Der einzig leichte Tag war gestern

Mit „Sniper Elite. Ein One Way Trip“ beginnt Scott McEwen eine eigene, spannende Militärthriller-Reihe um die Figur des Master Chief Gil Shannon und dessen nahezu aussichtslose ‚Black-Ops‘

Von Christian M. RothRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian M. Roth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Scott McEwen ist ein Rechtsanwalt aus San Diego, Kalifornien, der sowohl in den USA als auch in London studierte  und heute für mehrere militärische Hilfsorganisationen des US-Militärs arbeitet. Dadurch erhält er Einblicke in die Leben und Geschichten zahlreicher Soldaten und deren Familien, weshalb es nicht verwundert, dass er bereits im Vorwort darauf hinweist, das Vorbild zu seiner Romanfigur Gil Shannon selbst getroffen zu haben und hervorhebt: „Ihre fiktiven Geschichten basieren auf wahren Missionen“. Mit Thomas Koloniar holte er sich für seine Sniper Elite-Reihe in der bisher in den USA drei Werke erschienen sind, einen Co-Autor ins Boot, der selbst Action-Romane schreibt. In ihren Gemeinschaftswerken verbinden sie ihr detailliertes militärisches Wissen mit literarischem Know-how, was bei diesem Reihenauftakt eine interessante und spannende Mischung ergibt, die die Leseansprüche an einen Thriller vollends erfüllt und die Erwartungen sogar übertrifft.

Das Cover der deutschen Erstausgabe bedient zunächst jedoch ein amerikanisches Klischee. Ein Sternenbanner über einem voll ausgerüsteten Soldaten, in dessen Schutzbrille und Tarnanzug sich abermals US-Flaggen spiegeln, lässt vermuten, dass der Roman außer Patriotismus und einer amerikanischen Heldengeschichte nichts zu bieten habe. Wer dieses Werk nach dem Einband beurteilt, ist jedoch auf dem Holzweg. Das Cover der Originalausgabe, die bereits 2013 in den USA erschien, ist viel zurückhaltender gestaltet, zeigt einen Soldaten im Schatten vor einer untergehenden Sonne und verzichtet dabei gänzlich auf eine Flagge. Dies wirft die Frage auf, ob das Cover der deutschen Ausgabe gezielt ein Klischee bedienen will. Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung in Deutschland gibt Raum für Vermutungen. Bedenkt man das Thema des islamistischen Terrorismus, das durch die Krise in Syrien, das Aufkommen des sogenannten ‚Islamischen Staates‘ und die Attentate in Frankreich und Belgien wieder brandaktuell geworden ist, so passt ein Buch in die Zeit, welches sich mit dem Afghanistanfeldzug der USA als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 befasst. Darüber hinaus stehen noch im Herbst 2016 Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten an. Dabei geht ein republikanischer Kandidat ins Rennen, der mindestens genauso polarisiert wie George W. Bush, nach dessen Präsidentschaft das Ansehen der USA gerade in Deutschland sehr gelitten hat. Auch ein New- York-Times-Artikel über genau die Spezialeinheiten der US-Navy, die auch in Sniper Elite Zentrum der Handlung sind, wurde von deutschen Magazinen wie Spiegel, Welt und Focus erst im vergangen Jahr aufgegriffen, mit teilweise kontroversen Überschriften wie: „Team 6 der Navy Seals, die ‚Menschenjagd-Maschine‘.“ Ob der Veröffentlichungszeitpunkt der deutschen Ausgabe tatsächlich im Zuge dieser aktuellen Themenkomplexe kalkuliert ausgewählt wurde, bleibt natürlich eine Vermutung.

Heißt dies denn nun, man bekommt hier keine patriotische Heldengeschichte über einen unverwundbaren, allmächtigen amerikanischen Helden? Die Antwort ist ein klares ‚Jein‘. Die Handlung der Geschichte ist schnell erzählt und erinnert tatsächlich ein wenig an Hollywood. Master Sergeant Gil Shannon ist ein Scharfschütze der US-Navy Seals und somit Mitglied einer der am besten ausgebildeten Spezialeinheiten der Welt. Während des Afghanistanfeldzuges der USA erfährt er von der Entführung und Folterung einer befreundeten Hubschrauberpilotin durch feindliche Taliban-Kämpfer. Als die erste Rettungsmission fehlschlägt, unternimmt der Protagonist zusammen mit ein paar ausgewählten und eingeweihten Helfern, ohne das Wissen und gegen die Anweisungen von Geheimdienst, Regierung und Militärapparat, einen zweiten Versuch, seine Kameradin tief im Feindgebiet zu finden und zu befreien. Führt man sich als Leser jedoch vor Augen, dass es solche verdeckten Einsätze tatsächlich fernab von Medienberichten und Hollywood-Glamour in einigen Krisenherden der Welt gab und gibt, wird die Geschichte deutlich spannender und glaubwürdiger.

