Was vom Wissen übrig bleibt
Was passiert, wenn Medien über die Forschung berichten? Ein Sammelband gibt Antworten und bietet Anregungen
Von Sebastian Meißner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUnsere Gesellschaft dürstet nach Wissen. Gentechnik, Gesundheit oder Klimaforschung: Zeitungen, Rundfunk und vor allem das Internet versorgen uns in immer höherer Dosis mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Sozial- und Kommunikationswissenschaft in den USA und Europa haben sich in den letzten Jahren empirisch anspruchsvoll mit diesem Prozess der Medialisierung der Kommunikation über medizinisches und naturwissenschaftliches Wissen auseinandergesetzt. Dabei blieben einige Fragen offen: Welches wissenschaftliche Wissen ist anerkannt und gesichert? Wer sind die beteiligten Forscher und Experten? Wie und mit welchen Methoden und Verfahren wurde es gewonnen? Wie wird es durch Journalisten und PR-Funktionäre vermittelt?
Georg Ruhrmann, Sabrina Heike Kessler und Lars Guenther, die Herausgeber des Buches Wissenschaftskommunikation zwischen Risiko und (Un-)Sicherheit haben mit einem Team von AutorInnen genau diese Fragen ins Visier genommen. Dabei beleuchten sie nicht nur die Perspektive der Journalisten, sondern auch die der Forscher und Rezipienten sowie der Politik. So entsteht ein umfängliches Bild vom Status Quo des Wissenschaftsjournalismus und seiner Folgen.
Die Herausgeber schließen ihren einleitenden Aufsatz mit der Auflistung von elf Thesen, die sie zur Diskussion stellen. Darin findet sich auch ein Aufruf an die Politik, Anreize für kritische und nachhaltige Wissenschaftskommunikation zu geben und sich für längerfristig angelegte Erforschung von Qualitätsjournalismus einzusetzen. Der Ruf nach einer Moderation des verbreiteten Wissens wird gerade bei Online-Plattformen immer lauter. Immer wieder wird im Laufe des Buches die fehlende Transparenz und Kontrollierbarkeit von Behauptungen und Thesen problematisiert. Interessant sind auch die Ergebnisse von Markus Lehmkuhl und Hans Peter Peters, die in ihrer Untersuchung herausfanden, dass Journalismus nicht als Instanz infrage kommt, die zwischen konkurrierenden wissenschaftlichen Situationsbeschreibungen eine Wahl treffen kann. Die Berücksichtigung beziehungsweise Nichtberücksichtigung in journalistischen Publikationen, die eine Meinungsbildung zur Folge hat, geht oft auf subjektive Auswahlprozesse von Journalisten zurück. Gegenpositionen und Mehrdeutigkeiten werden übersehen oder der Einfachheit halber unterschlagen.
Dass dieses Vermittlungsproblem auch auf fehlende Zuständigkeiten auf Seiten der Forscher zurückgeht, zeigen Christoph Klimmt, Alexandra Sowka, Arne Sjöström, Lara Ditrich, Mario Gollwitzer und Tobias Rothmund in ihrem Beitrag „Wie Journalisten mit sozialwissenschaftlicher Evidenz umgehen: Erkenntnisse aus einem Workshop“. Sie sehen eine Chance zur Verbesserung der Kommunikation mit den Nachrichtenmedien in der verstärkten Einbindung von und Ressourcenallokation bei den wissenschaftlichen Fachgesellschaften sowie in einer gezielteren Ansprache von ausgewiesenen Wissenschaftsjournalisten anstelle von „Allroundern“.
Am Beispiel medizinischer Themen unternehmen Julia Serong, Marcus Anhäuser und Holger Wormer in ihrem Beitrag eine inhaltsanalytische Untersuchung von journalistischen Beiträgen, Pressemitteilungen und Fachpublikationen. Ein Direktvergleich von Pressemitteilung und journalistischem Beitrag zeigt, wie sehr Wissen in diesem Weiterverarbeitungsprozess bearbeitet, verändert und reduziert wird. Ähnliche Erkenntnisse liefert der Beitrag von Jörg Hassler, Marcus Maurer und Corinna Oschatz über die Darstellung der Ungewissheit klimawissenschaftlicher Erkenntnisse durch Wissenschaft, Massenmedien und Politik. Hier zeigt sich, dass Politik die Befunde – etwa aus dem fünften IPCC-Bericht – nur unvollständig und verfälschend verwendet, während die Massenmedien deutlich mehr Informationen vermittelten.
Angereichert durch weitere Texte – etwa zur Evidenzkraft von Bildern in der Wissenschaftskommunikation und zum Rezeptionsverhalten der Leser – entsteht ein sehr kurzweiliger, aufrüttelnder und spannender Band zu einem hochaktuellen Thema. Neben einer Bestandsaufnahme bieten die Zusammenfassungen und Ausblicke am Ende der jeweiligen Kapitel interessante Ansätze für weitere Forschungsfragen und -ansätze. Der mediale Umgang mit wissenschaftlicher Erkenntnis ist in Deutschland an vielen Stellen unzureichend – und führt daher oft zu Irritation und Misstrauen. Das vorliegende Buch zeigt dies eindrücklich und zeigt Wege auf, dies in Zukunft zu verbessern.