Von Höhenflügen und Abstürzen

Wie Matthew Quicks neuer Roman „Flugstunden“ mit einer Prise Witz und Skurrilität von dem Ernst des Lebens erzählt

Von Lisa-Marie BährRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa-Marie Bähr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt das nicht? Der Zweifel an sich selbst; der Zweifel daran, ob sein Leben genauso verläuft wie man es sich vorstellt; der Zweifel, ob man heute Morgen nicht besser eine Jacke angezogen hätte? Es gibt – kurz gesagt – eine Menge Dinge, an denen man zweifeln kann. Dennoch steht eines fest – und das geht klar aus Matthew Quicks sechstem Roman Flugstunden hervor – zweifle niemals an dir selbst und deinen Zielen. Verfolge deine Ziele, egal wie viele Steine dir das Schicksal in den Weg legt. Der Roman erzählt die Geschichte vom Leben, vom Mut an sich selbst zu glauben, vom Schicksal und davon, wie Menschen miteinander verbunden sind, auch wenn sie dies nicht wahrnehmen oder wahrnehmen wollen.

Der Autor von Silver Linings Playbook ist durch seinen Erfolgsroman – der 2012 verfilmt wurde und einen Oscar gewann – für seine dramatischen, schicksalhaften und tiefgründigen Erzählungen bekannt geworden. Flugstunden reiht sich nun in diese Art von Romanen ein, die den Leser zum Nachdenken anregen und damit unter die Haut gehen. Aus vier verschiedenen Erzählperspektiven wird vordergründig die Geschichte von Portia Krane erzählt, die den ersten Teil der Handlung humorvoll schildert. Sie erwischt ihren Pornofilme produzierenden Ehemann mit einer – natürlich – jungen Studentin „Schrägstrich“ Pornofilmdarstellerin in flagranti, während sie betrunken in ihrem Kleiderschrank lauert, woraufhin sie beschließt, in ihre Heimatstadt in der Nähe von Philadelphia zu ihrer ,Messie‘-Mutter zurück zu kehren. Dort wird Portia mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, als sie erfährt, dass ihr Lieblingslehrer Mr. Vernon von einem Schüler krankenhausreif geprügelt wurde. Da Mr. Vernon Portias Leben sehr geprägt hat, fühlt sie sich verpflichtet, ihm dabei zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Doch gestaltet sich dies schwieriger als gedacht, da dieser bereits mit seinem Leben abgeschlossen und einen Selbstmordpakt mit seinem Hund, welcher den vielsagenden Namen Albert Camus trägt, geschlossen hat. Ein ehemaliger Junkie und eine Nonne unterstützen Portia bei ihrem Vorhaben, Mr. Vernon zurück ins Leben zu holen, da sie alle eine gewisse Verbindung zu dem ehemaligen Lehrer haben.

Zugegeben, das klingt alles sehr witzig und skurril, jedoch schafft es Quick, durch die Sicht sowie die Ausdrucksweise von Mr. Vernon, der hauptsächlich in Zitaten von großen Autoren und Philosophen spricht, dem Roman eine tiefgründige Note zu verleihen, indem er dessen Depressionen und Lebenskrise sehr lebhaft und glaubhaft darstellt. Dass der Autor selbst vor seiner Schriftstellerkarriere als Englischlehrer tätig war, trägt sicherlich einiges zu der Neigung bei, solche Zitate einfließen zu lassen. Doch nicht nur durch Mr. Vernon, sondern auch durch die Perspektiven des Ex-Junkies Chuck und der Nonne Maeve werden viele verschiedene Lebenslagen und Probleme durchleuchtet, wobei kaum eine Thematik ausgelassen wird.

Trotz oder gerade durch die vier verschiedenen Erzählperspektiven ist der Roman sehr abwechslungsreich, obwohl sich die Geschichte vordergründig auf Portia bezieht. Alle vier Teile sind miteinander durch die Protagonistin verbunden, wodurch ein Rahmen um die Geschichte entsteht. Die Sprache und der Stil sind auf die erzählenden Figuren weitestgehend angepasst und die Geschehnisse werden so wiedergegeben, wie der jeweilige Charakter angelegt ist und seine Sicht der Dinge darstellen würde.  

Flugstunden ist ein sehr vielschichtiger Roman, der sich durch seine Themenvielfalt einiges vorgenommen hat. Dennoch kommt keine der Problematiken wie beispielsweise Ehebruch, Religion, Depression, Sucht, Existenzängste, Tod, Armut oder Liebe zu kurz, denn diese werden durch alle Erzähler ausreichend behandelt. Der Roman zeigt, wie jedes Individuum mit seinen Problemen zurechtkommen muss – oder auch nicht – aber diese durch Gemeinschaft, Zusammenhalt und Selbstvertrauen gemildert werden können. Er ist sozusagen eine Hommage an das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, an den Glauben an sich selbst sowie an die Menschlichkeit, die gerade in der heutigen Zeit immer mehr verloren geht.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Matthew Quick: Flugstunden.
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Kindler Verlag, Berlin 2016.
491 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783463400853

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