Von Frauen und Affen

Gloria Steinem nimmt die LeserInnen mit auf ihre feministischen Reisen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Emma Watson wurde nicht nur als Darstellerin der klugen und zaubermächtigen Hermine in den Harry Potter-Filmen bekannt, sondern spätestens seit 2014 auch für ihr feministisches Engagement. Denn in diesem Jahr wurde die Engländerin zur UN-Sonderbotschafterin für Frauen- und Mädchenrechte ernannt. Noch im gleichen Jahr initiierte sie die Kampagne Heforshe. Zwei Jahre später, Anfang 2016, gründete sie auf der Plattform „Good Reads“ zudem den feministischen Buchclub Our Shared Shelf, dem bis zum Ende des Jahres bereits mehr als 150.000 DiskutantInnen beitraten. Allmonatlich wird ein feministisches Buch vorgestellt, über das die Angehörigen des Online-Clubs in den nächsten Wochen – nicht selten heftig und oft sehr engagiert – diskutieren. Das erste dieser Bücher – Watson hat es selbst vorgestellt – war Gloria Steinems Autobiografie My Life on the Road.

Als eine der herausragenden Persönlichkeiten der, wie sie selbst sagt, „idealistischen“ und „wirkmächtigen“ Frauenbewegung in den USA ist Steinem unter den dortigen FeministInnen mindestens ebenso berühmt wie Emma Watson, was nicht zuletzt auch daran liegen dürfte, dass die mittlerweile 82-jährige Gründerin des feministischen Magazins Ms. noch immer so aktiv ist wie eh und je. Dafür, dass ihr Bekanntheitsgrad auch hierzulande etwas steigt, könnte die nunmehr vorliegende Übersetzung ihrer Lebensbeschreibung beitragen.

Der Titel der Autobiografie ist nicht etwa metaphorisch zu verstehen, sondern ebenso wörtlich wie derjenige von Jack Kerouacs bekanntem Buch On the Road (1957, deutsch Unterwegs, 1959). Denn die, wie sie sich selbst nennt, „moderne Nomadin“ Steinem hat einen Großteil ihres Lebens tatsächlich auf den Highways und Landstraßen innerhalb und außerhalb der USA verbracht. Dabei war die „ruhelose Wanderarbeiterin in Sachen Feminismus“ in den letzten vier Jahrzehnten überwiegend als „Wahlkämpferin und politische Aktivistin“ unterwegs.

So fallen Autobiografie und Reiseberichte nahezu in eins. Steinem erzählt ihr Leben nicht strikt chronologisch von der Wiege bis zur Gegenwart der Niederschrift, sondern beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Erlebnisse ihrer Kindheit ihrem Erwachsenenleben voranzustellen. Hingegen fasst sie etwa ihre Erinnerung an die Rede Martin Luther Kings, der sie 1963 als junge Frau lauschte, mit dem Bericht über die Feier zum 50. Jahrestag des historischen Ereignisses zusammen. Darüber hinaus verwendet sie ohne nähere Datierung etliche Seiten darauf, Anekdoten von ihrem Vater zum Besten zu geben oder über Begegnungen mit TaxifahrerInnen zu berichten, denn „selbständig Taxi zu fahren ist ein Beruf der Freigeister anzieht, Philosophen und Menschen, die zu eigensinnig für alle anderen Berufe sind“. Etliche der Anekdoten sind im vorletzten Kapitel „Surrealismus im Alltag“ zu finden. Bei ihnen handelt es sich keineswegs nur um unterhaltsames Beiwerk. Vielmehr sind es oft gerade die in ihnen erzählten vermeintlichen Kleinigkeiten, die Bände sprechen. So etwa, dass es in Harvard noch 1971 „für die Lehrkräfte in der Bibliothek lediglich eine Herrentoilette gab“.

