Kunst, die vom Leben kommt

Ein ausdrucksstarker Briefwechsel zwischen dem Schriftsteller Franz Fühmann und dem Bildhauer Wieland Förster gibt Auskunft über zwei eindrucksvolle künstlerische Persönlichkeiten unter erschwerten Bedingungen

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Franz Fühmann war ein längst etablierter Schriftsteller und Wieland Förster ein angesehener Bildhauer und Zeichner, als sie sich anlässlich einer Geburtstagsfeier des Dichters Erich Arendt im April 1968 erstmals begegneten.

Beide konnten auf bewegte Lebensläufe zurückblicken. Franz Fühmann, geboren 1922 im böhmischen Rochlitz an der Iser/Rokytnice nad Jizerou, war als junger Mann der SA beigetreten und während des Kriegs in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Eine ideologische Umschulung hatte aus dem Nazi einen begeisterten Stalinisten gemacht. Doch im Laufe der Jahre als Schriftsteller der DDR hatte sich zunehmende Desillusionierung eingestellt. Wieland Förster kam als Jugendlicher in den letzten Kriegswochen zunächst bei den Nazis wie auch anschließend beim sowjetischen Geheimdienst NKWD unter die Räder. Zu langjähriger Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt, kam er nach mehrjähriger Haft 1950 vorzeitig frei. Auch sein weiterer Weg hin zur bildenden Kunst war in der DDR von Abweisungen und Reglementierungen geprägt.

Diese biografischen Erlebnisse werden im vorliegenden Briefwechsel mit dem Titel „Nun lesen Sie mal schön“ nicht unmittelbar thematisiert, zumal in der DDR nie sicher war, wer alles mitliest. Nachdem sich im Laufe der Zeit eine Vertrautheit zwischen den beiden Briefpartnern eingestellt hatte, lassen sich zuweilen unterschwellige Andeutungen über die erlebten Widerfahrnisse in früheren Jahren finden.

Deutlicher hingegen fallen Äußerungen im Zusammenhang aktueller politischer Entwicklungen der 1960er- und 1970er-Jahre aus. In seiner ausführlichen Hinführung zur Lebensfreundschaft von Wieland Förster und Franz Fühmann gelingt es dem Herausgeber Roland Berbig unter Mitarbeit von Katrin von Boltenstern, diese zeitgeschichtlichen Brennpunkte im spannungshaften Bezug zu den beiden Kunstschaffenden in der DDR darzustellen.

Der Briefwechsel setzte 1968 mit der Zusendung der gesammelten Erzählungen König Ödipus von Fühmann an Förster ein. 1969 wirbt der Schriftsteller in spielerischer Weise mit weiteren Widmungsexemplaren um die Gunst der 1968 geborenen Eva Förster. Es folgen Grußkarten und Briefe, die an Intensität wie auch an Umfang zunehmen. Ganz offensichtlich hatten immer wieder Telefonate sowie auch persönliche Begegnungen stattgefunden. Vom „Sie“ zum „Du“ war man erst im Dezember 1973 übergegangen, als sich Fühmann in Försters Atelier eingefunden hatte. Es sollte fortan zu einer Tradition werden, dass sie sich wenigstens zur Jahreswende dort treffen.

Längst hatten sich beide Briefpartner sowohl in der Auffassung künstlerischer Arbeit wie auch in politischer Übereinstimmung verständigt. Bitter war bereits die gewaltsame Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 durch bewaffnete Truppen des Warschauer Paktes aufgestoßen. Weitere Rückschläge für alle kulturpolitischen Hoffnungen stellte sowohl die Ausbürgerung des kritischen Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 als auch die sich anschließenden Ausschlüsse von unbotmäßigen Kollegen aus dem Schriftstellerverband der DDR dar.