Die wirkliche Spannung und die eigentlichen Stärken des Werkes liegen jedoch im Subtext und in seiner Erzählstruktur. Zwischen Vorwort und Epilog warten ganze 67 Kapitel auf den Leser, die jeweils eine Länge zwischen etwa zwei und zwölf Seiten haben. Dadurch werden sowohl Handlungsort als auch Handlungszeit mit hoher Frequenz verändert, was den Spannungsbogen gekonnt aufbaut und erhält. Hier zahlt sich die Konsultierung eines literarisch bewanderten Co-Autors definitiv aus. Die Handlung verläuft im Grunde chronologisch, jedoch wird ein Ereignis oft aus mehreren Blickwinkeln dargestellt, wobei mit der Zeit, zu der ein Kapitel im Bezug auf das letzte einsetzt, häufig gespielt wird.
Außerdem stellt der allwissende Erzähler neben dem Protagonisten viele verschiedene Personen vor, die am Geschehen beteiligt sind. Zu Beginn ist es dadurch manchmal schwer, den Überblick über Namen und Dienstgrade oder Positionen zu behalten, doch hat man sich einmal eingelesen, wird aus Verwirrung nur noch Spannung, Freude, Mitgefühl, Unverständnis oder Wut, je nachdem welche Charaktere das Kapitel gerade behandelt. Der Ausgang der Geschichte ist ambivalent. Man bekommt ein Stück weit das erwartete, aber durch die Erzählstruktur nicht sicher geglaubte Happy-End, andererseits hinterlässt eben dieses auch einen bitteren Beigeschmack.

Sicherlich kann man den Roman als ‚einfachen‘, jedoch guten Thriller zur Unterhaltung betrachten, der sich in diesem Genre nicht hinter den Werken von Tom Clancy verstecken muss. Allerdings weist Sniper Elite. Ein One Way Trip darüber hinaus auch starke Parallelen und Bezüge zu dem von Clint Eastwood verfilmten New-York-Times-Bestseller American Sniper auf. Dies verwundert nicht, da Scott McEwen dem Navy-Soldaten Chris Kyle bei dessen Autobiographie als Co-Autor zur Seite stand. Und somit werden auch hier für den Leser Themenkomplexe zum Weiterdenken eröffnet. Wie gehen Soldaten und deren Familien mit dem Einsatz und der ständigen Gefahr des Todes um? Wie kann ein und dieselbe Person Ehemann und Vater im zivilen Leben und tödlicher Experte im Kampfeinsatz sein? Solche Fragen schwingen bei der Lektüre von American Sniper und auch Sniper Elite. Ein One Way Trip unterschwellig mit und der aufmerksame Leser kann nicht umhin, zumindest Respekt vor diesen Menschen, ihren Aufgaben und ihren Opfern zu bekommen. „Marie wusste, dass ihr Mann Geister in sich trug, die er tief versteckte“ wird über Gil Shannons Ehefrau an einer Stelle gesagt, was durchaus an Platons Ausspruch „Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen“ erinnert. Alles in allem handelt es sich hier um ein spannendes Werk, das einen Einblick in eine Welt gewährt, die Außenstehende nach der Lektüre eines solchen Romans vielleicht etwas besser verstehen,  jedoch kaum wirklich begreifen können. Das Buch ist sicherlich auch eine Art von gesellschaftlicher Trauma – bzw. Kriegsverarbeitung und reiht sich damit neben Werken wie Rambo, The Things They Carried oder Black Hawk Down ein, die die Verarbeitung des Vietnamkrieges oder des Somaliaeinsatzes thematisieren. Sniper Elite. Ein One Way Trip illustriert somit literarisch, dass für Soldaten, wie den fiktiven Gil Shannon oder den realen Chris Kyle, nach dem Einsatz vor dem Einsatz ist und zelebriert damit das Motto der US-Navy Seals: ‚Der einzig leichte Tag war gestern‘.  

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Scott McEwen / Thomas Koloniar: Sniper Elite. Ein One Way Trip.
Festa Verlag, Leipzig 2016.
442 Seiten, 13,95 EUR.
ISBN-13: 9783865524393

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