Ein Zeitzeuge des Dreißigjährigen Krieges

Jacques Callots Kupferstiche als Dokumente der Grausamkeit

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Warum kann ich mich an deinen sonderbaren fantastischen Blättern nicht satt sehen, du kecker Meister! – Warum kommen mir deine Gestalten, oft nur durch ein paar kühne Striche angedeutet, nicht aus dem Sinn?“ Dieses Zitat E.T.A. Hoffmanns ist Jacques´ Callots Kupferstichen vorangesetzt und beschreibt die ganze Faszination, die von seinen Werken ausgeht.

Heutzutage drängt sich angesichts seiner präzisen Schilderung der Grausamkeiten des Dreißigjährigen Kriegs auf diesen 18 Blättern die Parallele zu den Kriegen unserer Zeit auf. In diesen Bildern scheinen sich die Urerfahrungen von Vertreibung, Zerstörung, Vernichtung von Frauen, Kindern, alten Männern, aber auch die militärische Disziplin der Angreifer zu wiederholen und zu verdichten, die uns von täglichen Fernsehbildern zur Genüge bekannt sind.

Im Vordergrund der horizontal angelegten Kompositionen ist stets das Treiben der Soldateska und ihrer Offiziere geschildert, entweder in Reih und Glied marschierend oder in der Aktion des Gefechts, Überfälle begehend, plündernd, brandschatzend und mordend. Wir werden auch Zeuge verschiedener Hinrichtungs- und Strafaktionen gegen Delinquenten. Die unzähligen Figuren sind auf den Radierungen wie auf einem Wimmelbild bis zur Kleinsten von ihnen minutiös und detailliert ausgearbeitet, jede mit einer eigenen Bewegungsrichtung.

Die Städte, Häuser und Einrichtungen und ihre natürlichen Umgebungen bilden den Hintergrund des Geschehens, dessen Leserichtung durch angeschnittene Figuren oder Gruppen am linken Bildrand angezeigt wird. Der Himmel ist entweder ruhig und mit wenigen angedeuteten Wolken bedeckt, schräg aufsteigende wellige Linien deuten auf Rauch und Pulverdampf als Zeichen des Krieges hin.

Die Radierfolge führt uns inhaltlich von der Darstellung der Anwerbung der Soldaten und dem Alltag im Heer bis zur Verteilung der Belohnung an Offiziere und Soldaten durch den König. Auch die Rache der überfallenen Bauern an den marodierenden Soldaten findet Eingang in die Szenen. Über allem steht jedoch das Elend des Kriegs, wie es sich in den sich Dahinschleppenden, Zerlumpten, Krüppeln, Bettlern und Heimatlosen zeigt.

Unter den einzelnen Blättern stehen jeweils moralisierende Verse vom Abt Michel de Marolles (1600 – 1681), einem französischen Gelehrten und Sammler von Druckgrafiken. Diese kontrastieren aus heutiger Sicht stark mit dem Inhalt der Blätter. So lautet die Beischrift zu dem berühmten Blatt mit dem Baum der Gehenkten:

Uns zeigt das Diebsgesindel, das hier dicht gedrängt / wie unheilvolles Obst an einem Baume hängt, / daß das Verbrechen selbst (verrufne, finstre Sache) / schon sei ein Instrument der Züchtigung und Rache; / denn früher oder später stellt den Bösewicht / ein unerbittlich Los vors himmlische Gericht.

Gezeigt wird ein Baum, dessen Blätter aus Körpern von Delinquenten zu bestehen scheinen. Ein Priester nimmt noch schnell bei einem Opfer die Beichte ab. Eine Anzahl von Soldaten wohnt der Hinrichtung als Zeugen bei. Den Hintergrund bilden Armeeformationen mit einer unübersehbaren Anzahl von Soldaten und Speeren. Eine Figurengruppe im Vordergrund klammert sich an das christliche Kreuz in ihren Händen als einziges Symbol noch verbleibender Hoffnung.

Die von Callot entwickelte und virtuos beherrschte Radiertechnik beruht auf dem vernis dur, einem harten Firnis, den sonst die Lautenmacher verwenden und für die Zeichnung benutzt er eine échoppe, ein Gravierinstrument, mit dem er der zarten Linie der Radierung die Taille des Kupferstiches verleihen kann. Hiermit erreicht er eine bislang unbekannte Bewegtheit und Ausdruckskraft der Zeichnung. Zugleich gelingt es ihm, die Tonwerte sehr fein abzustufen, was seinen Kompositionen einzigartige Hell-Dunkel-Kontraste ermöglicht, aber durch die ständige Arbeit mit giftigen Dämpfen in seiner Werkstatt Callots Gesundheit bleibenden Schaden zufügen sollte.

