Innenansichten einer romantischen Ehe

Nach den „Lehrjahren einer Liebe“ legt Hildegard Baumgart mit der „Geschichte einer ungewöhnlichen Ehe“ die Fortsetzung der Brentano-Arnimschen Paarchronik vor

Von Anett KollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anett Kollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was macht die Ehe der Arnims so ungewöhnlich, wie der Untertitel von Hildegard Baumgarts Bettina und Achim von Arnim es behauptet? Ein kurzer Blick auf Prominente ihrer Zeit zeigt, dass andere Verbindungen ebenso besonders waren: der geadelte Geheimrat und Christiane Vulpius, Schillers angebliche ménage à trois mit den Lengefeld-Schwestern, die offene Zweierbeziehung der Humboldts oder – familiär ganz nah – die Ehen von Clemens Brentano mit Sophie Mereau und Auguste Bußmann. All diese Ehen waren viel mehr als das, was Kant als „Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“ juristisch definierte. Vor dem Hintergrund der romantischen Idee von der Liebesehe war das Modell des Königsberger Junggesellen in seiner Metaphysik der Sitten ohnehin schon ein wenig unzeitgemäß und lebensfremd theoretisch. Der Ehestand hatte seine lebenswierige Verbindlichkeit verloren. Die Ehepraktiker probierten einiges aus und suchten nach Lösungen, Zweisamkeit und Selbstsein in Einklang zu bringen. Misstöne blieben dabei nicht aus. In diesem konfliktgeladenen Aushandeln von Nähe und Freiheit sind die Arnims ein Beispiel, nicht ungewöhnlich, eher typisch, aber – wie jede Ehe – besonders und einzigartig.

Hildegard Baumgart hat in Bettine Brentano und Achim von Arnim. Lehrjahre einer Liebe 1999 die Anbahnung dieses Lebensbundes beschrieben. Nun erzählt die Autorin – als Literaturwissenschaftlerin und langjährige Paarberaterin eine Frau vom Fach – die Doppelbiografie weiter und rückt das eheliche Zusammenleben der Arnims in den Mittelpunkt. Es ist ein Bund für’s Leben, den die 25-jährige Tochter aus wohlhabendem Frankfurter Patrizierhaus und der 30-jährige verarmte Baron am 11. März 1811 schließen. Oft wird behauptet, dass sie eine Ehe auf Distanz führten – sie in Berlin, er in Wiepersdorf. Die detaillierte Ehechronik zeigt jedoch, dass es immer wieder längere Phasen des Zusammenlebens gab. Der Verbindung entstammen sieben Kinder, die jüngste Tochter Gisela war erst drei Jahre alt, als der Vater 1831 wenige Tage vor seinem 50. Geburtstag starb.

Grundlage der historischen Eheanalyse ist die umfangreiche Korrespondenz, die das Paar in den Zeiten des Getrenntseins verfasste und die Gefühle, Launen und Konflikte zwischen den beiden im schriftlichen Dialog fixierte. Die Biografin entwickelt ein feines Gespür für die Stimmungen zwischen den Eheleuten. Zeitgeschehen und private Ereignisse hinterlassen ihre Spuren in den Briefzeilen und werden durch die Kapitel hindurch zu Wegmarken beim detaillierten Abschreiten des ehelichen Lebenslaufs. Von Beginn an werden die gegensätzliche Charaktere des Paares stark betont und festgelegt, eine schlüssige Fixierung, die dennoch eine biografische Interpretation ist. Unterschiedliche Temperamente und Lebensentwürfe treffen so aufeinander, werden verhandelt, verteidigt und – das mag das Besondere an diesem Paar sein – einander zugestanden. Bettinas vitales Interesse an einem gesellschaftlichen Leben in Berlin und Achims Verantwortung, den Gutsbesitz zu verwalten, bergen ein ständiges Konfliktpotential, das jedoch über alle Enttäuschungen und Entfremdungen hinweg von der tiefen Zuneigung der Eheleute aufgefangen wird. Immer wieder stehen ihre Rollen zur Debatte, ihre Pflichten und Neigungen: er als Gutsherr, Vater und Dichter, sie als Gutsfrau, Mutter und Künstlerin. Mehr als bei anderen Paaren ihrer Zeit gelingt es Bettina, sich dem Mitleben seines Lebens zu entziehen.

17 Jahre dauerte es, bis diese Fortsetzung der Paarchronik zur Veröffentlichung kam. Stoff und Text sind merklich gereift. Angenehm distanziert, ohne effektvolles Anekdotenhopping und aus der Logik der Situationen heraus vermittelt die Lektüre, geschickt ins Zeitgeschehen eingebettet, Konkretes zum Geschlechterverhältnis und zur historischen Ehepraxis. In der gegenseitigen Erhellung der Protagonisten anhand von Gemeinsamkeiten und Trennendem entsteht eine scharf profilierte Charakterstudie, die an der nicht selten schon vereinnahmten Bettina einige neue Einsichten offenlegt, vor allem aber dem oft vernachlässigten Achim angemessene Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt.

Titelbild

Hildegard Baumgart: Bettine und Achim von Arnim. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Ehe.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
748 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783458176619

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