Einer von Vielen

Mark A. Fraschka holt Franz Pfeffer von Salomon aus dem „toten Winkel“ der Geschichte

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Betrachtung der Frühgeschichte des Nationalsozialismus, von den Nationalsozialisten selbst martialisch zur „Kampfzeit“ der Bewegung heroisiert, ist interessant, weil sie deutlich macht, dass der Aufstieg des Nationalsozialismus nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zur sogenannten „Machtergreifung“ 1933 kein zwangsläufiger Prozess war, sondern vielmehr eine Abfolge von Ereignissen, die in einer bestimmten historischen Situation dazu beitragen konnten, den Untergang der demokratisch verfassten Weimarer Republik und den Aufstieg der Nazis zu ermöglichen. Zwei Aspekte dieser historischen Situation erweisen sich dabei als markant: zum einen die systematisch eingesetzte Gewalt der Rechten, mit der sie ihre hasserfüllte Ablehnung der Republik durchsetzen wollten, zum anderen die vergebliche Gegenwehr dieser Republik, die von ihren Eliten im Stich gelassen wurde. In dieser Situation konnten nach 1918 auch Figuren Einfluss gewinnen, die in zivilisierten Zeiten kaum hätten in Erscheinung treten können. Zu ihnen gehört Franz Pfeffer von Salomon, „Hitlers vergessener Oberster SA-Führer“. Einer, wie Mark A. Fraschka in den einleitenden Bemerkungen seines umfangreichen Buchs erläutert, der sich „fast permanent im ‚toten Winkel‘ der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts bewegte“.

Was wohl zunächst meint: Pfeffer von Salomon war kein Hauptakteur in dieser Geschichte. Aber der 1888 geborene Westfale, der sich lieber Franz von Pfeffer nannte, um den womöglich jüdisch klingenden Namen Salomon zu vermeiden, war einer von den kaiserlich-preussischen Militärs, die die Niederlage des Ersten Weltkrieges als eine durch Verrat und Intrige zustande gekommene Schmach empfanden, die ein neues starkes Deutschland zu tilgen hätte. Für jemanden wie ihn war der Krieg 1918 nicht zu Ende. So kämpfte er noch bis 1923 als Freikorpsführer im Baltikum, in Schlesien, im ‚Ruhrkampf‘ gegen die verhassten Roten, die aus seiner Sicht Schuldigen am schmachvollen Ausgang des Krieges. Unter seinesgleichen machte er sich einen Namen, denn Pfeffer von Salomon bewies Schneid, Organisationstalent und ließ es an militärischer Härte und Brutalität nicht fehlen. So einer kam der wachsenden ‚rechten Sache‘ in der Weimarer Republik gerade recht, auch wenn, wie Fraschka faktenreich belegen kann, sein eigenes politisch-strategisches Geschick eher wenig ausgeprägt war. Aber in Hitler erkannte Pfeffer von Salomon trotz dessen dilettantisch gescheiterten Putschversuchs in München am 9. November 1923 endlich den ersehnten ‚Führer‘ für die deutschnationale Sache. Und für ihn nun wollte er sein ‚Talent‘ nutzbar machen. Zunächst mit wenig Erfolg: weder als Gauleiter der NSDAP in Westfalen noch mit der „Arbeitsgemeinschaft Nord-West der NSDAP“ oder dem Projekt „Großgau Ruhr“ konnte er nachhaltigen Einfluss im Dienste der Bewegung gewinnen.

Erst als Hitler ihn zum „Obersten SA-Führer“ ernannte, kam seine Gelegenheit: Als „Osaf“ –Pfeffer von Salomon hatte eine Vorliebe für Abkürzungen – schuf er von 1926 bis 1930 die Grundlagen für die SA als Massenorganisation. Mit seinem militärisch-organisatorischem Talent gelang es ihm während dieser Zeit, die SA einerseits zu einer schlagkräftigen, Hitler verpflichteten Brutalotruppe zu formen und sie andererseits in ihrem ungestüm-umstürzlerischen Elan zu bremsen. In der Frage, ob die SA eine „Putsch- oder Legalitätstaktik“ verfolgen sollte, gelang es ihm, ein Gleichgewicht zu halten, das in diesen Jahren den Interessen der Bewegung diente. Als ihm das nicht mehr gelang und Pfeffer von Salomon im Ränkespiel der um Einfluss ringenden Organisationen und Personen im Umfeld Hitlers gewissermaßen den Überblick verlor, verlor er auch seinen Posten. In den Jahren der Naziherrschaft fand sich keine Aufgabe mehr für den westfälischen Gefolgsmann. „Bedeutungslosigkeit“ heißt das kurze Kapitel in Fraschkas Buch über die Jahre 1930 bis 1945. Pfeffer von Salomon starb 1966.

Fraschka hat für seine Geschichte des westfälischen Gefolgsmanns eine Fülle von Fakten und Belegen zusammengetragen. Damit man sich in diesen nicht verliert, fügt er in den Text immer wieder eine „Bilanz“ oder ein „Resümee“ ein. Anhand von Leitfragen bietet er so eine zusammenfassende Orientierung für die besondere Bedeutung von Pfeffers Werdegang im „toten Winkel“ der Geschichte. Das Buch besteht aus zwei Teilen: „Konterrevolutionär“ (1919–1923) und „Sozialrevolutionär“ (1924–1930). Beide Begriffe wirken freilich missverständlich. Denn Pfeffer von Salomon, das zeigt Fraschkas Darstellung, verstand sich weder als das eine noch das andere. Eine mit diesen Begriffen einhergehende politisch-programmatische Haltung oder gar eine auf sie gründende bewusste politische Strategie fehlte ihm. Genau darin liegt ja die herausfordernde Erkenntnis angesichts eines solchen Werdegangs im „toten Winkel“ der Geschichte: Das völlige Versagen des soldatischen Charakters angesichts der Niederlage 1918 beinhaltete nicht nur die Weigerung, politische Realitäten anzuerkennen, sondern auch die Unfähigkeit, ein ziviles Leben führen zu können. Dem Schrecken des Zivilen entkam auch Pfeffer von Salomon durch die Heroisierung eines ansonsten inhaltslosen soldatischen Ideals. Nun aber konnte er in einer bestimmten historischen Situation dieses Ideal ausfüllen – im Dienste einer Bewegung, die in ihrer Frühzeit genau solche wild-wirren Charaktere wie Franz Pfeffer von Salomon für ihre Zwecke zu nutzen wusste. Das ist überaus lehrreich.

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Mark A. Fraschka: Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
556 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783835319097

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