Typus und Antitypus in der Bibel

Werner Telesko zeigt Möglichkeiten ihrer Anwendung in der christlichen Kunst der Vor-Aufklärung

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werner Telesko ist seit 2013 Direktor des Instituts für kunsthistorische und musiktheoretische Forschungen in Österreich. In seiner neuesten Publikation hat er sich mit den Typologien beschäftigt, aus denen sich die christliche Ikonographie zu einem wesentlichen Teil ab- und herleitet und die somit in ihrerBedeutung für die kunsthistorische Forscherin und den Forscher keineswegs zu überschätzen sind. An diesen gelehrten Adressatenkreis richtet sich das Buch. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis bezeugt die immense Rechercheleistung des Autors.

Unter dem Begriff Typologie versteht man zunächst ganz allgemein die Bezugnahme alttestamentlicher Figuren und Ereignisse zu neutestamentlichen Personen und Erscheinungen nach dem Grundschema: Prophezeiung und Erfüllung bzw. Vollendung. Jedoch verweist Telesko in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass das Alte Testament inhaltlich nie gänzlich im Neuen Testament aufgeht, sondern als Bedeutungssubstrat immer darin erhalten bleibt.

Von Telesko wohl aus Gründen der Materialökonomie nicht explizit erwähnt, lässt sich das inhaltliche Themenspektrum darüber hinaus auch auf antike Figuren die als Vorläufer Christi gedeutet werden können, z. B. die Tiburtinische Sibylle, und das Naturreich erweitern. Hierfür steht der Physiologus, eine spätantike Sammelschrift, deren Tieranalogien auf Christus Bezug nehmen.

Der reiche Gebrauch, den gerade die bildenden Künste der Vormoderne von den Möglichkeiten der Typologie gemacht haben, erklärt sich aus deren Bild- beziehungsweise Metaphernhaltigkeit und ihrem Potential inhaltliche Entsprechungen sinnreich zu gestalten. Um einige charakteristische Exempel zu nennen: Maria ist die neue Eva, Christus der neue Adam, das Kruzifix des Neuen Testaments ist die Eherne Schlange et cetera.

Um der angedeuteten Reichweite des Themenspektrums gerecht zu werden, hat der Autor sein Material chronologisch aufbereitet, wobei er die Zeitspanne vom Mittelalter bis zum Barock behandelt. Letzteres bildet wegen seiner ausgesprochenen Affinität zu einer ausladenden, ausgeklügelten und schmuckreichen Rhetorik den Schwerpunkt der Untersuchung. Dies ist daran ablesbar, dass mehr als die Hälfte des Buches der Zeit nach dem Konzil von Trient gewidmet ist.

Auch die in den Text eingebundenen zahlreichen Abbildungen zeigen mit Ausnahme des bedeutenden reformatorischen Gesetz und Gnade-Kupferstiches ausschließlich Beispiele barocker Kunst. Die Werke bildender Kunst stammen bis auf die Ausstattungen der zwei süddeutschen Klosterkirchen Zwiefalten und Ottobeuren aus der Heimat des österreichischen Autors und führen uns somit hierzulande weniger bekannte Kunstwerke vor Augen (wie die Wiener Servitenkirche, die Stiftskirche Altenburg und die Klosterkirche Baumburg).

Die ersten beiden Kapitel sind der Einführung in das Thema und der Vorstellung der wichtigsten Forschungsansätze gewidmet. Als zentral für die Ausbildung des Begriffs der Typologie ist das 5. Kapitel des Römerbriefs anzusehen. Darin schlägt Paulus eine Brücke zur Motivik des Alten Testaments. Dies wird im Folgenden anhand von Einzelaspekten weiter aufgefächert. Hier zeigt sich auch bereits eine mögliche Schwäche des Buches, nämlich die Schwerpunktsetzung auf der beschreibenden Darstellung statt der Analyse. Diese basiert auf zahlreichen ausführlichen wörtlichen Zitaten, an deren Stelle meines Erachtens oftmals Paraphrasen das Verständnis erleichtert hätten. Doch bleibt dies letztlich im Ermessen der Leserin und des Lesers.

