings bekannt, ist die Geschichte um den Insider, der die CIA gehackt hat und droht, das ganze System auffliegen zu lassen. Der neue CIA-Direktor, den man aus der Wirtschaft rekrutiert hat, erweist sich von Anfang an von bedeutender Harm- und Ahnungslosigkeit, sodass die Frage entsteht, weshalb er diesen Job überhaupt bekommen hat. Grandios ist es, wie er Pläne schmiedet – die Übersetzerin lässt ihn tatsächlich „Pläne schmieden“ –, nachdem er vom Leiter der Nationalen Sicherheitsdienste einfach mal eine Woche aufs Abstellgleis verfrachtet worden ist. Da schmiedet er dann also eine Woche in seiner Einzelhaft.

Kein Wunder, dass die Herrschaft der weißen Männer endet, wenn ihnen nichts besseres mehr einfällt, als einen dicken Coup zu landen, der gegen ihr eigenes Land geführt wird, damit sie sich dann als Retter der Nation gerieren können – hier als Retter der Oberherrschaft der USA im internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem. Keine Frage, das große Reich der Freiheit kennt keine Herrscher mehr oder wird sie stürzen, aber wer damit nicht umzugehen lernt, geht halt selber unter. Die Geschichte hat auch in dieser Geschichte recht.

Grandios auch der Verschnitt zwischen Geheimdienstgeschichte und Datenklau: Da wird die Gründung der CIA dem britischen Geheimdienst zugeschrieben, der auf diese Weise Anfang der 1940er-Jahre die USA in den Krieg gegen Hitler ziehen wollte. Damit ist aber, so der Roman, die Blaupause, das „Betriebsprogramm“ der CIA geschrieben, was wohl nichts anderes heißen soll, als dass der US-amerikanische Geheimdienst in Wahrheit nach der Pfeife der Briten tanzt. Wenn das so ist, fragt sich da der Geheimdienstlaie, warum ist dann Großbritannien – außer bei Olympia – so in der Bedeutungslosigkeit versunken? Und wieso ist der Einbruch in eine Bank und deren Beraubung ein Akt der Befreiung vom Joch wessen?

Titelbild

David Ignatius: Ein neuer Feind. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen Tanja Handels.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
525 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783499270949

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