Der größte Rebell, den die deutsche Geschichte aufzuweisen hat
Eine bemerkenswerte und streitbare Luther-Biografie von Willi Winkler
Von Manfred Orlick
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Reformationsjubiläum rückt näher und die Publikationen dazu steigen sprunghaft an. Im Mittelpunkt Martin Luther und sein angeblicher Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517 an der Wittenberger Schlosskirche. Luther … der Mönch, der Lehrer, der Reformer, der Rebell, der Ketzer. Der Blick auf Luther war immer unterschiedlich, je nach Zeitgeist und Autor – und er ist es heute noch trotz intensiver Forschung und wissenschaftlichem Quellenstudium.
Der Journalist Willi Winkler (Jahrgang 1957) hat nun mit „Luther. Ein deutscher Rebell“ eine bemerkenswerte Biografie vorgelegt, die in der absurd klingenden Forderung gipfelt: „Die katholische Kirche sollte Martin Luther heiligsprechen“, denn ohne ihn hätte die katholische Kirche wahrscheinlich die damalige Zeit der Korruption nicht überlebt. Erst der Reformator hat sie mit seiner kirchlichen Erneuerungsbewegung dazu gezwungen, sich letztendlich zu erneuern. Dabei war Luther, nach Ansicht des Autors, ein „Rebell wider Willen“, der von dem, was er in Gang gesetzt hatte, überrollt wurde. Dennoch hat er sehr schnell begriffen, wie sich die allgemeine Empörung im Kampf gegen Rom und für den „rechten Glauben“ nutzen ließ.
Winkler zeichnet Leben und Wirken des Reformators in einer hochbrisanten politischen Weltlage zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach. Kaiser Maximilian träumte von einer Universalmonarchie, auf der Gottes Segen ruhen sollte. Neben der Kaiserkrone wollte er noch Papst werden. Es war eine Welt, die vom Geld regiert wurde. Alles hatte seinen Preis, jeder war käuflich. Auch die Erlösung hatte ihren Preis, und „nach gutem Kaufmannsbrauch war er genau festgelegt“. Es gab keine andere Zeit, die so von Furcht besessen war und die man gleichzeitig mit barer Münze lindern konnte. Dabei war die gottesfürchtige Korruption der Kirche keine Erfindung des beginnenden 16. Jahrhunderts, sondern hatte schon eine jahrhundertlange Tradition. Ablass konnte Seligkeit erwirken, besser als jedes Gebet. Doch dieser Ablass gab Luther hinreichend Gründe zum Protest und zur Veränderung.
Die zwanzig umfangreichen Kapitel porträtieren zwar den „Rebellen“ Luther, doch sie sind nicht chronologisch aufgebaut und somit keine durchgängige Biografie. Immer wieder hat der Autor historische Betrachtungen (Reichstag in Worms, Bauernkrieg, Schmalkaldischer Bund usw.) eingestreut, um Luthers Wirken in den Kontext der Geschichte einzubinden. So werden neben den theologischen Themen auch soziale und ökonomische Fragestellungen behandelt, die die Reformation unter verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Natürlich wird auch der Wahrheitsgehalt des Wittenberger Thesenanschlags abgeklopft. Als Reformator hat Luther die Geschichte Europas entscheidend geprägt, aber auch er selbst wurde von den Umbrüchen seiner Zeit geprägt. Dabei geht es Winkler nicht um eine allumfassende Darstellung der Reformation, sondern um einen Mann, namens Martin Luther, „der, ohne dass er es wusste und gar wollte, das Mittelalter beendete, indem er eine modifizierte Version der katholischen Kirche gründete.“
Auf den 600 Seiten entsteht ein facettenreiches Bild des Reformators und „Rebells“ Luther, wobei die Person und das Handeln Luthers anschaulich und nachvollziehbar dargestellt werden. Seine tiefe Religiosität, sein Bemühen, den Geist der Schrift zu verstehen und diesem Geist zu folgen, sowie sein Anteil bei der Entwicklung der deutschen Sprache – auch das alles erzählt Winkler sehr lebendig. Trotz der vielen historischen und wirtschaftlichen Hintergrundinformationen geht der rote Faden niemals verloren. Kritisch wäre allerdings anzumerken, dass Luthers Bauernfeindlichkeit und Antisemitismus nur als Randthemen angeschnitten werden. Winklers große und flott geschriebene Luther-Biografie, die durch eine mehrseitige Zeittafel komplettiert wird, führt selbst den theologischen Laien verständlich in das komplexe Geschehen der Reformation ein. Wer ergründen möchte, warum Luther so gehandelt hat, wie er gehandelt hat, der findet hier viele Ansätze und Antworten.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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