Kühl, nicht gefroren

Über Don DeLillos Kurzroman „Null K“

Von Peter KockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Kock

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Jeder will das Ende der Welt in der Hand haben.” Mit diesem kurzen, kryptischen Donnersatz hebt das neue Buch aus der Feder des 80-jährigen amerikanischen Autors Don DeLillo an. Geäußert wird er vom Vater des Ich-Erzählers, dem steinreichen New Yorker Finanzmagnaten und Vermögensverwalter Ross Lockhart. Im Original klingt diese Omnipotenzphantasie fast noch anmaßender: Everybody wants to own the end of the world. Der Übersetzer Frank Heibert, der seit fast 20 Jahren DeLillos Werk sensibel und gekonnt überträgt, mildert hier nicht ab, sondern bringt noch einen Nebensinn zum Klingen: Es geht darum, nicht nur die Welt zu beherrschen, sondern auch die Bedingungen des eigenen Todes zu kontrollieren, ja, den Tod außer Kraft zu setzen. Dieser Master of the Universe Ross Lockhart (in Wirklichkeit heißt er anders; er hat diesen Namen zu Beginn seiner Karriere angenommen, weil er ihm härter, amerikanischer und tougher klang) ist Stifter und Teilhaber eines irrwitzig anmutenden Forschungsprojekts am anderen Ende der Welt, in den Weiten der kirgisischen Wüste. Steinreiche Potentaten lassen sich dort künstlich in den Tiefschlaf versetzen mit dem Ziel, wenn die Forschung eines Tages so weit ist, biologisch verjüngt wieder aufzuwachen. Sein Sohn Jeffrey Lockhart, der Erzähler, reist nach Zentralasien zum militärisch abgeschotteten, teils unterirdischen, gegen Terror-, atomare und Cyberattacken sowie ökologische Katastrophen soweit als möglich geschützten zentralen Standort dieses Projekts, wo sich sein Vater und dessen zweite, todkranke Frau gerade in eine entsprechende Behandlung begeben wollen.

So weit der Aufriss dieses fünften kurzen Romans, den DeLillo nach seinem umfangreichen opus magnum Unterwelt (1997) veröffentlicht hat (darunter auch „Körperzeit“ und „Falling Man“, DeLillos Kurzroman über den Terroranschlag 9/11). 

Der Name des Projekts lautet „Konvergenz“. DeLillo dreht in seiner Beschreibung dieses Unternehmens die Schraube dessen, was sich in der Realität schon abzeichnet, nur ein kleines Stückchen weiter. In den Vereinigten Staaten versteht man unter „Converging Technologies“ die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich von Nano-, Bio- und Informationstechnologie mit Neurowissenschaften. Wikipedia spricht als deren Ziel generell von „einer qualitativen Aufwertung aller Lebensbereiche, auf der Grundlage entsprechender Forschungsergebnisse“ und berichtet, dass „unter anderem auch über die Manipulation gesunder Personen nachgedacht wird (etwa im militärischen Bereich)“.

In DeLillos „Konvergenz“ verbindet sich die Weigerung eines winzigen Teils von Superreichen, ihren Tod zu akzeptieren, mit dem Interesse von Geheimdiensten und Militär am Fortbestand der internationalen, d.h. westlichen Machtelite. Einer der „Konvergenz“-Ideologen postuliert: „Selbst wenn das Leben auf unserem Planeten immer prekärer wird – irgendwann in der Zukunft nehmen wir den Tod nicht mehr hin.“ Was hier wie die wuchernde Ausgeburt eines zu Allmachts- und Verschwörungstheorien neigenden Kopfes klingt, wird von DeLillo enggeführt, radikalisiert und ausgedünnt zu eindringlichen meditativen Passagen über die letzten Fragen von Leben und Tod, immer mit scharfem Blick auf die drängenden globalen Probleme der Gegenwart, die für eine Art Hintergrundrauschen sorgen. Wie DeLillo dies in seiner ausgeschlackten Prosa gelingt, ist meisterhaft und fordert, in kühler Sperrigkeit, mehr als identifikatorisches Lesen.

Jeffrey, 34 Jahre alt, ist äußerst skeptisch gegenüber der „Konvergenz“-Ideologie, noch verschärft durch den andauernden Groll, den er gegenüber seinem Vater hegt, weil dieser seine Mutter und ihn, als er ein Junge war, verlassen hatte. Es ist ihm nie gelungen, Tritt in der Arbeitswelt zu fassen; widerwillig hat er sich Ausbildungen von Ross finanzieren lassen, wechselt aber ständig seine Jobs (Administrator einer Website, Human Resources Manager, schließlich „Forschungsmanager für neue Lösungen – Simulationsmodelle“ – DeLillo betont das Virtuelle dieser Jobs). Schon in seiner Kindheit bildet er zahlreiche Ticks und Marotten aus und nervt damit seine Mutter Madeline, bei der er aufwächst, während sein Vater eine internationale Karriere macht. Verunsichert und ohne rechten Boden unter den Füßen, versucht Jeffrey schon als Jugendlicher, fasziniert von Sprache und ihrem Klang, die verwirrende Welt der Dinge, vom Reich der Gedanken ganz zu schweigen, sprachlich zu fixieren, festzulegen, was sich hinter der Differenz von Signifikat und Signifikant verbirgt. Beim Anblick seiner Mutter, die nach Hause kommt, ihren Mantel aufhängt und Fusseln beseitigt, murmelt er vor sich hin: „Definiere Fusseln, sage ich mir. Definiere Bügel. Dann versuche ich es. Unter anderen verbogenen Überbleibseln der Jugend bleiben diese Situationen hängen.“

Bestimmte Wörter verbinden sich für ihn untrennbar mit bestimmten Situationen. So verknüpft sich für ihn die Erinnerung an den Auszug seines Vaters von zu Hause damit, dass er damals gerade Mathematik gelernt hat; die Winkelfunktionen „Sinus, Cosinus, Tangens“ fungieren fortan als Statthalter für das Gefühl des plötzlichen Verlassenwordenseins. Ständig memoriert er, schmeckt Wörter ab, probiert, wofür sie passen können. Als er eine Freundin hat und nicht weiß, ob sich ihr Name Gale oder Gail schreibt, fragt er sie nicht, sondern experimentiert damit, was sich für ihn ändert, wenn er in der einen oder anderen Schreibweise an sie denkt. „Gewisse Wörter schienen sich in der Luft direkt vor mir zu befinden, auf Armeslänge. Bessarabisch, Sanctissimum, pelluzid, Fellafel. Ich sah mich in diesen Wörtern.“

Wo ihm Spracherotik und -exotik nicht genügen, bildet er körperliche Schrullen aus, fängt künstlich an zu hinken. Die Psychopathologie des Alltagslebens, wie Freud das nannte, das zwanghafte Sich-Vergewissern, ob Portemonnaie oder Schlüssel an den richtigen Stellen sind, der Herd aus ist, der permanente Beobachtungs- und Einordnungstick sind, als er erwachsen ist, seinen Beziehungen nicht eben förderlich. Seine Mutter bezeichnet ihn hellsichtig als „formlosen Mann“, er selbst sieht sich als „absichtslos“ – antriebslos trifft es wohl eher. Was als Teilnahmslosigkeit und Kälte erscheint, ist vor allem eine Hülle, mit der er sich vor der Überwältigung durch die Welt schützt.   

Und nun taucht dieser Jeffrey widerwillig nach einer Marathonreise mit immer kleineren Flugzeugen und schließlich in einem gepanzerten Kombi irgendwo in der asiatischen Wüste in der Anlage der „Konvergenz“ auf, die DeLillo als halbunterirdische Militärklinik beschreibt, mit Zügen einer grotesken Disneyworld und kafkaesken Anklängen: endlose Gänge, Türen, die ins Nichts führen, unüberschaubare Ebenen, künstliche Plastikgärten, überall mit Bildschirmen bestückt, die in endlosen Nachrichtensendungen die politischen und ökologischen Katastrophen zeigen. Überall stehen Marmorstatuen herum, entindividualisierte Gestalten, die das Gespenstische dieser Anlage verstärken. Mit ihrer Farbgebung, der labyrinthischen Gestaltung und rätselhaften Installationen erinnert sie stark an manche Museen für moderne Kunst. In Wirklichkeit aber entpuppt sich die „Konvergenz“ immer stärker als ein Hieronymus-Bosch-Pandämonium des 21. Jahrhunderts, wo Köpfe zum Teil getrennt von Körpern in Katakomben aufbewahrt werden, um sie möglicherweise Jahrzehnte später auf gesunde Nanokörper zu pfropfen.

