Der Uhrmacher von Stockholm

Mit „Sieben minus eins“ kehrt der schwedische Bestsellerautor Arne Dahl den globalen Schauplätzen, die seine beiden bisherigen Romanserien prägten, den Rücken zu

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sieben Mädchen sind verschwunden. Alle 15 Jahre alt. Eines wurde vor seiner Schule abgefangen. Ein anderes verschwand gemeinsam mit seinem Freund. Eines war wohl gerade fest entschlossen, sich das Leben zu nehmen, als es dem Kidnapper in die Hände fiel. Glück im Unglück, sollte es noch leben. Sieben junge Menschen auf der Schwelle zum Erwachsensein – und niemand weiß, wo sie abgeblieben sind. Es gibt keine heimlich geschmuggelten Kassiber, keine verwertbaren Spuren oder Täterbeschreibungen, keine Leichen. Nur Samuel Berger, Held der mit Sieben minus eins beginnenden neuen Thrillerserie von Schwedens Bestsellerautor Arne Dahl, hat eine Theorie. Aber niemand nimmt ihm die ab. Und über die kleinen Zahnräder, die er jeweils an den Orten entdeckt, wo der Täter die Mädchen für eine Weile festgehalten zu haben scheint, kann er mit keinem Menschen sprechen. Denn er selbst ist zu tief verwickelt in den Fall, der zu der Zeit begann, als Berger selbst ein 15-jähriger Schüler war.

Nach der zehnbändigen Reihe um die sogenannte A-Gruppe, eine Spezialeinheit der Stockholmer Kriminalpolizei, die sich Verbrechen mit transnationalem Hintergrund widmet, und vier Romanen um eine von Brüssel aus operierende europäische Sondereinheit, die der Globalisierung des Verbrechens mit neuen, international ausgerichteten polizeilichen Strukturen und Befugnissen entgegentritt, kehrt Arne Dahl mit dem ersten Band seiner neuen Thrillerserie nun an den Schauplatz Schweden zurück. In einem „Spiegel Online“-Interview mit Anne Haeming begründete der 1963 als Jan Lennart Arnald geborene und neben seiner Schriftstellerkarriere als Literaturwissenschaftler für die den Nobelpreis vergebende Schwedische Akademie arbeitende Autor die Neuausrichtung seines Schreibens folgendermaßen: „Ich ertrug es nicht mehr, so viel über das reale Böse nachzudenken. Ich beschloss, meine Geschichten kleiner zu machen. Deshalb gibt es nun eine neue Serie. Sie ist anders als all meine Krimis zuvor.“

Vor allem hat Arne Dahl in Sieben minus eins das Personal reduziert. Zu Beginn des Romans scheint sich alles nur um Sam Berger und dessen Überzeugung zu drehen, zum ersten Mal in der schwedischen Kriminalgeschichte einem Serienkiller auf der Spur zu sein, den er „das Aas“ nennt. Weil erst im Laufe der Handlung klar wird, dass man hinter einem Psychopathen her ist, der nicht eines, sondern sieben Mädchen entführt hat, sieht sich Dahls Protagonist einer Phalanx des Unglaubens gegenüber. Ein Serienmörder in Schweden? Undenkbar!

Und doch hat Berger nur allzubald den Beweis in Händen, dass die Fälle der verschwundenen Mädchen, hinter denen seiner inneren Überzeugung nach ein und dieselbe Person steckt, tatsächlich alle miteinander zu tun haben. Denn auf Tatort- und Pressefotos entdeckt er immer wieder eine junge Frau mit Fahrrad. Kann sie Hinweise auf den Täter geben, ist sie dessen willenlose Gehilfin oder versteckt sich hinter dem hübschen, stupsnasigen Gesicht gar eine weibliche Serientäterin? Als sich Dahls Kommissar und die sich Nathalie Fredén nennende Unbekannte schließlich gegenüberstehen, beginnt mit dem Verhör dieser scheinbar aus allen gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen herausgefallenen, kaltblütig und geheimnisvoll agierenden und offensichtlich tief in den Fall verstrickten femme fatale eines der besten Psychoduelle, die Dahl je geschrieben hat.

Überhaupt bewegt sich Sieben minus eins artistisch mindestens auf der Höhe der besten jener zehn A-Gruppen-Romane, die den internationalen Ruhm ihres Autors begründeten. Wie ein perfekt funktionierendes Uhrwerk greifen die einzelnen Erzählstränge ineinander. Und Uhren sind sowohl die Obsession des Kommissars wie des Täters, die Zeit spielt im Roman, der an einem Sonntag im Oktober einsetzt und genau eine Woche später, am 1. November, endet, eine große Rolle und mit Zahnrädchen aus einem teuren Uhrwerk lockt der Psychopath seinen Verfolger hinter sich her. Der Roman ist durchrauscht vom zitternden Laub der Espe, jenes Baums, der im Volksglauben einst Furcht und Bangen symbolisierte, der durch seine starke Verwurzelung im Boden aber auch für Widerstandsfähigkeit, innere Stärke und Schutz steht. Wie der Autor seine beiden das Buch tragenden Helden einführt, ist meisterhaft. Und ganz am Ende hat er tatsächlich noch einen Cliffhanger auf Lager, der uns einen nächsten Roman um Dahls neue Helden nicht nur in Aussicht stellt, sondern auch die Richtung andeutet, aus der zukünftige Schrecken kommen könnten. Ob es alles in allem wieder zu den seit Sjöwall/Wahlöös berühmten Dekalog (Roman über ein Verbrechen, 1965–1975) für nordeuropäische Krimiautoren fast zur Pflicht gewordenen zehn Bänden wie bei der A-Gruppe reichen wird oder das aktuelle Unternehmen wie das vorhergehende eher abgebrochen wird, ist im Moment wohl noch offen. Auf alle Fälle aber ist der Anfang verheißungsvoll.

Der Kritiker der „Welt“ hat sich – bei aller Zustimmung zur formalen Meisterschaft Dahls – vehement gegen dessen Manie ausgesprochen, Tötungsmaschinen zu erfinden, die mehr an das Universum des Hieronymus Bosch erinnern als dass sie notwendige gegenwärtige Zwecke erfüllen. Und sicher ist Elmar Krekeler im Recht, wenn er gerade in Arne Dahl einen der Pioniere des im gegenwärtigen Thriller feststellbaren „Überbietungswettbewerb[s] an Grausamkeit“ sieht. Vergleicht man den Schweden allerdings mit deutschsprachigen Schreckensmeistern wie Sebastian Fitzek, Zoran Drvenkar oder Bernhard Aichner, dann muss man schon – von der literarischen Könnerschaft einmal ganz abgesehen – feststellen, dass die in Leonardo-da-Vinci-Manier konstruierten Mordgeräte des Schweden zwar wirklich furchterregend sind, aber ihre Entstehung mehr dem den jeweiligen Roman durchziehenden dichten Bildgeflecht als dem Verlangen zu schockieren verdanken. So wie die mörderischen Uhrwerke in Sieben minus eins eben – aber zu viel verraten wollen wir an dieser Stelle lieber nicht.

Titelbild

Arne Dahl: Sieben minus eins. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps.
Piper Verlag, München 2016.
414 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783492057707

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