Pazifistin, Feministin und Literatin

Der Sammelband „Literarischer Pazifismus und pazifistische Literatur“ würdig Bertha von Suttner anlässlich ihres 100.Todestags

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bevor im Spätsommer des Jahres 2014 mit zahlreichen Veranstaltungen und Publikationen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert wurde, war – allerdings ungleich weniger schlagzeilenträchtig – verschiedentlich dem 100. Todestag einer Frau gedacht worden, die wie wohl niemand sonst mit nie nachlassendem Elan hellsichtig vor dem großen Menschenschlachten gewarnt hatte. Die Rede ist natürlich von der am 9. Juni 1914, und somit sieben Wochen vor der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, verstorbenen Bertha von Suttner. Zu Lebzeiten wurde sie von MilitaristInnen gerne als „Friedensbertha“ oder gar als „Dicke Bertha“ verunglimpft.

Inzwischen allerdings ist Suttners Name nicht nur unter PazifistInnen hoch geachtet. Zu den dennoch nicht allzu zahlreichen, um nicht zu sagen viel zu wenigen Ehrungen und Gedenkveranstaltungen anlässlich Suttners 100. Todestag zählte eine internationale Fachtagung des Österreichischen Kulturforums Paris. Sie wurde im September 2014 in der französischen Hauptstadt abgehalten. Nun haben zwei der Veranstalter, Johann Georg Lughofer und Stéphane Pesnel, den dazugehörigen Tagungsband herausgebracht, der neben einem Grußwort von Ursula Plassnik, der Österreichischen Botschafterin in Frankreich, die Verschriftlichungen der teils deutsch-, teils französischsprachigen Vorträge enthält.

Sieben der insgesamt 16 Aufsätze sind in französischer Sprache verfasst. Eingeleitet wird der Band allerdings durch einen Beitrag von Mitherausgeber Lughofer, in dem er die noch immer geringe und höchst selten einmal positive Resonanz beklagt, die Suttner in der Wissenschaft und beim breiten Lesepublikum finde. Allein die Friedensforschung nehme immer wieder Bezug auf ihr Wirken. Erika Tunner betont hingegen die emotionale Wirkungsmächtigkeit von Suttners Roman Die Waffen nieder!. Marie-Claire Hoock-Demarle beleuchtet Suttners Vorstellung eines „werdenden Europa“. Jaques Le Rider informiert über Suttners fast vergessenes Engagement gegen den Antisemitismus. Anne Synnøve Simensen beleuchtet anhand des beiderseitigen Briefwechsels das Verhältnis von Suttner und Alfred Nobel. Den beiden intellektuellen PazifistInnen Suttner und Stefan Zweig gilt hingegen das Interesse von Aturo Larcati und Olivier Jahraus konstatiert, dass Suttner „keine Einladung zur Parallelaktion“ Musils erhielt. Christian Kirchmeier wiederum betrachtet „Suttner als Darwinistin“.

Mag Suttners Ruf als Pazifistin auch über alle Kriege und Schlachten des 20. Jahrhunderts hinweg noch bis in die Gegenwart hallen, so gilt Ihr Name als Schriftstellerin von jeher weit wenig klangvoll. Allzu oft wurde sie vielmehr als Autorin nahezu trivialer Tendenzliteratur, der wenig an ästhetischer Formulierkunst und literarischer Raffinesse gelegen sei, gering geschätzt. Erst in jüngerer Zeit wurden einige Stimmen laut, die dem widersprechen. Ihnen gesellen sich nun weitere von BeiträgerInnen des vorliegenden Bands hinzu, die ein besonderes Augenmerk nicht auf die Pazifistin, sondern auf die Literatin Bertha von Suttner legen. So geht Werner Wintersteiner dem „poetischen und politischen Pazifismus im Werk der Bertha von Suttner“ nach und erklärt die Triade von Liebe, Krieg und religiösen Fragen zu den drei „Grundthemen von Literatur seit alters her“. Eine doch recht fragwürdige Feststellung, die den Tod als großes literarisches Thema wenig überzeugend durch die Religion substituiert. Zu Recht allerdings bescheinigt er Suttners Roman Die Waffen nieder! – wie nur einige wenige andere vor ihm – eine „hohe Qualität“.

Besonders begrüßenswert aber ist, dass zwei der Beiträgerinnen nicht nur Suttners als literarisches Standardwerk des Pazifismus geltendes Hauptwerk in den Blick nehmen, sondern zwei weitaus weniger bekannte Zukunftsromane der pazifistischen Literatin: Das Maschinenalter (1889, ab der zweiten, noch im gleichen Jahr erschienenen Auflage mit dem Titel Das Maschinenzeitalter) und Der Menschheit Hochgedanken (1911).

Henriett Kovács‘ Beitrag „Zwei Zukunftsbilder des ewigen Friedens in Österreich-Ungarn“ stellt Suttners Maschinen(zeit)alter und Mór Jókais 1878 in deutscher Übersetzung erschienenen Roman des künftigen Jahrhunderts vergleichend nebeneinander, während Christa Gürtler laut dem Titel ihres Aufsatzes zeigt, wie Suttner „Frauenfrage und Pazifismus“ miteinander verband. Positiv ist zu vermerken, dass sie, die Ankündigung im Titel erweiternd, auch andere „ihr [Suttner] besonders wichtige Themen“ beleuchtet, als da wären „die Gleichheit zwischen Mann und Frau in allen Bereichen“, der „noch zu vollendende Fortschritt, der zu einer edlen Menschheit führen solle“ sowie „die notwendige Säkularisierung der Gesellschaft und der Erziehung“.

Hierzu boten sich Gürtler natürlich Suttners in der Zukunft angesiedelten Romane Der Menschheit Hochgedanken und Das Maschinen(zeit)alter an. Thematisch zählt Gürtlers Beitrag somit zu den interessantesten des Bands. Dies nicht nur, weil er anhand der beiden utopischen Romane, dem von der Autorin als „Essay“ apostrophierten Roman Das Maschinenalter und dem „Tendenzroman“ Der Menschheit Hochgedanken die „argumentative Verknüpfung von Frauen- und Friedensfrage analysiert“, sondern auch, weil Gürtler hierzu zudem Suttners Briefwechsel mit der österreichischen Feministin Irma von Troll-Borostyáni heranzieht. Hingegen lässt sie, ebenso wie auch Henriett Kovács, Forschungsarbeiten der letzten Jahre unberücksichtigt, die sich mit den Geschlechterkonstruktionen in Suttners utopischen Romanen befassen. So etwa die einschlägigen Abschnitte in der umfassenderen Monographie Utopias Geschlechter.

Angesichts der militanten Aktionen der englischen Suffragetten um Emmeline Pankhurst erstaunt zudem, dass die Pazifistin Suttner Gürtler zufolge neben den amerikanischen auch die militanten englischen Suffragetten als „Vorbilder für Emanzipationsbewegungen in Europa“ sah. Wie Suttner dieses Spannungsverhältnis zwischen ihrem eigenen Pazifismus und deren bis zu Bombenanschlägen reichenden militanten Aktionen auflöste, verrät die Autorin nicht.

Nicht nur Suttners Zukunftsromane, auch die Verbindungen der Pazifistin zur zeitgenössischen Frauenbewegung sind wenig bekannt. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass Henriett Kovács und Christa Gürtler sich diesem Thema widmen und so auch der Feministin Suttner zu ihrem Recht verhelfen. Anne-Laure Briatte-Peters untersucht zudem die sich mit Suttner befassenden Beiträge in deutschen Zeitschriften der zeitgenössischen Frauenbewegung und Evelyne Polt-Heinzl geht der Misogynie auf den Grund, die sich in Suttner gewidmeten Artikeln von Karl Kraus und – wenngleich weit weniger ausgeprägt – bei Stefan Zweig Bahn bricht. Denn wie Polt-Heinzl darlegt, krankten nicht nur die Polemiken von Kraus und Konsorten an einer „misogynen Grundstimmung“, selbst Zweigs „Würdigungsrede“ auf die verstorbene Suttner, setzt diese – wenn auch unbewusst – mit misogynen Klischees herab. Beschlossen wird der Band mit einem französischen Brief an Suttner aus der Feder von Victoria Fernandez-Montenegro von Schack.

Dass Suttner mit einer Tagung anlässlich ihres 100. Todestages gewürdigt wurde, hat die Pazifistin, Feministin und Literatin allemal verdient – und umgekehrt ist der aus den Tagungsbeiträgen hervorgegangene Band – trotz der einen oder anderen Schwäche – seinerseits der Geehrten würdig.

Titelbild

Johann Georg Lughofer / Stéphane Pesnel (Hg.): Literarischer Pazifismus und pazifistische Literatur. Bertha von Suttner zum 100. Todesjahr.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2016.
257 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783826056499

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