Interdisziplinäre Reflexionen zwischen Bild, Ton und Schrift

Drei medien- und filmwissenschaftliche Publikationen haben in den letzten Jahren endlich etwas Staub aufgewirbelt

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Film und Literatur Geräusche machen

Einen Überblick über die vielen Publikationen der letzten Jahre zu bekommen, in denen es ‚irgendwie um Medien‘, um den Film, die Literatur, das Theater und andere Künste geht, ist vielleicht unmöglich. Drei davon sind aber besonders erwähnenswert und verdienen noch einmal einen Blick auf ihre Besonderheiten und Leistungen.

Ulrich Schönherr, der erste im Bunde, analysiert in Klang – Bild – Sprache die Rolle des Akustisch-Auditiven in Texten, Hörspielen und Filmen. Luftig und leicht, eloquent und einleuchtend schreibt er über das literatur-, film- und medienwissenschaftliche Primat des Visuellen hinweg. Sein Thema: Die schriftliche Repräsentation auditiver Figurationen in Prosatexten, Hörspielen und Filmen, hier in Bezug auf semiotische und linguistische Fragestellungen. Sein Schwerpunkt liegt damit auf der Untersuchung des Stimm- und Hörraums im Film.

Er beginnt bei Homers Sirenen, gelangt zum Orpheus-Mythos, erläutert elegant Platons Musikkritik der Politeia, erklärt die Entstehung der hohen Gesangsstimme gefolgt von Musik in der Romantik und beleuchtet zuletzt unter anderem aus gendertheoretischer Sicht die technisch begründete Trennung von Stimme und Körper zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Auf der Basis älterer Artikel des Autors werden die Erzähltexte Gert Jonkes, George Perecs Hörspiel Die Maschine (1967/68), außerdem Peter Handkes Versuch über die Jukebox (1990), Edgar Reitz’ Film Die Zweite Heimat (1992), Wim Wenders’ Lisbon Story (1994) und Marcel Beyers Flughunde (1995) auf die Beschreibung akustischer Phänomene hin untersucht. Wie Marcel Krings bereits 2015 kurz nach Erscheinen der methodisch höchst ausdifferenzierten Monographie betonte, hat das Akustisch-Auditive in Film und Literatur kaum je Interesse geweckt und ist gegenüber anderen Aspekten intermedialer Ausdrucksformen im Bereich komparatistischer und medienwissenschaftlicher Auseinandersetzung

lange vernachlässigt worden. […] Dabei hatte schon Herders Sprachursprungsschrift auf die zentrale Rolle des Ohrs bei der Welterschließung hingewiesen und eine akroamatische (zuhörende) Kunst eingefordert, die als phonographischer Apparat der Verschriftlichung des Akustisch-Auditiven Rechnung tragen sollte. Doch obwohl noch Plessners Kulturanthropologie und Heideggers existentiale Hermeneutik auf der Polyphonie der ,Weltpartitur‘ beharrt hatten und mit dem Siegeszug der technischen Medien (Phonograph, Radio, Film, Musikindustrie) längst eine neue Kultur des Hörens entstanden war, leiteten – je nach Gusto – erst Derridas Begriff des Phonozentrismus, dann medientheoretische Erwägungen zur ,sekundären Oralität‘ oder Raymond Schafers Konzept der soundscape eine ,akustische Wende‘ in den Kultur- und Literaturwissenschaften ein.

Lobenswert an der Publikation ist neben der gewählten Thematik außerdem die ausgeglichene Gewichtung jeder Einzelanalyse. In sehr klaren Ausführungen wird auf unterhaltsame Weise in eine sehr komplexe Materie eingeführt. Schönherr versucht gar nicht erst, 3.000 Jahre Musikgeschichte aufzuarbeiten. Der Autor will nicht sein umfängliches Wissen unter Beweis stellen oder wie gut sich unterschiedliche musikästhetische Modelle mit etlichen Werken der Literatur- und Filmgeschichte verknüpfen lassen, sondern erreicht mit seinen leicht verständlichen Erläuterungen eine schrittweise Heranführung der Lesenden.

Von dem schmalen Buch kann kein Überblick erwartet werden, umso anschaulicher und gut verständlich ist Schönherrs Rekonstruktion der verschiedenen Repräsentationsmodi. Wer nicht jedes Buch oder Hörspiel kennt, von dem der Germanist und Philosoph spricht, wird spätestens nach der Lektüre des Bands auf die jeweils erwähnte Aura und Erzählbewegung der einzelnen Werke gespannt sein. Interessant wäre noch die Frage gewesen, was Schönherr zu Atonalität, serieller und elektronischer Musik, Aleatorik oder Minimal Music und deren Auftauchen in diversen Medien zu sagen hätte – vielleicht folgt das ja in einer weiteren Publikation.

Film: Ein audiovisuelles Instrument zur Beobachtung anderer Medien?