Offensichtlich als einziger Besucher, weil Sprössling eines reichen Sponsors, wird er gelegentlich von Begleitern zu Meetings abgeholt, erforscht sonst auf eigene Faust die Anlage und streitet heftig mit seinem Vater und dessen sterbenskranker jetziger Frau. Diese Artis, eine Archäologin, sieht das Ganze eher als Land- oder Body-Art und lässt sich freiwillig in den eisigen Tiefschlaf versetzen. Jeffrey wirft seinem Vater Gehirnwäsche und Teilnahme an einem Kult vor. In Meetings mit den Sprechern der Anlage kann er ihrer Argumentation nichts entgegensetzen, er greift dann auf seine bewährten Mechanismen zurück, den einzelnen Sprechern Namen zu geben und auf das Atmosphärische dessen, was sie äußern, zu achten.

Bei seinen Streifzügen durch das Labyrinth versucht er dagegen durchaus Kontakt zu einzelnen Insassen, wie etwa einem Jungen im Rollstuhl, aufzunehmen, oder er setzt sich mit einem Mönch, der wie ein Hospizhelfer arbeitet und der Ideologie des Unternehmens nicht verpflichtet ist, auseinander. Schließlich trifft er auf einen Alten, der wie ein Weiser wirkt, ihm aber einen wirren Vortrag über Züchtungsphantasien, das Ende der Geschichte und das permanente Ausdehnen der Möglichkeiten des Menschen hält. Immerhin kann Jeffrey, durchaus beeindruckt, das entscheidende Gegenargument anbringen: „‘Es ist absolut menschlich, mehr wissen zu wollen, und dann noch mehr und immer mehr‘, sagte ich. ‚Aber ebenso richtig ist, dass uns gerade unser Nichtwissen zu Menschen macht. Und das menschliche Nichtwissen ist unendlich.‘“ Insofern steigert unsere Sterblichkeit, unsere Endlichkeit, geradezu den Wert unseres Lebens.

Kurz nach dieser Diskussion aber sieht er, in einer Art Katakombe, Gestalten, die sich als Leichen erweisen. Angesichts der tiefgefrorenen, in Hülsen aufbewahrten Körper, die zudem auch noch komplett kahlgeschoren wurden, kommt Jeffrey der Vergleich mit Puppen in den Sinn – Menschen als Puppen, das erinnert nicht von ungefähr daran, dass die Nazis die Leichenberge als „Puppen“ titulierten, wie man aus Claude Lanzmanns Shoah erfahren kann. Wenig später endet der Besuch, der immer stärker Züge eines wüsten Fiebertraums angenommen hat, mit dem Umschlag ins offen Irreale: die Bildschirme an der Decke der endlosen Flure, die vor Krieg, Katastrophen oder Terror fliehende Menschen zeigen, entrollen sich vor seinen Augen nach unten, füllen die Breite des Gangs aus, und schließlich rennt die ganze Masse keuchend und schwitzend an ihm, atemlos an die Wand gedrückt, vorbei.

Es folgen, als kleines Mittelstück des Romans, einige Seiten inneren Dialogs der sterbenden Artis mit ihrem Körper, eine albtraumhafte Suche nach der eigenen Identität im Schwinden von Raum und Zeit, eine versickernde Stimme, die nach letzten Wörtern greift und ins Nichts verschwindet. Dieses Gemurmel erinnert an Becketts Was es ist und gehört mit dem stockenden Hin und Her zwischen erster und dritter Person zu den verdichtetsten Passagen, die wir von DeLillo kennen.

