Ein Blick auf die deutsche Fernseh- und Kinolandschaft…

…und warum uns gute Filme entgehen

Von Sabrina IvenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabrina Iven

Wenn man an in Deutschland produzierte Filme denkt, fallen einem im TV-Bereich zunächst die typischen Krimiserien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein, die seit Jahren oder auch Jahrzehnten totgemolken werden: Ob Tatort (seit 1970), Ein Fall für zwei (seit 1981) oder Donna Leon (seit 2000), hat einmal ein Szenario Erfolg, gibt es den x-ten Fall für das immer gleiche Duo. Auch nicht unterschätzen sollte man Quotengaranten wie das Traumschiff, welches seit 1981 im ZDF läuft – mit mindestens einer Folge am Anfang und Ende eines jeden Jahres. Dazu kommen noch die allseits bekannten Sat.1-Schnulzen mit schmissigen Titeln wie Hangover in High Heels (2015), Verliebt, verlobt, vertauscht (2014) oder auch einfach nur Frauenherzen (2014), die nur noch von den über 100 Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen (seit 1993) übertroffen werden. Für den deutschen Kinofilm sieht es auch nicht besser aus, dominieren doch seit Jahren die berühmt berüchtigten Schweighöfer-Komödien die deutschsprachige Kinolandschaft, die in immer gleicher Manier das Schema F der Liebeskomödie abarbeiten und ohne jeglichen Esprit den vorherigen Film kopieren – seit 2011 sind das immerhin acht Stück.

Beim deutschen Serienmarkt sah es jahrelang nicht besser aus. Hin und wieder schaffte es eine Serie mal, fernab der Telenovela-Schiene aus dem deutschen Einheitsbrei herauszustechen, jedoch blieben Serien wie Danni Lowinski (2010–2014) eine Ausnahme. Das Jahr 2015 kann man sich jedoch rot im Kalender anstreichen: Mit Serien wie Club der roten Bänder, Blochin, Deutschland 83 und Weinberg ging ein Raunen durch die deutsche Fernsehlandschaft, es wurde wieder in höchsten Tönen über in Deutschland produzierte Serien geschrieben. Einige dieser Serien überzeugten nicht nur die Kritiker, sondern auch die Zuschauer: Deutschland 83 wurde sogar in den USA mit deutschen Untertiteln erstausgestrahlt und dort auch überaus positiv besprochen – konnte dann aber den hiesigen RTL-Zuschauer nicht fesseln und floppte quotentechnisch.

Interessanterweise thematisieren die genannten Serien völlig unterschiedliche Dinge, weshalb nicht einmal ein gemeinsamer inhaltlicher Faktor zu erkennen ist, der beispielsweise den „plötzlichen“ Erfolg erklären könnte: Die eine Serie handelt von jugendlichen Krankenhauspatienten, die andere folgt einem Polizisten in seine Vergangenheit, die dritte schildert die Geschichte eines DDR-Grenzsoldaten, der in die Bundeswehr eingeschleust werden soll, und in der letzten wacht ein Mann ohne Erinnerung auf einem Weinberg neben einer Leiche auf. Die Abkehr vom Altbekannten zahlt sich anscheinend aus. Können unsere Produzenten also doch gute Filme und Serien machen, die sich vor ausländischen Produktionen nicht verstecken müssen? Wagen wir uns vielleicht doch an Themen abseits des Mainstreams?

Das Festival des deutschen Films stellt dieses Jahr nicht nur die Serie Weinberg vor, sondern zeigt mit Sebastian Hilgers Wir sind die Flut (2015) noch einen anderen Vertreter des Mysterygenres. Ein deutscher Mysteryfilm, der wider Erwarten auch in einem norddeutschen Küstenstädtchen spielt. Mystery. Science-Fiction. Endzeit. Können wir so etwas überhaupt? Wir mögen es auf jeden Fall, das zeigen die Erfolge der US-amerikanischen Produktionen Akte X (1993–2002, 2016), Lost (2004–2010) und auch The Sixth Sense (1999) in Deutschland, die exemplarisch für das Mystery-Genre stehen. Die Serie Twin Peaks (1990-1991) hatte zwar zunächst keinen großen Erfolg hierzulande, gilt aber heute gemeinhin als die Mystery-Serie schlechthin und kann als Vorläufer von Akte X angesehen werden, welche in den 1990er Jahren einen Mystery-Boom hervorrief. Twin Peaks hat mittlerweile Kultstatus erreicht, lange wurde über einer Fortsetzung spekuliert, bis der US-Sender Showtime im Herbst 2014 bekannt gab, die Serie wiederbeleben zu wollen. 2017 wird Twin Peaks mit einer neuen dritten Staffel fortgesetzt.

Doch warum fesseln uns Mysteryfilme und -serien? Was bringt einen dazu, jede Woche wieder einzuschalten oder noch aktueller, was bringt einen dazu, eine Folge nach der anderen zu schauen? Bei solchen Filmen und Serien liegen die Hintergründe meist im Verborgenen, die Protagonisten sind meist genauso unwissend wie die Zuschauer und genau das lädt diese zum Mitraten und -fiebern ein. Mysteryfilme und -serien regen unsere Phantasie an, lassen uns genug Interpretationsspielräume und sorgen dafür, dass eigene Spekulationen nicht zu kurz kommen. Zudem profitiert das Genre davon, den Zuschauer stets überraschen zu können, weil es sich nicht an Fakten, Wahrscheinlichkeiten oder physikalische Gesetze halten muss. Spekulieren, mitraten und überrascht werden – dies alles sind Faktoren, die immer wieder dafür sorgen, dass die Zuschauer einschalten. Zudem reißen Mystery- und Science-Fiction-Serien aus dem Alltag, weil sie gerade Dinge präsentieren, die uns eben nicht passieren.