In drei weiteren großen thematischen Kapiteln erklärt Steinem zunächst, warum sie zwar – neben Flugzeugen und diversen anderen Verkehrsmitteln – sehr häufig mit dem PKW unterwegs ist, aber niemals selbst Auto fährt, ja nicht einmal einen Führerschein besitzt. Sodann widmet sie sich ihren zahlreichen Aufenthalten an US-amerikanischen Universitäten, die sie als feministische Aktivistin und Vortragende eingeladen hatten, und unter der Überschrift „wenn das Politische privat wird“ berichtet sie von ihrem langjährigen Dasein als Wahlkämpferin, die im Laufe ihres bisherigen Lebens mehr KandidatInnen unterstützt hat, als sie zählen kann. Allein im Jahr 1996, so erinnert sie sich, waren es nicht weniger als 29. Selbstverständlich unterstützte sie auch die erste Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei. Nein, nicht die ebenfalls von ihr unterstütze Hillary Clinton, sondern die 2005 verstorbene ehemalige Abgeordnete des Repräsentantenhauses Shirley Chisholm, die sich bereit 1972 um das höchste politische Amt in den USA bewarb, allerdings nur in 14 Staaten kandidierte und bei den Vorwahlen scheiterte. Dafür aber war sie „die erste schwarze Kandidatin und die erste Frau, die für die Demokraten ins Rennen ziehen wollte“.

Von den Kontroversen innerhalb der, wie Steinem freimütig einräumt, nicht nur „idealistischen“ und „wirkmächtigen“, sondern auch „heterogenen“ und gelegentlich sogar „zänkischen“ Frauenbewegung in den USA erfährt man wenig. Einzig der Konflikt, den Steinem und einige ihrer engen MitstreiterInnen über Jahre hinweg mit der 2006 verstorbenen Frauenrechtlerin Betty Friedan austrugen, kommt kurz zur Sprache. Friedan, die als Autorin des Buches The Feminine Mystique (1963; deutsch Der Weiblichkeitswahn, 1966) für nicht wenige zur Urmutter der amerikanischen FeministInnen der zweiten Welle avancierte, war eine ausgemachte Gegnerin des politischen Lesbianismus und hatte in der New York Times erklärt: „Die Spalterinnen der Frauenbewegung“ seien „jene, die unablässig versucht haben, Lesbianismus und Männerhass zu verbreiten, obwohl doch manche von ihnen nicht einmal lesbisch“ seien, wobei sie neben Steinem namentlich Florynce Kennedy, Robin Morgan und Kate Millet nannte.

Beschlossen wird der Band durch den Abschnitt „Was einmal war, kann wieder sein“, ein umfangreiches Kapitel über American Natives und Steinems Bekanntschaft mit so beeindrucken Persönlichkeiten wie Wilma Mankiller, der Anführerin der Cherokee Nation. Fast ein wenig esoterisch muten Steinems Gefühle angesichts der offenbar in prähistorischen Zeiten von Menschenhand aufgeschütteten, unfassbar großen „Hügel“ in Ohio an, bei denen es sich offenbar um jahrtausende alte Kultstätten und Sternenobservatorien handelt. Bereits zuvor weist die Autorin, vermutlich zur Überraschung zumindest ihres europäischen Publikums, darauf hin, „dass das Vorbild für die amerikanische Verfassung nicht die Demokratie der griechischen Antike war, sondern die irokesische Föderation in Nordamerika“.

Nicht erst als Erwachsene, sondern schon als Kind war Steinem stets mit ihren Eltern unterwegs, wobei der ruhelose Vater, ein sympathischer Kauz und Lebenskünstler, der sich nur unterwegs wohlfühlte, die treibende Kraft war. Steinems Mutter war hingegen von dem Leben auf den Landstraßen und Highways weniger angetan. Eine kluge Frau war sie aber allemal: „Demokratie, das muss man täglich machen, wie Zähneputzen“, pflegte sie zu sagen, wie sich Steinem erinnert. Es war also der Vater, der Steinem die Leidenschaft für das Leben unterwegs vermacht hat, die das Lesepublikum nun ihrerseits einlädt, sie durch das ihr „so vertraute Land des Vorübergehenden“ zu begleiten, wie sie poetisch formuliert.

Es lohnt sich allemal und dies nicht nur, weil Reisen bildet und etwa lehrt, dass etwas, das „wie das eine erscheint, sich aus der Nähe als etwas vollkommen anderes erweist“ – was im Übrigen auf Sand und Felsen ebenso zutrifft wie auf Menschen –, sondern vielleicht mehr noch, weil „zu neuen Reisen aufzubrechen […] immer auch bedeutet, sich selbst von einer Reise aufbrechen zu lassen“. Es lässt sich auf Reisen also einiges lernen, nicht nur über sich selbst, sondern auch über wenig Bekanntes oder gar Unbekanntes.