Fühmann und Wieland fühlten sich längst schon nicht mehr im kulturellen Leben eines Landes beheimatet, das von gesichtslosen Kulturbürokraten verwaltet wurde. Sie berichten einander von den zermürbenden Kämpfen mit der Zensur, die es offiziell ja nicht geben sollte, und kleinlichen Funktionären, die naturgemäß am längeren Hebel saßen. Förster spricht hier von „häßlichen Fliegen. Es sind keine Gegner, weil keine wirklich ausgebildeten Subjekte“. Gemeinsam leiden Sie an der Geistlosigkeit der Akademie der Künste der DDR. Immer wieder tauschen sie sich über den Sinn ihrer Arbeit aus, sprechen sich Mut zu und kommen im Weiteren auf politische Themen zu sprechen. So reflektieren sie unter anderem das Spannungsverhältnis der konkreten menschlichen Persönlichkeit in seiner Einbindung in gesellschaftlich geforderte Zwänge. Sie trösten sich in der Zuversicht, dass das unermüdliche künstlerische Arbeiten die beste Antwort auf die Herausforderungen der öden gesellschaftlichen und politischen Zustände in der DDR sei.

Um Abstand zu gewinnen, hatte sich Fühmann zum Schreiben in seine „Blechzelle“ zurückgezogen, eine mit Büchern und Papier vollgestopfte Garage rund 70 Kilometer außerhalb Berlins. Eine besondere Form des inneren Exils für einen, der es sich testamentarisch verbeten hatte, dass der damalige Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes zu seinem Begräbnis erscheint.

Authentisch überträgt sich die geladene Spannung, wenn von Anregungen zur künstlerischen Arbeit geschrieben wird. Beide haben füreinander ein offenes Ohr, gerade auch dann, wenn Ideen auf der Strecke blieben oder nur unter Aufbietung äußerster psychischer wie auch physischer Anstrengung verwirklicht werden konnten. Sowohl Förster als auch Fühmann kannten den Zustand körperlicher Erschöpfung und so manche Zeilen wurden im Krankenhaus verfasst. Das Schreiben war für Fühmann eine Qual, dabei konnte er einfühlsame Bücher für Kinder ebenso schreiben wie komplexe Essays.

Fühmann war ein Zerrissener und ist zeitlebens dabei geblieben, sich Zugänge zu erschweren. Sein letztes großes Projekt, die Abstrahierung und Verarbeitung des „Bergwerks“ mit all seinen Facetten ist letztlich gescheitert. Dennoch gehört er zu den Großen in der deutschen Nachkriegsliteratur. Ebenso hat Wieland Förster, der auch als Schriftsteller hervorgetreten ist, ein nachhaltiges Werk geschaffen.

Ausdrücklich hervorzuheben ist die sorgfältige Zusammenstellung des vorliegenden Bandes. Neben dem Briefwechsel, der von einem aufwendig recherchierten Anmerkungsapparat ergänzt wird, sind im Anhang wie zur Illustration dieser dargestellten Künstlerfreundschaft einige verstreut publizierte Texte und Interviews abgedruckt. Desweiteren ist ein Gespräch von Peter Liebers mit Wieland Förster wiedergegeben, das 1985 in der Zeitschrift „Sinn und Form“ erschienen war. Unverändert beeindruckend sind Fühmanns bereits 1977 erschienene Notizen zur Plastik „Arkadischer Akt“ von Förster. Noch heute erschließt sich dem Leser, mit welch sanfter Wucht die junge Frau dieser Plastik den Dichter Franz Fühmann einst erfasst hatte: „Derb, strampelnd vor Freude, in gesundester Bronzebräune schimmernd, arglos wie eine Frucht, heiter wie die Fülle der Schönheit und unverwüstlich wie jede Kunst, die vom Leben herkommt“.

Titelbild

Franz Fühmann / Wieland Förster: Nun lesen Sie mal schön! Briefwechsel 1968-1984.
Herausgegeben von Roland Berbig unter Mitarbeit von Katrin Boltenstern.
Hinstorff Verlag, Rostock 2016.
342 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783356020229

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