Freiheit dem Widerspruch!

Ein von Richard Weihe herausgegebener Sammelband nähert sich dem Phänomen des Clowns

Von Margarete FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Margarete Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Was macht einen Clown zum Clown?“ fragt Richard Weihe am Ende des von ihm verantworteten Bandes Über den Clown. Künstlerische und theoretische Perspektiven. Dass ein Clown, eine der zentralen und vielfältigsten Zirkusfiguren, nicht nur durch das universelle Merkmal der Maskierung – häufig die rote Clownsnase, die ‚kleinste Maske der Welt‘ – gekennzeichnet ist, sondern dieser Figur auch noch andere Prinzipien und Regeln zugrunde liegen, dem will der Sammelband nachgehen. Und weil es diese Figur nicht nur theoretisch zu untersuchen gilt (wie es der zweite Teil des Bandes unternimmt), sondern vielmehr der performative und körperliche Aspekt zentral für den Clown ist, kommen hier – und das ist erfrischend anders im Vergleich zu sonstigen Tagungsbänden – eine ganze Reihe von Clowns und eine Clownin selbst zu Wort, die aus ihrer privaten, persönlichen Perspektive erzählen, um sich so einem Phänomen zu nähern, das sich den Bestimmungen und Definitionen immer wieder entzieht. Unter ihnen finden sich viele sehr bekannte und große Clowns – etwa Leo Bassi, Dimitri, Oleg Popow oder Gardi Hutter und andere –, die hier ihre oftmals anrührenden, bewegenden und überraschenden Geschichten erzählen und damit die Vielfalt und Uneinholbarkeit des Clowns bereits offensichtlich machen: Neben dem kultur- und gesellschaftskritischen Clown existiert die nicht-politische Variante desselben; das Clown-Sein kann eine Haltung gegenüber der Welt sein oder gar als Macht genutzt werden und so weiter.

Als Überleitung zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Bandes, den künstlerischen und den theoretischen Perspektiven auf das Phänomen Clown, dient ein Gespräch zwischen Richard Weihe, dem Philosophen Rafiu Raji und dem Anthropologen und Kulturwissenschaftler Constantin von Barloewen, der schon 1981 eine Sammlung von Essays zum Clown unter dem Titel Clowns: Zur Phänomenologie des Stolperns veröffentlichte. Viele seiner damals bereits geäußerten Thesen werden hier nochmals aufgegriffen, diskutiert und präzisiert: Der Clown ist die Verkörperung des homo ludens, wobei der Begriff des Spiels sehr weit gefasst wird, nämlich vom Poetischen bis hin zum Anarchischen reichend. Vor allem als „konstruktiver Anarch“ gewinne, so von Barloewen, der Clown seine Stärke, da er die Gegenwart nicht nur beobachtet, kritisiert und die Abgründe menschlicher Existenz aufzeigt, sondern ihr auch in seiner Gestalt ein positives Modell entgegenhält. Denn als „Experte für Freiheit“, was er als Verkörperung des homo ludens ist, steht er nicht unter dem Zwang und dem Einfluss der „modernen Technokratie“, wie es von Barloewen nennt. Rafiu Raji und Richard Weihe diskutieren im Anschluss an dieses Gespräch von Barloewens Thesen, nehmen sie als eine Art Folie, vor der verschiedene Aspekte und Figurationen des Clownesken weiterführend – und oftmals leider nur schlaglichtartig – beleuchtet werden: etwa Herbert Marcuses Begriff des „eindimensionalen Menschen“ oder Philippe Petits Hochseilakt zwischen den Zwillingstürmen des World Trade Centers, der als Verkörperung des ‚konstruktiven Anarchen‘ gelten kann; ebenso auch die groteske Clownsszene in Bertolt Brechts Badener Lehrstück vom Einverständnis, die die Dekonstruktion des Clowns vorführt; und schließlich Charlie Chaplins später Film Limelight, der die Frage nach dem Verhältnis von Kunstfigur, also dem unsterblichen Clownskörper und dem sterblichen Körper des Darstellers aufwirft.

Im Anschluss daran beschäftigt sich der erste der theoretischen Beiträge mit den Korrespondenzen zwischen der Commedia dell’arte, genauer: zwischen deren Comici und den Clowns („Mit Säcken und Stöcken. Analogien zwischen der Commedia dell’arte und den Entrées clownesques“). Demis Quadri zieht diesen Vergleich nicht einfach auf systematischer oder genealogischer Ebene, sondern anhand der speziellen und sowohl für die Commedia dell’arte und den Entrées clownesques typischen Requisiten Säcke und Stöcke. Der Einsatz dieser Requisiten ziele einerseits, so Quadri, auf die physisch-körperliche Dimension des Geschehens sowohl im Zirkus als auch auf der Theaterbühne, andererseits werde dadurch die „Clownslogik“ ersichtlich. Diese versteht Quadri in Anlehnung an Hamlet als ‚Wahnsinn mit Methode‘, da ihre Prinzipien keiner rationalen Logik folgten, sondern den Gesetzen von Überraschung, Übertreibung und Inkongruenz.

