Niederländische Mühlengeschichte in Ostfriesland
Heino Kok über die Historie einer ehemaligen Klostermühle bei Leer
Von Lina Schröder
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie vorliegende Publikation, Geschichte der ehemaligen Mühle vom Kloster Thedinga bei Leer, ist ein Nebenprodukt jahrelanger Nachforschungen zu den Vorfahren des Autors Heino Kok, welche diesen immer wieder zur ehemaligen Mühle des Benediktinerklosters Thedinga bei Leer führten. Insgesamt vier Kapitel, darunter Einleitung und Schlusswort, schildern einerseits die Rezeption der Windmühle und zeichnen andererseits ihre Geschichte mit den dazu gehörenden Müllerfamilien chronologisch nach. Das Werk wird durch eine Zeittafel, ein Bildverzeichnis und ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis abgerundet.
Das erste Kapitel beschreibt die klösterlichen Anfänge der Bockwindmühle bis zu ihrer Erbverpachtung. Den Ausgang stellt die Ubbo Emmius-Karte von Ostfriesland für das späte 16. Jahrhundert dar, in welcher der Standort der Mühle neben dem Kloster „Theding“ verzeichnet ist – der Autor vermutet daher, dass sie als Klostermühle dort eine Tradition besaß. Die dem Autor zufolge spärliche schriftliche Überlieferung, gelagert im Staatsarchiv Aurich, setzt jedoch erst im 17. Jahrhundert ein. Näheres über das Kloster selbst und dessen Aufgabe erfährt der Leser leider nicht. Kok vermutet lediglich, dass die Bockwindmühle bereits 1528 im Zuge der Säkularisierung in den Besitz des Grafenhauses von Ostfriesland in Aurich gelangte. 1662 ordnete die Regierung in Aurich an, die völlig baufällige Windmühle wieder in Stand zu setzen. Dem Landesherrn erschien die auf fünfzig Reichstaler geschätzte Renovierung jedoch so teuer, dass er nichts zum Erhalt der Mühle unternahm.
Der anschließende Abschnitt geht auf die ersten vierzig Jahre der dann einsetzenden Erbverpachtung ein. Seit 1699 wurden die Pächter dazu verpflichtet, die Mühle selbst zu unterhalten, anstehende Reparaturen eigenständig auszuführen sowie die Mühle im Falle einer Zerstörung durch Feuer oder Sturm selbst wieder aufzubauen. Als Gegenleistung für die hohen Renovierungs- und Unterhaltungskosten erhielten die Pächter eine Mühlenkonzession mit einem exklusiven Mahlrecht für den Bezirk. 1743 ersetzte der damalige Pächter Hinrich Albers die Mühle durch einen privaten Erdholländer, wie Kok im nächsten Unterabschnitt zu berichten weiß. Dieser Windmühlentyp, der in den Niederlanden vor allem als Windpumpe zur Entwässerung der Polder, im übrigen Europa als Getreidemühle Verbreitung fand, ersetzte insbesondere in den Niederlanden und in Norddeutschland seit dem 16. Jahrhundert die bis dahin gebauten Bockwindmühlen. Albers verzichtete infolgedessen auf das Privileg einer Privatmühle und bot eine jährliche Erbpacht von 48 Reichstalern auf seine neue Mühle an, wenn sie weiterhin mit einem Exklusivrecht ausgestattet werde. Dies hatte zur Folge, dass in den umliegenden Dörfern keine weitere Mühle errichtet wurde. Das Risiko, bei einem Verlust der Mühle durch Feuer dem finanziellen Ruin entgegen zu gehen, verminderte sich am 23. April 1779 mit der Gründung der „Mühlenbrand-Societät für Ostfriesland und Harlingerland“, eines freiwilligen Zusammenschlusses aller Mühlenbesitzer zum Zwecke der privaten Feuerversicherung.
Mit dem Sieg Napoleons 1806 wurde Ostfriesland niederländisch, weswegen ab sofort das niederländische Mühlenrecht in Ostfriesland seine Gültigkeit erhielt. In einem nächsten Schritt gerieten 1810 die Niederlande zusammen mit Ostfriesland unter französische Verwaltung, damit einhergehend galten in Ostfriesland − auch im Mühlenwesen − nun die französischen Rechtsgrundsätze. Eine Neuerung war unter anderem die eingeführte Gewerbefreiheit, welche die alten Beschränkungen durch die Landesherren ablöste. Alle baulichen Maßnahmen und Neubauten waren nun gegen eine Gebühr möglich; demzufolge entfielen besondere Kenntnisse, die vorher unabdingbar waren. Dies führte zu einem regelrechten ‚Windmühlenboom‘.
Nach dem Wiener Kongress gehörte Ostfriesland zu Hannover. Die ehemalige Klostermühle wechselte jetzt häufig den Müller, da die Gewerbefreiheit erhalten blieb. Zugleich verbesserten sich durch das mit der Industrialisierung einsetzende wirtschaftliche Wachstum die allgemeinen Lebensbedingungen. Auch das Müllergewerbe erlebte erneut einen Aufschwung und die Klostermühle wurde 1881 als einstöckiger Galerieholländer neu gebaut.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin setzte allmählich das Sterben des dezentralen Müllergewerbes ein. Neue Kraftquellen in Form der Dampfmaschine, dem Dieselantrieb und später dem Elektromotor ließen eine neue Mehlindustrie entstehen. Viele Windmühlen mussten sich auf die Futterschrotproduktion für die ländlichen Nischenmärkte verlagern. Einen weiteren Einschnitt stellte der Erste Weltkrieg dar. 1930 war die Stromversorgung im Landkreis Leer weitgehend abgeschlossen, Kok nimmt an, dass auch der Galerieholländer über einen Elektromotor verfügte. Der Müller konnte nun unabhängig vom Wind arbeiten, was jedoch zugleich auch die Instandsetzung beschädigter Mühlenteile hinausgezögerte.
Mit der Übernahme der Regierung durch die Nationalsozialisten veränderte sich das Mühlenrecht erneut: Ab September 1933 gab es bei der Getreideverarbeitung mit dem Zusammenschluss aller Mühlen eine Zwangswirtschaft. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft legte fest, welche Getreidemengen die einzelnen Mühlen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes kaufen und verarbeiten durften. In der Konsequenz wurde die Klostermühle vorübergehend stillgelegt. In der Nacht vom 10. auf den 11. März 1947 brannte sie schließlich ab. Über die Brandursache kann, so Kok, nur gemutmaßt werden: Der Gutachter schloss Brandstiftung aus, er vermutete hingegen, das eine elektrische Leitung oder ein Funkenflug der vorbeifahrenden Eisenbahn das Feuer entfachte. Der erhalten gebliebene steinerne Mühlenstumpf wurde 1946 neu überdacht und bis 1960 als Motorwindmühle genutzt, anschließend als Gaststätte betrieben. Seit 1995 fungiert sie als Wohnraum, Teile des Wirtschaftsgebäudes werden gewerblich genutzt.
Koks Darstellung bietet eine interessante Reise in die Vergangenheit. Als Gegengewicht zu den zahlreichen Namen der Pächter hätte die Rezensentin an einigen Stellen allerdings gerne noch etwas mehr über die einzelnen Mühlentypen und ihre Entwicklung erfahren.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen