In der Tiefe menschlicher Gefühle

„Outline“ gewährt einen Einblick in die feinsten Strukturen unserer Gesellschaft

Von Rebekka DietzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rebekka Dietz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in England lebende, kanadische Romanautorin Rachel Cusk stellt in ihrem neuen Roman „Outline“, welcher der Auftakt zu einer Trilogie ist, das Beziehungsgeflecht der modernen Gesellschaft dar. Der Roman erzählt die Geschichte der geschiedenen Mutter Faye, deren Namen man erst auf den letzten Seiten erfährt und auch von ihrem Leben bekommt man nicht viel mit. Im Roman begibt sie sich auf eine Reise nach Athen, um einen Schreibkurs zu leiten und lernt auf dem Flug ihren Sitznachbarn näher kennen; so erfährt sie viel über sein vielschichtiges Leben. In Griechenland angekommen, trifft sie Freunde, Bekannte und die Teilnehmer ihres Kurses. Bei all diesen Begegnungen vertrauen ihr die Menschen ihr persönliches Schicksal an. Wie schon der Titel besagt, der auf Deutsch so viel wie umreißen heißt, zeichnet die Autorin skizzenhaft die Geschichten ihrer Figuren. Dabei stellt sich dem Leser wiederholt die Frage, was Einbildung, Wirklichkeit oder Traum ist, sodass diese Frage zum Leitmotiv des Romans wird.

Cusk gilt in der literarischen Szene als Pionierin der „schlechten Mütter“, da sie in ihren vorherigen Romanen autobiografische Themen wie Scheidung und das Leben als junge Mutter kritisch und schonungslos ehrlich thematisiert hat. Die Rolle der Frau und das Verständnis von Mutterschaft kritisiert Cusk ebenfalls und das mit deutlichen Worten: „Eine solche Frau ist nichts als ein Schmarotzer, ein Schmarotzer am Mann und am Kind.“ Diese Worte legt sie einer ihrer weiblichen Figuren in den Mund, als diese sich über Frauen echauffiert, die sich rein über ihre Rolle als Ehefrau und Mutter definieren. Die Erzählerin Faye beginnt am Anfang des Romans ihr Leben von neuem. Sie hat alles hinter sich gelassen, ihre Ehe, ihre  und ihre Identität. Damit impliziert die Autorin die zuvor erwähnte Kritik an der Rolle der Frau als Mutter. Erst im Laufe des Romans bildet sich ein ungenauer Umriss der Erzählerin, die ihre neue Persönlichkeit durch die Begegnungen mit ihren Gesprächspartnern zu entwickeln beginnt. Doch der Autorin gelingt es bis zuletzt nicht, im richtigen Maße eine Vorstellung von der Person Faye zu vermitteln.

Ebenso schildert sie in „Outline“ auf eindrucksvolle und geistreiche Weise verschiedene Beziehungsproblematiken. Die Gesamtheit der Geschichten ergibt ein intelligent konstruiertes Tableau der heutigen Gesellschaft. Das Bild, das entsteht, ist jedoch ein durchweg pessimistisches. Dabei versteht sie es, einen erstaunlich realistischen Einblick in kaum merkliche, zwischenmenschliche Probleme zu geben. Das Seelenleben der nur kurz vorgestellten Figuren ist geradezu mikroskopisch genau beschrieben – und das in nur wenigen Worten. Man fühlt sich ertappt beim Lesen, denn jeder kann sich wohl in einer der Figuren wiedererkennen. Themen wie Selbstbetrug, Einsamkeit und der unrealistische Fortschrittsglaube, den die Gesellschaft unermüdlich propagiert, werden als unbequeme Wahrheiten angeprangert. Der Wunsch nach einem Neuanfang ist auf jeder Seite spürbar genauso wie Hoffnung und Ernüchterung, wenn die Realität hereinbricht.

Die Sprache ist zwar einfach gehalten, die durchgängig indirekte Rede stört jedoch ungemein den Lesefluss, da es unnatürlich erscheint, dass jemand unablässig Geschichten im Konjunktiv erzählt. „Outline“ begeistert mit klugen und kritischen Worten; andererseits ist es kein Buch, das durch raffinierte fortschreitende Handlung auffällt, was das Lesevergnügen etwas schmälert. Man hätte sich etwas mehr Geschehen gewünscht; so liest sich „Outline“ wie eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger interessanten Lebens- und Leidenswegen. Trotzdem ist es ein faszinierendes Werk, wenn man die Gabe der Autorin, die tiefsten Abgründe, Hoffnungen und Ängste der Menschen so feinfühlig zu beschreiben, bedenkt.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Rachel Cusk: Outline. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Eva Bonné.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
235 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518425282

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