Schon bei Quadri werden immer wieder textuell dargestellte Clownsfigurationen für die Argumentation herangezogen. Im daran anschließenden Beitrag von Anna-Sophie Jürgens mit dem Titel „Clowneske Zirkuskunstfiguren. Zu Wandel und Wirken des Zirkusclowns in der Literatur“ stehen dann diese literarischen Clownsfiguren im Zentrum, wobei sie gerade nicht mehr von traditionellen Clownsfiguren spricht, sondern einen Wandel in der Darstellung clownesker Figuren herausarbeitet: von der labilen, oftmals tragischen Figur, die als Reflexionsfigur künstlerischer Identität dient, hin zu einer Figur, die diffus wird, sowohl was ihre Funktion als auch ihre Verortung betrifft. Ausholend von Clownsfigurationen und Zirkusclowns um 1900 entwickelt Jürgens ihre Argumentation schließlich mithilfe einer Analyse der Figur Herbert aus dem Roman Illywhacker von Peter Carey (2001). Dabei zeigt sie, dass sich in der „clownesken Zirkuskunstfigur“ genau das konzentriert, was den Zirkus insgesamt kennzeichnet und darüber hinaus für die Affinität zwischen Literatur und Zirkus verantwortlich ist: das Spiel zwischen Erfinden und Fingieren, zwischen Suchen und Finden, insgesamt also die Ästhetik des Hyperbolischen.

Die clowneske Kunst Charlie Chaplins ist Gegenstand von Renate Jurziks Beitrag „Geistesgegenwart und Phantasie. Über die Filmkunst Charlie Chaplins“. Dabei erkennt sie – und belegt dies an zahlreichen Beispielen – die beiden Elemente ‚Geistesgegenwart‘ und ‚Fantasie‘ als zentrale Aspekte der Komik des Clownesken in Chaplins Filmen. Der Figur des Tramps gelinge es damit, in bedrohlichen Situationen äußerst rasch zu reagieren und so der Gefahr zu entkommen. Die medienhistorische Entwicklung vom Stumm- zum Tonfilm setzt Jurzik in Bezug zu einer Verschiebung in der Konzeption des Clownesken, nämlich zur Weiterentwicklung des Stummfilmhelden zu den ambivalenteren Protagonisten der Tonfilme. Während der Tramp in den früheren Filmen als lustig-melancholischer Clown gezeichnet ist (als Beispiele dienen hier etwa The Adventurer (1917), The Kid (1921) oder The Circus (1928)), der als Außenseiter soziale Ungerechtigkeiten sichtbar macht, ähneln die Helden der Tonfilme eher satirischen, spottenden Hofnarren, die gesellschaftliche Missstände widerspiegeln (beispielsweise in The Great Dictator (1940), Modern Times (1936), Limelight (1952) oder A King in New York (1957)).

Ebenfalls filmwissenschaftlich orientiert ist der Beitrag von Matthias Christen, der eine Typologie des „düsteren Clowns“ entwirft. Dazu geht er von der ursprünglichen ‚Heimat‘ des Clowns, dem Zirkus, aus, den Christen semiotisch im Sinne Bouissacs als metakulturellen Code versteht, der vor allem als Feld der Transgressivität gekennzeichnet ist. Damit diese circensischen Überschreitungen nicht bedrohlich werden, sind sie zugleich aufgrund der institutionalisierten Form des Zirkus und seiner Vorführungen ‚gebändigt‘. Auf diese Konstellation beziehen sich auch – wie Christen überblickshaft zeigt – die Clownsfigurationen im klassischen Zirkusfilm, indem sie diese Struktur des Zirkus wiederholen. Dabei kann zwar die Clownerie narrativiert und „von der Manege als Schauplatz gelöst“ werden, wodurch die Funktion des Clowns seine Figur transgrediert und sich von ihr distanziert. Gleichwohl werden diese Genrefilme von zumeist äußerst konventionellen Schemata und Mustern formal kontrolliert – ähnlich der formalen Struktur des Zirkusgeschehens, in dem die vorgeführten Transgressionen in die Ordnung des Zirkus eingebunden bleiben. Dagegen wird die Entwicklung des düsteren Clowns im sogenannten „nachklassischen Zirkusfilm“ dadurch ermöglicht, dass die Narration von der Manege und ihren Angeboten gelöst wird und nur noch mithilfe geringster Bezüge auf das Sujet und damit auf das semantische Reservoir verwiesen wird; zugleich entfällt die Rückholung in eine circensische Ordnung. Entscheidend trägt dazu die Hybridisierung von Zirkus- und Horrorfilmen bei. Die düsteren Clowns differenziert Christen nun wiederum in zwei sich stellenweise überlappende Typen und Erzählmuster: „der Clown als Bedrohung der psychischen, körperlichen und sozialen Integrität“ zumeist von Jugendlichen einerseits (zum Beispiel Killer Klowns from Outer Space (2012) oder Stitches (2012)), oder „der Clown als Agent und Wiedergänger traumatischer Vergangenheiten“ andererseits (It (1990), Balada Triste (2010)). Mit der Figur des Jokers aus Christopher Nolans The Dark Knight (2008) untersucht Christen dann schließlich den Inbegriff des düsteren Clowns, bei dem als dystopische Kippfigur nicht nur die Maske essentialisiert, sondern damit auch die Differenz zwischen Rolle und Person aufgehoben ist. Diese Figur sprengt nicht nur innerhalb der erzählten Welt sämtliche Ordnungen, sondern auch den kulturellen Imaginationsraum, aus dem sie schöpft.

Lena Sharmas Beitrag „Phänomen Evil Clown. Der Trickster-Archetyp seit der Postmoderne“ zielt in eine ähnliche Richtung wie der vorherige, jedoch wird hier das Phänomen des Evil Clowns verstärkt in seiner populärkulturellen Verortung untersucht. Das gehäufte Auftauchen von psychopathischen und moralisch fragwürdigen Clownstypen im späten 20. Jahrhundert beschreibt Sharma mit dem Archetyp des Tricksters im Sinne C.G. Jungs. Dabei wird der Evil Clown als anarchische, destruktive Figur verstanden, die die grundlegende Überforderung der globalisierten Gesellschaften durch Verlust von Ordnungen und Sicherheit um die Jahrtausendwende verkörpert und sichtbar macht. Er ist damit „die Kehrseite des menschlichen, poetischen Clowns“ des Zirkus: „das Antlitz der Inhumanität“.

Die unterschiedlichen, durchaus divergierenden Perspektiven auf die zentrale Zirkusfigur des Clowns, die in diesem Sammelband vorgestellt werden, beziehen sich im theoretischen Teil überwiegend auf filmische Clownsfigurationen, während beispielsweise die zahlreichen Clownsfiguren in der bildenden Kunst keine Beachtung finden. Trotz aller Differenzen, die hier sichtbar werden, lässt sich – so konstatiert Richard Weihe in seinen Schlussbemerkungen „Die Paradoxie des Clowns – sieben Spielformen“ – das Prinzip des performativen Spiels als universelles Merkmal des Clowns herausarbeiten. Dieses dreht sich jedoch nicht um Fragen von Täuschung, Identität und Glaubwürdigkeit. Es ist kein Schauspiel, das der Clown vorführt, vielmehr handelt es sich um eine bewusste und spielerisch erzeugte Regression in die frühe Kindheit. Zugleich zeigt er ein „vergrößertes, übertriebenes, stark vereinfachtes Bild vom Menschen“ und damit dessen „exzentrische Weise des Daseins“ (im Sinne Plessners). Das Prinzip des clownesken Spiels ist dabei die Regellosigkeit, denn es ist von Überraschungen, Tricks, Alogik und Inkongruenz geprägt.

Aufgrund dieses Prinzips des Widersprüchlichen, das mit der Formel ‚Einheit des Unterschiedenen‘ gefasst werden kann, ist es möglich, den Clown als eine paradoxe Denkfigur zu verstehen, die Weihe in sieben verschiedenen Ausprägungen fasst:

1. Die Liminalität des Clowns: er bewegt sich auf der Grenze zwischen Bühne und Manege und überschreitet auch politische oder moralische Grenzen.
2. Im Generationenspiel des Clowns vereint er zugleich Kind und Erwachsenen und wird so zu einer alterslosen Figur.
3. Im Körperspiel des Clowns verbinden sich extreme Ungeschicklichkeit mit großer Akrobatik.
4. Das Genderspiel des Clowns verwischt die Grenzen scheinbar klarer Geschlechterbilder, treibt vielmehr ihre Ambivalenzen hervor.
5. Im Ausbruchsspiel des Clowns überkreuzen sich die emotionalen Ausdrucksweisen beziehungsweise physiologischen Reaktionen Lachen und Weinen.
6. Das Sprachspiel des Clowns beinhaltet zwei einander widersprechende Beziehungen zur Sprache: sowohl die virtuose Sprachbeherrschung als auch Sprachlosigkeit, Stottern oder rudimentäres Sprachvermögen.
7. Und schließlich umfasst das Moralitätsspiel des Clowns den Gegensatz von Gut und Böse, da er sowohl als positive Figur auftritt, aber auch als Horrorfigur und sich plötzlich von einer Figuration in die andere verwandeln kann.

Diese logischen Paradoxa werden in der Logik und in der Figur des Clowns aufgehoben – jedoch nicht so, dass dann die eine oder andere Seite des Widerspruchs nicht mehr existent ist. Die für eine wissenschaftliche Theorie geforderte – und eine Theorie der Clownslogik müsste dieser Forderung eigentlich entsprechen – Widerspruchsfreiheit, wird aber von der Logik des Clowns nicht erfüllt. Jedoch nur, weil der Clown selbst, so Weihe, den Begriff ‚Widerspruchsfreiheit‘ anders deutet: „Freiheit dem Widerspruch“.

Titelbild

Richard Weihe (Hg.): Über den Clown. Künstlerische und theoretische Perspektiven.
Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
282 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783837631692

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