Im Jahr davor wurde bereits ein Sammelband herausgegeben, der sich der Vielfalt der Medien besonders ausführlich widmet. Da der Medienbegriff sehr weit ist und in der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird – und auch der Gegenstand der Filmwissenschaft kaum in Gänze erfassbar ist –, handelt es sich bei dem knapp 450-seitigen Handbuch Medienreflexion im Film um eine Veröffentlichung, die ein breites Spektrum an theoretischen Ansprüchen, diachronen und synchronen Analysen sowie Einblicken in unterschiedliche Filme und Mediendarstellungen in Filmen bietet. Insgesamt 26 Texte von 32 Autoren und Autorinnen sind versammelt. Die Herausgeber, Kay Kirchmann (Frierich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg) und Jens Ruchatz (Philipps-Universität Marburg) sind Professoren für Medienwissenschaft und haben sich in ihrer akademischen Laufbahn auf zahlreiche Schwerpunkte im Bereich Medientheorie und -reflexion, Fernsehen, Historiographie, Fotografie und Ästhetik spezialisiert. Auch die anderen Autoren sind in diesen und verwandten Bereichen an vielen deutschen Universitäten tätig. Wer diesen Band zur Hand nimmt, kann also davon ausgehen, geballtes fachmännisches Filmwissen und wertvolle, elaborierte Zugänge zu „Nachbarmedien“ wie Theater, Malerei, Telefon, Computer, Fotografie, Fernsehen, Radio, Zeitung und Video zu erhalten.

In Spielfilmen finden sich seit Beginn der Filmgeschichte viele verschiedene Medien, die entweder selbst thematisiert werden oder eine gezielte Funktion für den Plot aufweisen. Mediale Referenzen können retrospektiv wirken oder in die Zukunft weisen. Aufregend ist auch die Hervorhebung des Films als eine Art Kontrollorgan oder Beobachter anderer Medien. Dieser Ansatz ist kein Paragone delle arti und verneint nicht, dass der Film selbst ein Medium ist, aber als audiovisuelles Medium mit Spielräumen, die viele Künste vereinen können, ist er fähig, Entwicklungen und Wirkungen anderer Medien zu spiegeln, zu interpretieren und zu kritisieren.

Werden zunächst in den ersten Kapiteln die wesentlichen Elemente der Vorgeschichte des Films beschrieben (Licht und Schatten in filmischer Reflexion, Laterna magica und Camera obscura, optische Instrumente im Film wie etwa Mikroskop und Fernglas), so folgen einige Beitrage zur filmischen Konstruktion von Verwandtschafts- und Konkurrenzverhältnissen. Jeder Beitrag bezieht sich dabei auf eine andere Nachbardisziplin. Theater, Malerei, Comic, Fotografie, Fernsehen und Video werden in ihrer Verwendung im und als Film konsequent und anhand zahlreicher anschaulicher und bekannter Beispiele besprochen. Auch das mobile Aufzeichnen erhält, ganz auf der Höhe der Zeit, einen eigenen Beitrag. Das dritte Kapitel bezieht sich auf die filmische Konstruktion von Differenzverhältnissen und folgt den inhaltlichen Leitlinien Schrift/Bild beziehungsweise Analog/Digital. Schrift und Blindenschrift, aber auch Werkzeuge wie Pinsel, Feder und Schreibmaschine, Medien wie Brief, Postkarte, Zeitung und E-Mail finden ihre würdige Besprechung. Originell ist auch der Text zur Tätowierung im Film.

Trotz der hervorragenden Filmanalysen und der ausführlichen Beschreibungen kommt man allerdings kaum umhin, die erwähnten Filme auch anzusehen, da man sonst in Anbetracht der teilweise hohen theoretischen Anforderungen schnell den Faden verliert. Die abgedruckten Bilder der besprochenen Szenen sind teilweise etwas verpixelt und außerdem schwarz-weiß, weshalb dringend anzuraten wäre, die Lektüre mit dem Medium Film zu kombinieren und sich die Szenen noch einmal parallel sozusagen live vor Augen zu führen.

Das vierte und fünfte Kapitel sind der medialen Funktionen in filmischer Reflexion gewidmet. Hier werden Radio, Grammophon, Schallplatte und CD, Telefon und Anrufbeantworter, Telegrafie und Telefax beleuchtet. Interessant ist auch hier wieder ein kleiner Ausreißer: Geld und Geldäquivalente im Film werden gleichbedeutend neben den zuvor genannten Medien einer Untersuchung unterzogen. Das letzte, kürzere Kapitel behandelt futuristische Medien im Kino und gibt Ausblicke, die neugierig machen. Am Schluss steht eine hilfreiche Auswahlbiographie zum Hauptthema „Medienreflexion im Film“.