Der Forschung gilt die Typologie als Deutungsmethode, die vielfältige inhaltliche Beziehungsmöglichkeiten gestattet, die einander ähnlich aber auch entgegengesetzt sein können. Die Forschungsgeschichte wird anhand der wichtigsten Positionen von bedeutenden Vertretern des Faches vorgestellt, namentlich Oskar Cullmann, Friedrich Ohly und Erich Auerbach.

Im folgenden Kapitel Visuelle Exegese – zum Beziehungsreichtum der Typologie in der bildenden Kunst, unternimmt der Autor eine tour de force durch das von ihm behandelte Themengebiet und stellt zunächst drei Beispiele für „außergewöhnliche Visualisierungen“ aus unterschiedlichen Kunstgattungen vor, ehe er zur „Medialisierung“ der Typologien vom Spätmittelalter bis in die frühe Neuzeit hinleitet und somit zum Hauptgegenstand seiner Untersuchung.

Besonders viel Raum für die künstlerische Darstellung typologischer Programme bieten die Deckenmalereien barocker Kirchen- und Klosterräume, wobei die gewählten Themen wegen ihrer Christusähnlichkeit auch Heiligenviten einschließen, beispielsweise die Legende des heiligen Bernhard von Clairvaux in der Stiftskirche zu Fürstenfeld. Mit der bildlichen Darstellung des Lebens als mustergültig erachteter Heiliger war stets auch die Aufforderung zur Nachfolge an den Gläubigen verbunden, was Telesko als „Gegenwärtigsetzung“ bezeichnet.

Derartige Programme applizierte man wegen ihrer grundlegendenden Bedeutung auch auf andere Teile der Kirchenausstattung, namentlich auf die Kanzeln und den Hochaltar wie in Zwiefalten oder die Dekoration der Decke der Wiener Servitenkirche. Am Beispiel der Ausstattung der Stiftskirche in Altenburg wird deutlich gezeigt, wie typologische Programme aus einem einzelnen Motiv, hier der Bundeslade als einem Symbol Mariens, entwickelt werden konnten. Im Zentrum steht hier der Opfergedanke, der sowohl im Alten Testament (das Opfer Isaaks) wie auch im Neuen Testament (Christi Tod am Kreuz) auftritt.

Auf ideale Weise ließen sich Typologien in den verschiedenen Arten der Druckgrafik des Barock (beispielsweise Thesenblätter oder Jubiläumsschriften) darstellen, da sich hier anders als in anderen Gattungen Bild und Text miteinander verbinden lassen. Telesko erwähnt sogar eine Weltkarte, in die typologische Darstellungen integriert sind, um die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Anwendungsbereiche aufzuzeigen.

Weltweite Verbreitung erlangten typologische Darstellungen in Zusammenhang mit der Missionstätigkeit der Jesuiten.

Nicht zuletzt fanden Typologien natürlich auch Eingang in die reiche Barockliteratur, wie die gedruckten Barockpredigten und Kirchweihschriften. Auch Huldigungsreden auf Herrscher wurden mit den Mitteln der Typologie, vor allem durch bildhafte Vergleiche und Metaphern mit biblischem Hintergrund, gestaltet. Diese bildeten ein tragendes Element im argumentativen Kontext. So wird angeführt, dass Kaiserin Maria Theresia anlässlich ihrer Krönung in einer Lob- und Dankresrede mit der biblischen Heldin und Verteidigerin ihres Vaterlandes, Judith, verglichen wurde. Mit diesem Beispiel endet eine intellektuell anregende, materialreiche und thematisch ausgreifende Studie, der vielfältige Resonanz zu wünschen ist.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Werner Telesko: In Bildern denken. Die Typologie in der bildenden Kunst der Vormoderne.
Böhlau Verlag, Köln 2016.
388 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783205203339

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