Ein blaues Wunder
Isabel Bogdan schickt in ihrem Debütroman „Der Pfau“, der mit britischem Charme und guter Laune besticht, englische Banker in die schottische Einöde
Von Tessa Deiß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHandlungsort ist ein abgelegenes Herrenhaus am Fuße der schottischen Highlands, Handlungszeit ein Wochenende im Winter. Das jahrhundertealte Anwesen von Lord und Lady McIntosh hat längst nicht mehr den adeligen Touch vergangener Tage. Daher haben die Besitzer, die auf ihrem Anwesen neben Hunden und Gänsen auch exotische Pfauen beherbergen, beschlossen, die aufwändigen Renovierungsarbeiten mit der Vermietung von Cottages zu finanzieren. So kommt es, dass sich dort die vier Londoner Erfolgsbanker Jim, Andrew, David und Bernhard samt ihrer Chefin Liz, der Köchin Helen und der engagierten Psychologin Rachel zum Teambuilding einfinden. Es stellt sich schnell heraus, dass die gebuchten Gästezimmer über viel weniger Komfort verfügen, als es die Banker gewohnt sind und dass es in Schottland im November überraschenderweise sehr kalt sein und auch schneien kann. All das und die psychologischen Spiele des Teambuildings reizen die angespannte Stimmung noch mehr. Und dann kommt der verrückt gewordene Pfau der McIntoshs ins Spiel, der aggressiv auf alles blau Glänzende reagiert und damit einen unerwarteten Ausgang dieses Wochenendes herbeiführt.
Schon auf den ersten zwanzig Seiten wird der Leser auf das Chaos vorbereitet, das sich während des Wochenendes entwickeln wird. Die ungewöhnliche und zunächst etwas abstrus erscheinende Konstellation aus Federvieh, schottischem Adel, Bankern und konspirativer Köchin lässt schnell vermuten, dass nicht alles so ablaufen wird wie geplant. Nach diversen Zwischenfällen mit dem unberechenbaren Pfau hält der Leser nun die Luft an und fragt sich, wie der Vogel darauf reagieren wird, dass ausgerechnet die perfektionistische Chefin der Investmentabteilung mit einem blauen Wagen vorfährt.
Mit ihrem ersten Roman ist Isabel Bogdan ein reizender Unterhaltungsroman gelungen. Die Charaktere werden in ihrer Vielfältigkeit so detailliert und realistisch gezeichnet, dass der Leser sie vor seinem inneren Auge agieren sieht und beinahe ihre Stimmen hört. Zu Anfang prasseln einige Namen auf den Leser ein und man muss manchmal überlegen, zu wem welcher Name gehört. Durch den Stil der erlebten Rede hat es die Erzählerin jedoch geschafft, jeder Person eine unverwechselbare Persönlichkeit zu geben. Dieser angenehm leichte Erzählstil erstreckt sich über den gesamten Roman und bietet so dem Leser einen Einblick in die Gedanken der Charaktere und macht ihn ganz beiläufig zum Mitwisser der Abläufe, ohne dass der Ton ins Alberne oder Lächerliche abfällt. Gelungen sind auch die immer wieder auftauchenden Gedankengänge der Hunde Mervyn und Albert, die keine unwesentlichen Rollen im Geschehen spielen. Selbst die auf dem Anwesen lebende Gans offenbart dem Leser an einer Stelle ihre Gedanken, ohne dass dies kindisch oder absurd wirkt. Diese Leichtigkeit des Stils beschleunigt den Lesefluss, mit dem man beinahe durch die Kapitel rauscht. Gelegentliche Längen, wie etwa wenn nahe dem Ende nochmals zusammengefasst wird, wer nun welche Geheimnisse vor wem hat, wirken bisweilen etwas beschwerlich. Aber diese wenigen Passagen werden durch die durchgehend humorvolle Atmosphäre wettgemacht. Man spürt förmlich das Zwinkern im Augenwinkel, wenn die Erzählerin Lord und Lady McIntosh mit ihren Gästen nach der ersten Pfauenattacke beschreibt: „Auf den Schreck tranken die Bakshis und die McIntoshs erst mal einen Whisky. Und dann noch einen. Und dann keinen mehr, denn die Lady war eine Lady.“ Dieser Erzählstil verleiht der Handlung ihren Witz, ohne dabei in jene Art von Kitsch abzurutschen, der man dieser Tage im Stil von Rosamunde Pilcher bisweilen begegnet.