Auch die Lesereise durch Steinems Buch bereichert das Wissen, indem es etwa darüber informiert, wer die berühmte Traumsequenz in der Rede Martin Luther Kings initiierte, dass das – wie man ohne zu übertreiben sagen kann – weltberühmte Bonmot „Wenn Männer schwanger werden könnten, wäre Abtreibung ein heiliges Sakramente“ von einer älteren irischstämmigen Taxifahrerin geprägt wurde, deren Namen Steinem leider nicht erfragte, oder dass Mahatma Gandhi indischen Aktivistinnen empfahl, „sich den Mut und die Strategien der Frauenrechtlerinnen um Emmeline Pankhurst, Englands berühmtester Suffragette, zum Vorbild zu nehmen“. Wie der berühmte Pazifist den Ratschlag, sich an deren als besonders militant bekannter Politik zu orientieren, mit seiner eigenen Einstellung vereinbaren konnte, weiß die Autorin allerdings nicht zu berichten. Hingegen erinnert Steinem daran, dass die ersten amerikanischen Astronauten in den frühen 1960er-Jahren das russische Vorhaben, „eine Frau ins Weltall zu schicken mit dem Spruch kommentiert, da könne man ja gleich einen Affen schicken“. Unsere nächsten Verwandten hatten tatsächlich allerdings – in Gestalt des Versuchstieres Ham the Astrochimp – bereits 1961 die Erde umkreist. Die Russen beließen es nicht bei ihren Plänen, sondern schickten mit Walentina Tereschkowa 1963 tatsächlich die erste Frau ins All, die sich natürlich – ebenso wie all ihre späteren Kolleginnen – den Weltraumstrapazen nicht weniger gewachsen zeigte als die Herren.

Steinem bietet in ihrem Buch nicht so sehr Überlegungen zur feministischen oder genderpolitischen Theorie, sondern erzählt – dabei völlig uneitel – eng am eigenen Erleben entlang. Dabei schenkt sie den LeserInnen Bekanntschaften mit einer ganzen Reihe großartiger Persönlichkeiten, von denen etliche zumindest hierzulande weithin unbekannt sind, wie etwa Florynce Kennedy, mit der sie in den 1970ern über etliche Jahr hinweg auf Vortragsreisen war, oder Aileen Hernandez, „die erste afroamerikanische Präsidentin der National Organization for Women“. Daher verwundert es auf den ersten Blick etwas, dass andererseits so manche Größen der US-amerikanischen Frauenbewegung wie Shulamith Firestone nicht einmal beiläufig erwähnt werden. Doch mag dies dadurch zu erklären sein, „dass es entgegen aller Vorurteile längst nicht so ist, dass alle prominenten Feministinnen miteinander bekannt sind“.

So eng Steinem auch an ihrem (Er-)Leben entlang erzählt, von eigenem Leiden, etwa ihren äußerst schmerzhaften und gar lebensbedrohlichen Krankheiten spricht sie kaum. Dafür aber umso zu Herzen gehender über den sich hinziehenden Todeskampf ihrer tapferen Freundin Wilma Mankiller.

Sollte es an Steinems großartigem Buch überhaupt etwas zu bemäkeln geben, dann vielleicht, dass es allzu optimistisch auftritt. Selbst die wenigen negativen Erlebnisse, von denen die Autorin spricht, wendet sie zuletzt doch noch positiv, denn immer lässt sich aus ihnen etwas lernen oder sie geht sogar gestärkt aus ihnen hervor. Offenbar liegt Steinem sehr daran, ihre LeserInnen zu ermutigen, selbst das Wagnis der Emanzipation auf sich zu nehmen, und daran, den bereits Engagierten Mut zu machen, niemals aufzugeben. Und dieser Mut ist ja angesichts der aktuellen politischen Entwicklung, die es etwa möglich macht, dass in den USA mit Donald Trump ein misogyner Voyeur und bekennender Frauenbegrapscher an die Schalthebel der Macht gelangt, wahrhaftig erforderlich. Resignation jedenfalls hat noch nie zur Emanzipation beigetragen oder auch nur die bereits erreichten Erfolge zu erhalten vermocht.

Titelbild

Gloria Steinem: My Life on the Road.
Übersetzt aus dem Englischen von Eva Bonné.
btb Verlag, München 2016.
384 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783442757039

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