Vergiftete Psyche
Bettina Spoerri legt in ihrem autobiografischen Roman „Herzvirus“ die Schwierigkeiten im Zusammenleben mit einem psychisch erkrankten Elternteil dar
Von Nina Brasen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn dem aus zwei ungleich langen Teilen bestehenden Roman berichtet die Ich-Erzählerin vom Leben mit einer manisch-depressiven Mutter. Nach deren Tod versucht die Tochter, sich zum ersten Mal mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Die einzelnen Kapitel sind dabei lose erzählte Episoden, die den sich verändernden Zustand der Mutter beschreiben, mehr oder weniger chronologisch – in den Kapiteln sind immer wieder geschichtliche Verweise (Rote Armee Fraktion, Tschernobyl, etc.) zu finden, sodass man auch ohne genaue Jahreszahlen weiß, zu welcher Zeit die Handlung spielt –, immer erzählt aus Sicht der Tochter und in einer ihrem jeweiligen Alter angepassten Ausdrucksweise.
Da ist die starke Frau, die drei Kinder alleine erzieht und trotzdem Zeit für jedes von ihnen findet, die arbeitet und voller Lebensfreude und Energie ist, die Fünf-Kilo-Säcke Orangen die Treppe hinauf schleppt und ihrer Tochter eine Einschlafpuppe näht. Zunächst nur eingestreut finden sich auch hier schon immer wieder Hinweise auf ein psychisch ambivalentes Verhalten, beispielsweise die geradezu zwanghafte Kontrolle, ob der Gasherd aus ist, oder die Tatsache, dass sie Lebensmittel im Supermarkt nicht zurückstellen kann, wenn sie sie einmal angefasst hat – sie ist der Meinung, sie mit Gift kontaminiert und somit für alle anderen Menschen hochgradig ansteckend gemacht zu haben. Dieses Verhalten wird von der Tochter zu diesem Zeitpunkt nur als etwas merkwürdig wahrgenommen, vielleicht ist die Mutter besonders vorsichtig oder einfach unsicher. Erst später wird sich auch für die Tochter die psychische Komponente abzeichnen.
Diese etwa erste Hälfte des Buches liest sich etwas zäh. Nicht nur der Sprache wegen, die der eines Kindes entspricht, welches noch nicht alles begreifen und in Worte fassen kann.
In der großartigen zweiten Hälfte zeigt sich dann, weshalb der langsame, detailliert geschriebene Spannungsaufbau sinnvoll war. Es folgt eine Beschreibung dessen, wie sich die Mutter immer mehr in eine gebrochene, zerstörte Frau verwandelt, die mit den Folgen ihrer bipolaren affektiven Störung zu kämpfen hat. Die jetzt folgenden Seiten spiegeln nicht nur eine gute Recherche wider – über die verschiedenen Diagnosen bis zum Namen der Medikamente –, sie sind auch packend geschrieben. Es liest sich durchaus spannend, wie die Kinder und der neue Mann an der Seite der Mutter immer weniger mit ihr umzugehen wissen und wie schließlich der Stiefvater Konsequenzen zieht, die für alle Beteiligten Folgen haben werden. Das sich ändernde Verhalten der Mutter, der Umgang der Gesellschaft mit ihr und ihren immer irrationaler werdenden Ängsten und immer schneller aufeinander folgenden Schüben, das Verhalten der Psychiaterin, die nun einbezogen wird, all das liest sich hoch emotional, so kann man beispielsweise die Wut und Ohnmacht, die die Tochter angesichts der Situation empfindet, deutlich nachfühlen.
Die Sprache des Buches entwickelt sich ein Stück weit mit der Erzählerin. Auch die immer wieder eingestreuten musikalischen oder literarischen Verweise haben großen Anteil an der Wirkung des Buches, sie sind abgestimmt auf die Emotionen und Verhaltensweisen der beschriebenen Personen, vor allem der Ich-Erzählerin und der Mutter, und fügen sich nach und nach zu einem Großen und Ganzen zusammen.
„Herzvirus“ ist ein lesenswerter Roman, dem man eine Chance geben sollte. Er vermittelt einen emotional gefärbten authentischen Eindruck von dem Leben mit einem psychisch kranken Elternteil. Dieses Buch lässt den Leser mit dem fahlen Beigeschmack zurück: Was wäre, wenn…
Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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