Der zweite Teil des Buches spielt zwei Jahre später, überwiegend wieder in New York. Jeffrey hat sich die zwei Jahre wie gewohnt treiben lassen, nimmt nun aber einen Job an einer Universität in der Nähe an, wo er als eine Art sprachlicher Gender-Beauftragter offizielle Texte redigiert (man fragt sich, wieweit das ironisch gemeint ist). Inzwischen lebt er sogar in einer Beziehung zu einer geschiedenen Frau namens Emma, einer engagierten Sonderpädagogin, die er bewundert, der er aber von seiner Jugend, seinen Eltern, ihrer Trennung und seinem Besuch in Zentralasien nichts erzählt. Sie bittet ihn um Hilfe, als ihr ein 14-Jähriger, aus der Ukraine stammender Adoptivsohn zu entgleiten droht.

Dieser ähnelt mit seinen Ticks und sprachlichen Marotten dem jungen Jeffrey, und der versucht jetzt, bei einem gemeinsamen Besuch im Museum angesichts eines Felsens seine bewährte sprachanalytische Methode einzusetzen, und fordert den Jungen auf: „Definiere Stein.“ Und er setzt sein existenzialphilosophisches Instrumentarium mit der These ein: „Der Fels ist, aber er existiert nicht“ – ein Heidegger-Zitat. Es entwickelt sich eine lebhafte Debatte zwischen Jeffrey und dem Jungen; trotzdem verstärkt sich die Entfremdung des Jungen, der sich immer stärker mit Terror und Kriegsgeschichten befasst und eines Tages einfach verschwindet. Emma lässt daraufhin die Beziehung zu Jeffrey auslaufen und widmet sich gemeinsam mit ihrem Ex-Mann der Suche nach dem Adoptivsohn. Emma und Jeffrey waren ohnehin so unterschiedlich und ihre Verbindung von Kühle geprägt, dass die Trennung nicht überrascht. In einer bezeichnenden Szene tritt er, als sie sich morgens vor dem Gang in die Schule vor den Spiegel stellt, zu ihr, „beide schauen wir uns an, und dann schütteln wir das alles ab“. Kommentarlos gehen sie ihrer Wege.

Zum Ende des zweiten Teils steht jedoch ein weiterer Besuch der „Konvergenz“ an. Jeffrey begleitet seinen Vater, der, älter und kranker, jetzt auch bereit ist, sich einfrieren zu lassen. Jeffrey, dessen Skepsis bekannt ist, muss lange Elogen einer Begleiterin seines Vaters über sich ergehen lassen und lässt sie und andere Ideologen einfach reden. Irgendwann sagt er ihr, er sei fertig mit diesen Diskussionen, hätte alles mit Ross schon durchgesprochen, durchgefochten auf jeder Ebene. Zu einem Dialog mit dem Vater kommt es vor dessen Tiefkühlung nicht mehr. Jeffrey merkt, als er sich fragt, wie alt Ross eigentlich sei, dass er nicht mal das weiß. Er beschließt, sich weiter nicht mehr erschüttern zu lassen – schließlich hat Ross damals ihn und seine Mutter verlassen. Er, der sich nie menschlicher gefühlt hat als in dem Moment, in dem seine Mutter sterbend auf dem Bett lag – immer wieder kehrt er zu diesem Augenblick zurück – nimmt vom Vater nicht einmal Abschied, so groß ist seine Distanz. Der Besuch endet diesmal damit, dass er in einem der Nachrichtenvideos mit ansehen muss, wie Emmas Adoptivsohn als Milizionär in der Ostukraine erschossen wird.

Das Buch endet mit einer Beschreibung von Jeffreys weiterem Leben in New York, weitgehend beziehungslos, nicht eigentlich unglücklich, ein unauffälliges Angestelltendasein lebend, bei seinen langen Spaziergängen weiter um genaue Beobachtungen bemüht, auch um Kontaktaufnahme zu einzelnen, auffälligen Menschen. Seit dem Besuch in der „Konvergenz“ kann er sich an keinen Traum mehr erinnern, steht immer noch unter dem Eindruck des Sterbens von Artis und Ross. Als Coda beschließt ein wunderbarer Sonnenuntergang das Buch, der die entzückten Schreie eines behinderten Jungen hervorruft. 