Man könnte meinen, dass sich deutsche Regisseure erst jetzt mit Weinberg und Wir sind die Flut an das Mysterygenre trauen, doch gab es seit der Jahrtausendwende immer wieder Filme, die sich mit Mystery, mit Aspekten des Übernatürlichen, Geheimnisvollen und Unerklärlichen beschäftigten. Die Tatsache, dass in den letzten Jahren Filme mit Science-Fiction und/oder Mystery-Einschlag gedreht wurden, zeigt, dass das Genre durchaus Regisseure und Schauspieler anspricht.

Science-Fiction kann von den unterschiedlichsten Dingen handeln: Katastrophe, Invasion, Dystopie oder Utopie. Wenn man sich jedoch anschaut, welchem dieser Gebiete sich der deutsche Film am häufigsten zuwendet, wird einem traurig zumute. Vor allem die Privaten wie RTL und Sat.1 widmen sich in regelmäßigem Abstand einer immer neuen Katastrophe: Ob Vulkanausbruch in der Eifel (Vulkan, RTL 2009), Kernkraftwerkunfall (Restrisiko, Sat.1 2011), Seuchen (Faktor 8 – Der Tag ist gekommen, Pro7 2009) oder die erneute Errichtung einer Mauer (Die Grenze, Sat.1 2010) – nichts anderes scheint Produzenten und Regisseure der Privaten zu interessieren. Die öffentlich-rechtlichen Sender waren zumindest 2010 ein wenig mutiger, als sie sich an der dystopischen Kinoproduktion Die kommenden Tage beteiligten, in der eine Welt von Rohstoffknappheit, Kriegen und Flüchtlingsströmen inszeniert wurde.

Mancher kann sich vielleicht noch an den Mystery-Monday auf Pro7 erinnern: 2009 bis 2011 produzierte Pro7 mehrere Filme für diesen speziellen Themenabend. Herausgekommen sind Titel wie Gonger – Das Böse vergisst (2009), Gonger 2 – Das Böse kehrt zurück (2010) und Schreie der Vergessenen (2011). Wer sich nicht erinnern kann, muss sich nicht grämen, die Filme gelten als allenfalls durchschnittlich bei zumindest soliden Zuschauerzahlen.

In den Annalen der Filmkritiker finden sich jedoch auch noch ein paar ganz andere Filme. Filme, die bei den Kritikern und Filmportalen überaus geschätzt wurden, jedoch am normalen Kinozuschauer vorbeigegangen sind. Michael Hanekes Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte wurde 2009 auf den 62. Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt, wo Haneke mit dem Hauptpreis des Filmfestivals, der Goldenen Palme, ausgezeichnet wurde. Zudem wurde der Film in zwei Kategorien (Bester fremdsprachiger Film und Beste Kamera) für den Oscar nominiert. Die Handlung des Schwarzweißfilms ist ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Norddeutschland angesiedelt und schildert mysteriöse Vorfälle im fiktiven Dorf Eichwald. Den deutschen Filmpreis bekam 2012 Julian Pölslers Literaturverfilmung von Maren Haushofers Die Wand, in dem eine namenlose Frau in den österreichischen Bergen von einer unsichtbaren Wand umgeben ist und isoliert von der Zivilisation zur Bäuerin und Jägerin wird. Der Vollständigkeit halber sollte man noch Alexandra Schmidts Erstlingswerk Du hast es versprochen (2012), Die Vermissten (2012) von Jan Speckenbach, Lost Place (2013) von Thorsten Klein und Lukas Väths Die Toten reiten schnell (2013) erwähnen.

Ganz aktuell ist Der Nachtmahr (2015), der erst im Sommer in den deutschen Kinos lief und sogar von den KritikerInnen der großen Zeitschriften überaus positiv aufgenommen wurde (Spiegel, Zeit, FAZ). Dabei kann der Film keinem spezifischen Genre zugeordnet werden. Ob Psychothriller, Horrorfilm oder Mysterydrama – der Film gefällt den Kritikern, weil er nicht dem Schema F folgt und vor allem mit seinen Bildern und Tönen überzeugt: Wer diesen Film schaut, wird vorher sogar vor den „blinkenden Lichtern“, „isochronischen Tönen“ und „binauralen Frequenzen“ gewarnt.

Nach einer großen Party erlebt die 17-jährige Tina seltsame Albträume, in denen sie einem abgrundtief hässlichen Wesen begegnet, mit dem sie sich wider Erwarten anfreundet.

Ebenso ungewöhnlich ist sicherlich auch Sebastian Hilgers Wir sind die Flut. Auch dieser Film lässt sich keinem eindeutigem Genre zuschreiben, er vereint Science-Fiction- und Mysteryelemente, ist zum Teil Dystopie wie auch Märchen. Nicht umsonst feierte Wir sind die Flut im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin in der Sektion Perspektive Deutsches Kino seine Premiere – denn er ist genau das: Ein frischer kreativer Ansatz, der dem deutschen Film neue Perspektiven aufzeigt: Im Zentrum des Films stehen die beiden jungen Physiker Micha und Jana, die sich mit dem Verschwinden der Flut an der Küste der fiktiven Stadt Windholm beschäftigen. Aber nicht nur die Flut ist verschwunden, sondern mit ihr auch die Kinder des Städtchens. Es geht um Stillstand, Trostlosigkeit und um die Verlorenheit einer Generation. Um die Alten, die reglos verharren und auf ihre Kinder warten – aber auch um die Hoffnung, die nicht stirbt. Wir sind die Flut ist ein Film, der sich mit überraschend vielen philosophischen Fragen beschäftigt. Eben ein Film abseits der Massen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen