Wenn auf den Weltuntergang ein Neubeginn folgt

David und Ulrike Ganz zeigen in einem anschaulich gestalteten Buch ‚Visionen der Endzeit‘ in mittelalterlichen Handschriften-Illustrationen

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel des Buches – ‚Visionen der Endzeit‘ – spricht für sich, verweist bereits auf das Wesentliche und trifft dabei ins Schwarze. Das vorliegende Buch kommt womöglich für den ganz großen Hype zu spät, ist gleichwohl nicht nur überzeitlich, sondern auch jetzt aktuell. Denn das Sujet der ‚Apokalypse‘ unterliegt was die Intensität des Interesses angeht selbstverständlich Schwankungen, ist aber nie völlig ‚out‘, eigentlich immer ‚in‘. Wer angesichts des vergangenen Millenniumswechsels vor leeren Konservenregalen stand, wird wissen, was gemeint ist. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, in welch größerem Maße ähnliche Befindlichkeiten in voraufklärerischer Zeit die Gemüter bewegten, und daher nimmt es nicht wunder, in welchem Maße die Furcht vor dem absoluten Ende gerade im Mittelalter immer wieder präsent erscheint.

Aber zurück zu den ‚Visionen der Endzeit‘. David und Ulrike Ganz haben eine repräsentative und für sich sprechende Zusammenstellung endzeitorientierter Illustrationen zusammengestellt, die auch uns Gegenwärtigen verdeutlichen können, in welchem Maße die Illustration des Weltuntergangs seiner Vergegenwärtigung zupass kommen kann.

Wenn die letztlich wenig inhaltsvolle Aussage, dass ‚ein Bild mehr sage als tausend Worte‘ ihrer Trivialität entkleidet wird, erlaubt ein Blick auf mittelalterliche Illustrationen des (Welt-)Endes wohl einen unmittelbareren Zugang, als dies für die Textlektüre gelten mag. Und genau in diese Richtung ‚funktioniert‘ das vorliegende Buch. Die Textbasis ist schmal, vielleicht sogar etwas zu schmal, auch wenn die gegebenen Informationen für eine erste und allgemeinere Information durchaus ausreichend sind.

Wenn explizite und in literaturgeschichtlichem Sinne differenzierend-dezidierte Zugänge zu den jeweiligen Vorstellungen vom Weltende erwartet werden, ist also die vorliegende Publikation nur bedingt geeignet, entsprechende Erwartungen zu erfüllen. Gleichwohl ist das Buch insofern zielführend als über die Kraft der Bilder – hier eben mittelalterlicher Illustrationen – das Wort im Vollsinne an Farbe gewinnt. Bekannte und weniger bekannte Darstellungen des Sujets werden in repräsentativer Weise vor Augen geführt, womit vielleicht weniger die Erwartungshaltung mittelalterlicher Rezipientenkreise – wer die Handschrift vor Augen hatte, dürfte auch des Lesens mächtig gewesen sein – als die unserer, durch Bilder dominierten (Medien-)Zeit bedient werden.

Beginnend mit der ‚Trierer Apokalypse‘ aus dem frühen 9. Jahrhundert, also der Karolingerzeit, sind die entsprechenden Codices bis zur ‚heimlich offenbarung iohannis‘ Albrecht Dürers vom Ende des 15. Jahrhunderts mit Illustrationen vertreten. Dabei wird das Buch in drei Abschnitte untergliedert, die mit gelegentlich irritierenden Hauptüberschriften versehen sind. Treffen ‚Offenbarung und Lektüre‘ für das frühe Mittelalter sowie ‚Zwischen Andachtsbuch und Statussymbol‘ für den Abschnitt zum späteren Mittelalter durchaus noch den Kern, wirkt die von den beiden Autoren für die Beispiele des 12. und 13. Jahrhundert gewählte Betitelung ‚Vom Picture Book zur Enzyklopädie‘ doch eher bemüht.

Das tut den gewählten Abbildungsbeispielen selbstverständlich keinen Abbruch, und hier sind die Autoren sorgsam und angemessen vorgegangen. Einige der Beispiele sind selbstverständlich auch an anderer Stelle schon publiziert worden, allerdings eben auch in anderen Kontexten, die nicht explizit auf die Apokalypse Bezug nehmen. Die weitgehend großformatigen, in Farbe gehaltenen, insgesamt 96 Abbildungen sind auf qualitativ ansprechendem Papier gedruckt, was sowohl der Optik, aber eben auch der Haptik wohltut.

Im Katalog werden Nachweise zum Ursprung und gegenwärtigem Aufbewahrungsort geliefert, eine zwar nicht vollständige, aber zumindest für eine auch etwas anspruchsvollere Orientierung zunächst ausreichende und ‚griffige’ weiterführende Bibliographie vervollständigen den Band. Zuvor werden unter der Betitelung ‚Literatur‘ der jeweiligen Apokalypse Basisliteratur, aber auch Hinweise auf Faksimileausgaben geliefert. Das ist gewiss ein Anreiz, zumindest in dem einen oder anderen Fall Vollständigkeit der Bebilderung anzustreben. Aber zunächst wird es das vorliegende und empfehlenswerte Buch auch tun. Angesichts des nicht allzu üppigen Anschaffungspreises werden die ‚Visionen der Endzeit‘ sicherlich ihre verdiente Verbreitung finden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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David Ganz / Ulrike Ganz: Visionen der Endzeit. Die Apokalypse in der mittelalterlichen Buchkunst.
Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2016.
160 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9783805349956

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