Obwohl das Lager der Banker zu Beginn noch sehr arrogant wirkt, ist es erstaunlich, dass der Leser sich am Ende dabei erwischt, den einen oder anderen Charakter nun doch sympathisch zu finden. Tatsächlich arrangieren sich die Banker im Laufe des Wochenendes mit der Einfachheit ihrer Unterkunft und der auferlegten Teambuilding-Maßnahme. Jeder der Banker hat die eine oder andere liebenswerte Eigenschaft. Lediglich Bernhard, der als permanent schlecht gelaunter Charakter besonders gelungen ist, wirkt neben den anderen unsozial: „Bernhard dachte im Allgemeinen sowieso nicht übermäßig viel nach, und wenn, dann nur darüber, wie er sich bei der Chefin beliebt machen konnte. Schließlich wollte er noch Karriere machen.“ Unweigerlich muss man immer wieder über diese Banker lächeln, die so gar nicht für das Landleben geeignet sind. Und auch die Aufgabe der Psychologin, gemeinsam im Wald eine Hütte zu bauen, um die einzelnen Arbeitsrollen in einem anderen Kontext zu sehen und kritisch zu hinterfragen, bringen sie nur mies gelaunt zustande. „Eine Hütte bauen! Sie waren Banker. So ein Banker war doch kein Biber.“
Etwas aus dem Blick geraten sind nun Lord und Lady McIntosh, für die die Banker wichtige, da zahlende Gäste darstellen. Deren Großstadtgehabe ertragen sie aber nur schwerlich und machen sich auch manchmal zusammen mit ihren Angestellten Ryszard und Aileen, sowie dem Leser über sie lustig: „Stadtmenschen, sagte sich der Lord, und noch dazu Büromenschen.“ Im Verlauf der Erzählung kommen immer mehr Geheimnisse der handelnden Personen ans Licht; dadurch entstehen Missverständnisse zwischen den Charakteren und die daraus gewonnenen Trugschlüsse machen es bis zum Ende spannend. Und es ist ein unerwartetes Ende, das dem Leser selbst fast ein kleines blaues Wunder bereitet.
Ein englisches Sprichwort besagt: „You cannot judge a book by its cover“. Wörtlich genommen ist hier das genaue Gegenteil der Fall. Betrachtet man nämlich das Cover, das genauso liebevoll gestaltet wurde wie der gesamte Roman, sieht man einen wunderschönen, in den Farben des Vereinigten Königreiches leuchtenden Pfau und an seinen Federn einen Regenschirm, eine Tasse Tee und ein Jagdgewehr. Diese drei Gegenstände könnten durchaus symbolisch für die turbulenten Verstrickungen stehen, die sich während des Wochenendes ereignen, und vereinen auf kreative Weise die Handlung mit britischem Flair. Dass Isabel Bogdan den britischen Charme zu schätzen und mit den gängigen Klischees zu spielen weiß, merkt man ihrem Roman bereits auf den ersten Seiten an und wird selbst davon angesteckt. Der Pfau lädt zu einer gemütlichen Tasse Tee am Kamin ein und lässt also auf weitere, ebenso Leichtigkeit versprühende Nachfolger hoffen.
Die studierte Anglistin arbeitete bisher vor allem als Übersetzerin, unter anderem hat sie schon Werke von Jonathan Safran Foer, Nick Hornby und Jane Gardam ins Deutsche übersetzt. Bogdan hat bereits eigene Kurzgeschichten veröffentlicht, ihr erstes Buch Sachen machen erschien 2012. Isabel Bogdan hat 2011 den Hamburger Förderpreis für Literatur erhalten.
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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