Dieses Handbuch sollte jeder Film- oder Medienwissenschaftsstudent kennen und lesen, auch die Interessierten aus den Nachbardisziplinen können auf wertvolle Erkenntnisse für eigenen Fragestellungen in den Fächern Kunstgeschichte oder Literaturwissenschaft bauen. Sprachlich ist der dicke Band äußerst ansprechend und eignet sich nicht nur für Studierende, sondern wird auch anderen Medien- und Filmwissenschaftlern Anregungen für die Forschung geben können. Der einzige Kritikpunkt ist die auf den ersten Blick große Zusammenhangslosigkeit der einzelnen Artikel untereinander. Das mag dem – immerhin vorbildlichen – Ideal geschuldet sein, Künste manchmal Künste sein zu lassen und nicht alles willkürlich zu vermengen, was sich in grundlegenden Prinzipien und formalen Gegebenheiten doch sehr stark unterscheidet.

Nur etwas für Geisteswissenschaftler vom Fach – am besten von allen Fächern

Wem der Anspruch, den Medienreflexion im Film an die Lesenden stellt, noch nicht genug ist, dem sei der von Thomas Metten und Michael Meyer herausgegebene Sammelband Film. Bild. Wirklichkeit. Reflexion von Film – Reflexion im Film empfohlen. Hier wird der Spieß teilweise umgedreht, denn der Film reflektiert nicht mehr nur andere Medien, sondern ist auch seiner Selbstreflexion unterworfen. 17 Autoren und Autorinnen und ebenso viele Beiträge konfrontieren mit einer Spannweite an Wissen, der man sich mit Bedacht nähern muss. Dass die einzelnen Texte nicht thematisch in Kapitel aufgeteilt sind, sondern unter dem etwas schwammigen Titel des Sammelbandes subsumiert werden, macht den Einstieg nicht leichter. Vor allem philosophische und ästhetische Diskurse und die wichtigsten Texte der Nachbardisziplinen werden weniger erklärt als direkt vorausgesetzt, nur einzelne Aufsätze beinhalten detailliertere Ausführungen zum eigenen theoretischen Hintergrund.

Wenn dieser Sprung aber geschafft ist oder man bereits Vorwissen mitbringt, sind die Aufsätze ein großes Vergnügen. Hat die semiotisch ausgerichtete Literaturwissenschaft die Reflexivität noch als Durchbrechung der Illusionswirkung fiktionaler Filme, Texte und Bilder begriffen, so gehen die Autorinnen und Autoren einen Schritt weiter. Die drei zentralen Filmgattungen, die untersucht werden, sind narrativer Spielfilm, nichtfiktionaler Film und Animationsfilm. Auch Literaturverfilmungen, Hindi-Filme, Musikvideos, ethnografische Filme und Experimentalfilme nehmen die Beiträge in den Blick.

Mit der eigentlich sehr verbreiteten Prämisse arbeitend, dass es eine filmische und eine nicht-filmische, konstruierte Wirklichkeit gibt, zeigen die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf, dass auch die Wirklichkeit, die uns in Filmen begegnet, eine Konstruktion der Realität sein kann. Das bezieht sich also, und hierin liegt die spezielle Leistung des Bandes, nicht nur auf die hergestellte Filmwirklichkeit, sondern auch auf unsere Perspektive auf andere Kulturen, Denkweisen und Menschen, die uns beispielsweise in Dokumentarfilmen begegnen. Dabei wird nicht versäumt, auch über die spezifische Materialität des Films zu sprechen und den Rezipienten als ein konstitutives Element des Films selbst wahrzunehmen.

Die Texte müssen verdaut, im besten Falle mehrmals gelesen werden. Von der Lektüre können aber auch Geisteswissenschaftler aus Philosophie und Kunstgeschichte nur profitieren.

Der einzige Schwachpunkt mag sein, dass die Autorinnen und Autoren in letzterem Sammelband unter dem Begriff „Bild“ teils Unterschiedliches fassen. Gerade im Kontext einer filmwissenschaftlichen Auseinandersetzung sollte die Trennung von Bild und Film deutlicher gemacht werden, was zwar fast alle Autoren sehr ausführlich machen, aber auf ihre eigene Weise. Da mag es manchmal doch lohnenswert sein, solche scheinbar selbstverständlichen Begrifflichkeiten in einem Vorwort zu erläutern, auch wenn das trocken und ermüdend sein kann. Im Vorwort wird jedoch vor allem „Reflexivität“ erläutert. In jedem Fall stellt der Sammelband aber eine Bereicherung für sein Fach dar und sollte vor allem den Studierenden an Universitäten verstärkt empfohlen werden, zumindest nach ein paar Semestern.

Titelbild

Jens Ruchatz / Kay Kirchmann (Hg.): Medienreflexion im Film. Ein Handbuch.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013.
458 Seiten, 33,80 EUR.
ISBN-13: 9783837610918

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Ulrich Schönherr: Klang – Bild – Sprache. Musikalisch-akustische Konfigurationen in der Literatur und im Film der Gegenwart.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2014.
196 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783849810344

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Thomas Metten / Michael Meyer (Hg.): Film. Bild. Wirklichkeit. Reflexion von Film – Reflexion im Film.
Herbert von Halem Verlag, Köln 2016.
478 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783869621050

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch