Manierismus und Moderne

Christian Krachts Roman „Die Toten“ wirft mehr Fragen auf als er beantwortet

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein neuer Roman von Christian Kracht erscheint und die im Feuilleton geschürte Erwartungshaltung nimmt bisweilen unheimliche Züge an. Die wieder einmal perfekt geölte Marketingmaschinerie platziert den Autor Wochen vor dem Erscheinen des Romans in Denis Schecks Druckfrisch-Sendung, früh genug, um die euphorischen Worte des Kritikers auf den Buchrücken zu drucken. Warum das bei der Auseinandersetzung mit jenem Buch, das den mysteriösen Titel Die Toten trägt, von Bedeutung ist? Weil die mediale Inszenierung seit jeher ein vom Autor bewusst einkalkulierter Bestandteil seines ästhetischen Gesamtkonstrukts ist. Die Beschäftigung mit Christian Kracht ist nicht nur eine Beschäftigung mit seinen Büchern, es ist immer auch der Versuch, die Beweggründe dieses seltsamen, nicht greifbaren Menschen zu verstehen, ein Mann der Masken, ein Mann, der stets in einem Zustand anwesender Abwesenheit lebt. Und es ist eine Suche nach dem Grund für Krachts stetig wachsende Ablehnung der Moderne bei gleichzeitiger Hinwendung zum Archaischen. Im Fall von Imperium wurde, auch hier auf literaturkritik.de, viel über Georg Diez’ These diskutiert, Kracht sei ein ‚Türsteher rechter Gedanken‘; meist waren die Reaktionen empört, nicht selten wuchs diese Empörung jedoch, ein Armutszeugnis für große Teile des deutschen Feuilletons, aus der Unkenntnis sowohl von Krachts Gesamtwerk als auch dem Werdegang der Idee, die zu Imperium führte, heraus. Natürlich kann man, zu Recht, argumentieren, dass Krachts Spiel mit totalitärem, antimodernen Gedankengut ein bewusst inszeniertes ästhetisches Verwirrspiel war und weniger die Zurschaustellung einer neurechten Gesinnung. Wenn das so ist, ist zumindest auch der neurechte Chefideologe Götz Kubitschek darauf reingefallen, der nämlich nennt in einem Interview mit dem Soziologen Armin Nassehi Kracht als einen seiner Lieblingsautoren. Nun kann man sich seine Fans nicht aussuchen, und Kracht schien ja dem Vernehmen nach auch deutlich betroffen gewesen zu sein ob der Debatte, die um Imperium losgebrochen ist. Und doch: Was würde der Autor nun mit seinem neuen Roman dem Leser abverlangen? 

Zunächst wirkt Die Toten wie ein äußerst chaotischer, inkongruenter, asymmetrischer Roman. Aber kann das sein? Christian Kracht gilt als einer der größten Stilistiker der zeitgenössischen Literatur, nichts in seinen stets dünnen Büchern scheint zufällig, ungewollt oder gar redundant. Und doch sind die ersten zwei Drittel  dieses Romans voll von Redundanzen, von scheinbar ins Leere verschwindenden Anekdoten, von angefangenen Geschichten, die keine Weiterführung erfahren dürfen. Von Bildern, die um ihrer selbst willen projiziert scheinen. Warum etwa wird die Geschichte um den jugendlichen Amakasu nicht zu Ende erzählt und stattdessen plötzlich in sein Leben als Erwachsener  übergeblendet? Weshalb wird die Spur des japanischen Selbstmörders aus der Eingangsszene nicht weiterverfolgt? Und wieso wird am Ende des Romans plötzlich der weitere Werdegang von Ida beleuchtet, die zuvor allenfalls eine Nebenrolle gespielt hat? Der Leser merkt jedoch bereits am Vokabular, mit dem er versucht, dem Roman habhaft zu werden, dass es Kracht wohl weniger um literarische Stringenz geht, als um eine filmische narrative Konstruktion; und zwar nicht der seriell gewordenen Narrativität des Gegenwartskinos, sondern der Bildsprache jener Zeit des Umbruchs, als die Bilder sprechen lernten.

Und genau darum soll es ja auch gehen: Ein experimenteller Schweizer Stummfilmregisseur wird von der Ufa nach Japan beordert, um dort einen Vampirfilm mit Heinz Rühmann zu drehen. Der Regisseur weiß allerdings nicht, dass es wiederum der Wunsch seines japanischen Kollegen war, eine Kooperation mit Deutschland voranzutreiben, um die drohende amerikanische Herrschaft über den internationalen Filmmarkt (und damit die flächendeckende Einführung des Tonfilms) zu verhindern. Die Handlung, die sich daraufhin entwickelt, ist jedoch nur in Ansätzen stringent, vielmehr montiert Kracht Szene um Szene – teilweise unter Zuhilfenahme fast genussvoller Gewaltdarstellungen. Erst im letzten Drittel wird die Handlung linearer, wobei der eingangs erwähnte Perspektivenwechsel wiederum wie ein Verfremdungseffekt wirkt.

Was chaotisch anmutet, ist durchaus durchdacht strukturiert, doch zu oft – und das ist bei einem Kracht-Roman äußerst selten – langweilt er seinen Leser auch mit allzu ornamentierten Sätzen, die der Gedankenwelt seiner Protagonisten entspringen. Fast scheint es, als habe der Autor seine in Imperium dargebotenen Manierismen zum neuen Stilprinzip auserkoren, so wie ja auch sein Schriftstellerkollege Karl-Ove Knausgård  auf dem Klappentext unterstreicht. Es ist ein wenig wie bei jenem berühmten Spruch aus der Popkultur, der Kracht ja einst zugehörig schien: Früher war alles besser.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Christian Kracht: Die Toten. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
212 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783462045543

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