Das Spezifische der DeLillo’schen Prosa (vgl. in „Tod in der Wüste“ den Abschnitt „Assoziationen und Theorien“) besteht kaum im äußeren Geschehen – die Schilderung der „Konvergenz“ fügt bestimmte Segmente des Realen zusammen, verleiht ihnen einen futuristischen Dreh und erzeugt so eher eine bedrohliche, phantastische Hintergrundkulisse. Auch nicht so sehr in der psychologisch stimmigen Plausibilität der einzelnen Figuren – man hat immer den Eindruck, sie „gehen nicht voll auf“, haben keine psychische Tiefe, sondern bewegen sich an der Oberfläche der Dinge. Es ist auch kein philosophischer Thesenroman nach Art des Sartre’schen Ekels oder der Romane von Pascal Mercier. In ihren äußerst verknappten, streckenweise wieder durchaus redundanten Dialogen tragen DeLillos Figuren mitunter philosophische Teileinsichten vor, die mehr als Erzählerkommentar wirken denn als gesprächsweise entwickelte Erkenntnisse. Schlagwortartig werden manchmal auch Thesen extemporiert, die offenkundig nur Tiefsinn vortäuschen. Als seine Freundin ihn, vor einer Bewerbung, nach den dafür passenden Schuhen fragt, behauptet Jeffrey: „Schuhe sind wie Menschen. Sie passen sich jeweils an.“ Sein Vater Ross etwa hat eine Vorliebe für den Begriff „Strukturelle Redundanz“, der alles, eher aber nichts bedeutet, jedenfalls nichts Konkretes.

Dies alles also ist es nicht, eher eine Mischung von alldem, die im Ungefähren, nicht Ausdefinierten, nur Angedeuteten bleibt und so Raum für Assoziationen lässt. Leser können, in der kritischen Reflexion, die einzelnen Themen zwar ausdeuten, die Linien ausziehen, die Lücken füllen, die Lesarten ergänzen.

Dennoch zeigen DeLillos Figuren mit ihrer bis ans Zwanghafte reichenden Reflexivität und ihrem offenen Blick auf das Ganze der Welt, das den Einzelnen ohnmächtig zu machen droht, etwas Exemplarisches – ein Bewusstsein, das sich etwa in dem Satz ausdrückt: „Die gewöhnlichen Augenblicke machen das Leben aus.“ Das ist etwas, das Jeffrey von seiner Mutter vermittelt wurde, und seinem Vater verdankt er die Aufforderung, darüber nachzudenken, aus wie vielen Sekunden das Leben eigentlich besteht: und jede Sekunde, jeder Augenblick hat Bedeutung! „Was wir so tun, alltägliche, nicht erinnernswerte Dinge, ein Atmen direkt unter der Oberfläche der Gemeinsamkeiten, die wir uns zugestehen. Diese Geste, diese Momente sollten etwas bedeuten, finde ich“, so Jeffrey.

Dieses Bewusstsein erklärt, warum DeLillos Figuren um die Deutung jedes Phänomens ringen und sich nicht mit bloßen Routinen zufriedengeben. Sie tasten sich stolpernd voran, von Frage zu Frage, und die Antworten und Begriffe, die sie finden oder ausprobieren, bleiben Stückwerk. Insofern spiegeln sie durchaus unser aller Situation wider. Aber sie weichen nicht aus, wenden den Blick von den großen Katastrophen nicht ab, sondern zwingen sich, hinzusehen: „Aber ich schaute hin, fühlte mich irgendwem oder irgendwas verpflichtet, den Opfern vielleicht, und sah mich als einsamer, eigens hierfür vereidigter Zeuge.“ Dies alles sehen und standhalten, weitermachen und Zeugnis ablegen, das wäre dann ihre – und vielleicht auch DeLillos – Botschaft.

Titelbild

Don DeLillo: Null K. Roman.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016.
280 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783462049459

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