Aufbruch in die Moderne
Thomas Kaufmann blickt in „Erlöste und Verdammte“ auf die „Geschichte der Reformation“
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer vom C.H.Beck Verlag mit vielen prächtig-farbigen Abbildungen ausgestattete Band des Göttinger Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann „Erlöste und Verdammte“ scheint bestens geeignet, die Ansprüche eines ebenso übersichtlich wie facettenreich über die Geschichte der Reformation informierenden Lesebuchs zu erfüllen. Der Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass der Autor seine „Geschichte der Reformation“ umfangreich angeht: am Anfang steht Luther, Gedanken zu seiner historischen Bedeutung leiten den Band ein. Über die Situation der „europäischen Christenheit um 1500“, die „frühe Reformation im Reich bis 1530“, das „reformatorische Europa bis 1600“ folgen „Reformation und die neue Zeit“. Der Überblick endet bei der „Wahrnehmung der Reformation in der Neuzeit“.
Auch wenn die Kapitel des Buchs, je mehr sie sich der Neuzeit nähern, zunehmend kürzer werden, so lässt sich doch insgesamt aus ihnen ein verlässliches Maß an Einsichten und Erkenntnissen gewinnen, die auch für den interessierten Laien die Reformation als historisches Ereignis sowie ihre politischen, religiösen, sozialen und kulturellen Auswirkungen besser verstehbar machen.
Das betrifft beispielsweise die Frage, wie der ‚deutsche Einfluss‘ auf das, was dann seit Leopold von Ranke als das „Zeitalter der Reformation“ populär wurde, zu bewerten ist. Kaufmann stellt gleich zu Beginn seiner Darstellung die “Europäizität der Reformation“ heraus: was in deutschen Landen seinen Ursprung hatte, nahm „umgehend“ europäische ja globale Dimensionen an. Zudem war der Gedanke einer Reformation der kirchlichen Verhältnisse keine deutsche Erfindung. Dergleichen bahnte sich überall in Europa an und mit der Erfindung des Buchdrucks war nun auch eine neue, sehr effektiv die weltlichen Grenzen überwindende Form der Verbreitung neuer Gedanken vorhanden. Wenn dennoch in Deutschland zuweilen immer noch und wieder eine „in nationalgeschichtlichen Perspektiven befangene Reformationshistoriographie“ betrieben wird, so stellt der Autor klar, bleibt sie einem Wahrnehmungsklischee des 19. Jahrhunderts verhaftet, mit dem die komplexe Europäizität des Geschehens nicht ausreichend verstanden werden kann.
Es beginnt mit Martin Luther. Er steht am Anfang, aber das „kann nicht bedeuten, ihn in die Sphäre des Monumentalen zu rücken.“ Er steht vielmehr in einer bestimmten historischen Situation, die es möglich machte, „dass aus einer nie abgehaltenen Disputation über das Ablasswesen eine grundstürzende revolutionäre Veränderung des bestehenden Kirchenwesens werden konnte.“ Und wieder war die Rolle der Publizistik entscheidend: denn die „publizistische Dynamik der Jahre 1518-1521“ setzte die Ereignisse in Gang, die in ganz Europa Folgen hatten. Einer, der sie sprach- und schreibgewaltig zu nutzen wusste, war Luther, denn, so pointiert Kaufmann, „Luther schrieb um sein Leben, er rettete sich durch seine Schriften, durch sein Schreiben.“ Und schuf so eine schnell wachsende “reformatorische Bewegung“, die dazu beitrug, dass „das traditionelle Mittel der Ketzerbekämpfung, die Verbrennung einer Person, ihrer Schriften, scheitern musste.“
Sehr bald schon geriet die Bewegung zu einem gesellschaftlich-politischen Machtfaktor. Der Bruch mit der anmaßend-allumfassenden Autorität des Papstes stellte die ‚Gemeinde‘ in den Mittelpunkt. Sie aber war in der Stadt wie auf dem Lande den Interessen der jeweiligen Obrigkeit ausgesetzt. „Cuius regio, eius religio” (“wes der Fürst, des der Glaub”) hieß es nach dem Augsburger Religionsfrieden, und das bedeutete, wie Kaufmann nüchtern feststellt, dass der evangelische Christ, statt ‘befreit’ aus fremder Autorität nunmehr „in einem umfassendere Sinn „Untertan” (geworden war), als es seine Vorfahren je gewesen waren.“
Kein Wunder, dass es an diesem Punkt ebenso bald schon zu Auseinandersetzungen innerhalb der Reformationsbewegung kam. Hier steckte ein revolutionäres Potential, das keiner Obrigkeit, sei es der altgläubigen oder der reformierten gefallen konnte. In Skandinavien und England hielten die „Königsreformationen“ derartige herrschaftsbedrohenden reformatorischen Bewegungen in Schach, anderswo eskalierten sie zu gewalttätigen Aufständen gegen die Obrigkeit. Die „Bauernkriege“ 1524-1525 scheitern freilich ebenso wie zehn Jahre später das Täuferreich in Münster. Das Bündnis der neuen Religion mit den Interessen der Obrigkeit erwies sich als ‚feste Burg‘. Mit Luthers wohlwollender Unterstützung, was bei vielen bis heute eine zweigeteilte Wahrnehmung begründet: der frühe reformfreudige Luther, Protagonist einer mit dem „Zauber des Anfangs“ ausgestatteten Bewegung, die als ein „Laboratorium der religiösen Möglichkeiten“ so vieles hätte möglich machen können, und der späte staatstragende Luther.
Tatsächlich führte die Reformation zu neuen politischen Bewertungen und erzwang praktische Kompromisse. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 ist in diesem Sinne ein Dokument „kühler Sachlichkeit“‚ weil der Vertrag auf der praktischen Einsicht beruhte, das keine Seite der anderen ihren Willen aufzwingen konnte. Beiläufig „suspendierte das Vertragswerk“ damit aber auch die religiösen Wahrheitsansprüche der Parteien. Zu Recht betont Kaufmann die Klugheit dieses Vertrages und seine „politischen und kulturellen Fernwirkungen“ bis in heutige Zeiten.
Ermöglichte der Vertrag in Deutschland einerseits das Miteinander der Fürstentümer mit unterschiedlichen Konfessionen, so schuf er andererseits aber auch Voraussetzungen für eine „Mentalität der Distanzierung vom „Fremden““. In den religiös-homogenen Territorien des Reichs der frühen Neuzeit wuchs Identität durch Abgrenzung. Anders als bei den „global orientierten Katholiken“ förderte dies eine Haltung, die nationale Sachverhalte „nicht selten in spezifisch konfessionellen Ausprägungen“ thematisierte. Das blieb in Deutschland nicht folgenlos: nach dem Ende des Alten Reiches empfand sich der (preußisch)-deutsche Protestantismus als exklusiver Träger eines deutschnationalen Bewusstseins, während man ‚die Katholiken‘ unter den Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit stellte.
Thomas Kaufmann schreibt kenntnisreich und wagt erfreulicherweise immer wieder auch klare Urteile über die reformatorischen Ereignisse, ihre Folgen und wie sie bis heute interpretiert werden. Am Schluss seines Buches fragt er nach dem Reiz der Reformation für „unsere Generation“, formuliert Aspekte eines emanzipatorischen Reformationsbewusstseins und stellt fest: „Diese Reformation steht noch aus.“
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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