Gewissen kontra Macht

Petra Couvée und Peter Finn arbeiten „Die Affäre Schiwago“ in Zeiten des Kalten Kriegs zwischen Kreml und CIA auf

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In beeindruckender Weise haben Petra Couvée und Peter Finn Hintergründe und Geschehen bezüglich der Veröffentlichung des Romans Doktor Schiwago von Boris Pasternak (1890-1960) recherchiert. In ihrer Untersuchung werden zum einen die zuweilen geradezu abstrusen Vorgänge minutiös nachgezeichnet und zum anderen Mechanismen eines unkontrollierten Machtapparates aufgedeckt.

Nachdem Pasternak zur Kenntnis nehmen musste, dass sein Roman, den er als Krönung seines Lebenswerkes ansah, in der Sowjetunion nicht veröffentlicht werden würde, hatte er das Manuskript einem Abgesandten des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli übergeben, der das Buch ohne zu zögern 1957 in Italien einem interessierten Publikum vorlegte. Unverzüglich setzte in der Sowjetunion eine wüste Treibjagd gegen den Autor ein. Der politische Druck auf Pasternak wurde derart unerträglich, dass er sich ein Jahr später gezwungen sah, den ihm zugesprochenen Nobelpreis für Literatur abzulehnen – ein unrühmliches Kapitel in der sowjetischen Literaturgeschichte!

In seinen Aufzeichnungen Die Eiche und das Kalb berichtet der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn über seine damalige Verzweiflung, als er von Pasternaks Verzicht auf den Nobelpreis Kenntnis erhalten hatte. Der damalige sowjetische Außenminister hatte sich nicht entblödet, in abwertender Weise das schwedische Nobelpreiskomitee anzugehen. Zudem wurde in einem landesweit verbreiteten Leitartikel der Literaturnaja Gaseta, Auflage 880 000 Exemplare, Pasternak als „Judas“ bezeichnet, der sich für „dreißig Silberlinge“ kaufen ließe: „Er ist der Gegner des Volkes und hat sich mit all denen verbündet, die unser Land und unser System hassen“.

An dieser Stelle kommt jene verhängnisvolle Denkfalle zum Vorschein, die bis in die unmittelbare Gegenwart hinein in Russland reflexartig zuschnappt: die Macht ist Russland, und wer die russische Politik kritisiert, „hasst unser Land“! Dass mittlerweile der Sowjetstern vom Zarenadler abgelöst wurde, spielt insofern keine Rolle, als im heutigen Russland weder ein konsequenter Austausch der diskreditierten Eliten, noch eine umfassende Vergangenheitsbewältigung stattgefunden hat.

Die kulturpolitischen Vorgänge um die Veröffentlichung von Pasternaks Roman offenbarten in unfreiwilliger Weise ein weiteres Mal, dass die Sowjetunion kein Land wie jedes andere war. Es bleibt festzuhalten, dass den Ländern des „real existierenden Sozialismus“ die demokratische Legitimation von der Bevölkerung nie erteilt worden war. Zudem hatte die Russische Oktoberrevolution unter anderem der bürgerlichen Klasse den erbarmungslosen Kampf angesagt.

Dass eine politisch derartig aufgeheizte Maßregelung gegenüber einem Roman die Aufmerksamkeit jenseits des Eisernen Vorhangs auf eben diesen lenkte, verwundert zu Zeiten des Kalten Krieges nicht weiter. Die Autoren haben daher neben der sowjetischen Hysterie zugleich auch die Aktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes CIA bezüglich einer Weiterverbreitung des indizierten Romans dokumentiert. Vielleicht hat der konzentrierte Fokus der vorliegenden Untersuchung einen Seitenblick auf die verbündeten Länder des realen Sozialismus nicht zugelassen. Dabei war die Hexenjagd auf Boris Pasternak und seinen Roman auch in der DDR angekommen. So war 1962 Norbert Randow, Assistent am Slawischen Institut der Humboldt-Universität, zu drei Jahren Haft verurteilt worden, da er sich unter anderem zum Besitz eines Exemplars des Romans Doktor Schiwago bekannte. Der Straftatbestand hierfür lautete: „Antisowjetische Hetze“! Zu Lebzeiten der DDR war ihm die weitere Fortführung einer wissenschaftlichen Tätigkeit verwehrt worden.

Das eigentliche Drama von Boris Pasternaks ungleichem Kampf mit einer ungezügelten Macht liegt in der Usurpation einer Gewaltherrschaft begründet, die für sich die Repräsentation der russischen Kultur und Literatur beanspruchte. Diese Tragödie wiegt umso schwerer, wenn man die unglaubliche Fülle und den Reichtum der russischen Kultur mit der geistigen Schäbigkeit der sowjetischen Wirklichkeit abgleicht.

In der Weitergabe seines Manuskripts an westliche Besucher hatte Boris Pasternak in vollem Bewusstsein mit der Sowjetunion gebrochen. Er hatte es endgültig satt, Kompromisse zugunsten der Sowjetmacht und auf Kosten seiner russischen Heimat einzugehen. Als russischer Patriot wollte er fortan nur mehr seinem Gewissen und keiner Parteidoktrin mehr Untertan sein. Insofern war die umfangreiche Stellungnahme, mit welcher die Redaktionsleiter der sowjetischen Literaturzeitschrift Nowy Mir den Abdruck von Pasternaks Roman ablehnten, durchaus begründet. Zu Recht schienen ihnen Nachbesserungen und Korrektureingriffe überflüssig, da das Werk als Ganzes untragbar sei: „Sein allgemeiner Tenor lautet, daß die Oktoberrevolution, der Bürgerkrieg und die damit verbundene gesellschaftliche Wandlung dem Volk nichts als Leiden gebracht und die russische Intelligenzija sowohl physisch wie moralisch zerstört hat“.

Titelbild

Petra Couvée / Peter Finn: Die Affäre Schiwago. Der Kreml, die CIA und der Kampf um ein verbotenes Buch.
Übersetzt aus dem Englischen von Jutta Orth und Jörn Pinnow.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2016.
400 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783806232639

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