Wie Bernd Schuchter in seinem gut lesbaren und informativen Nachwort schreibt, wurde Callot 1592 als Sohn des herzoglichen Wappenherolds im Herzogtum Lothringen in Nancy geboren. Er sollte Priester werden, ging aber stattdessen beim Hofmaler Israël Henriet und dem Goldschmied Demenge Crocq in die Lehre. Durch seinen Vater kannte er den Hof von Nancy recht gut und riss aus, um zum Sohn seines Lehrherrn nach Florenz und Rom zu reisen. Dort wurde er von Kaufleuten seiner Heimat erkannt und nach Nancy zurückgebracht. Infolge der Ernsthaftigkeit seines Wunsches Künstler zu werden, durfte er sich 1608 mit einer Gesandtschaft erneut auf den Weg nach Rom machen. Dort arbeitete er für das Theater, wo er den Sinn für die volkstümliche Derbheit der Commedia dell’Arte-Figuren entwickelte. Besonderes Interesse erweckten in ihm Bewegungen und Posen der Akteure.

Callot erlernte die Kunst der Radierung bei Philippe Thomassin, den er jedoch nach der Aufdeckung eines Verhältnisses mit dessen Ehefrau verlassen musste. Nun zog es ihn nach Florenz, einem Zentrum der Wissenschaften und Künste, wo er Parigi, dem Hofarchitekten und Ingenieur des florentinischen Großherzogs, bei Inszenierungen für den Hof zuarbeitete. Dies beflügelte seine Fantasie. In Großherzog Cosimo II. fand er einen Förderer und es gelang ihm, sich als Künstler zu etablieren. Auch lernte er in Florenz das Mikroskop kennen, das es ihm ermöglichte, seine Figuren bis in Stecknadelkopfgröße auszuführen. Nach dem Tod des Großherzogs kehrte er in seine Heimat zurück.

Dort schuf er für den Hof eine Radierfolge der Adligen und gründete eine eigene Familie. 1625 erhielt er den Auftrag der Infantin Isabella, die Belagerung von Breda auf einem großen Blatt darzustellen und reiste für Studien nach Brüssel und Antwerpen, wo er erstmals mit den Schrecken des Krieges konfrontiert wurde. Er erhielt noch zwei große Aufträge von König Ludwig XIII. Dann starb sein Vater an der Pest, die 1630 in Nancy zu wüten begann.

Er schuf eine Radierfolge zu den „Kleinen Schrecken des Krieges“, die offenbar eine Vorarbeit zu den „Großen Schrecken des Krieges“ darstellte und die gleichen Motive zeigt. Seit 1631 herrschte auch in Lothringen Krieg, das ausgerechnet von Callots Auftraggeber Ludwig XIII. überfallen worden war. In jener Zeit arbeitete Callot an seiner Radierfolge zu den „Großen Schrecken des Krieges“, deren Beischriften erkennen lassen, dass es sich um ein Propagadainstrument seines Auftraggebers, des Königs, zur Disziplinierung seiner Offiziere und Soldaten handelte.

Jener erteilte Callot auch den Auftrag, die Eroberung Nancys für ihn zu radieren, worauf dieser antwortete: „Ich bin Lothringer und will mir lieber den Daumen abschneiden lassen, als meinen Griffel dazu herzugeben, das zu zeichnen, was auf immer die Schmach meines Fürsten und meines Vaterlandes seyn wird.“

1635 starb Callot infolge seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Alter von 43 Jahren, wie er es sich bereits früher gewünscht hatte.

Seine Darstellungen des Kriegs erlangten solche Bekanntheit, dass sie auch in anderen Medien übertragen wurden. So konnte ich dieses Jahr in Schloss Chenonceau im Loire-Tal einen Kabinettschrank aus Ebenholz mit eingelegten Elfenbeintafeln bewundern, auf die man Callots „Große Schrecken des Krieges“ als geschwärzte Gravur übertragen hat.

Titelbild

Jaques Callot: Die großen Schrecken des Krieges.
Limbus Verlag, Innsbruck 2016.
62 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783990390948

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