Scherz, Ironie und der tiefere Sinn

„Lippen abwischen und lächeln“ versammelt Max Goldts beste Stücke

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Humor ist eine subjektive Sache, es mag daher nicht überraschen, dass nicht jeder den Humoristen Max Goldt mögen wird. Aber Goldt hat in seiner über dreißig Jahre andauernden Schaffensperiode alle seine Kritiker überwunden und arbeitet bis heute munter und komisch weiter: Seit den 1980iger-Jahren hat er mehr als 25 Bücher mit seinen Texten und mehrere Comic-Bücher gemeinsam mit Stephan Katz veröffentlicht, diverse Lesebücher eingesprochen und Musik gemacht. Der Schriftsteller und Musiker Goldt hat im Gegensatz zu andern komischen Schriftstellern immer wieder neu den Ton und die Themen gefunden, d.h. das Publikum ist ihm treu geblieben, denn er hat stetsden Nerv seiner Zeit getroffen – ein Kunststück, denn wie viele Komiker sind in der Versenkung verschwunden, weil sie sich einfach nicht anpassen wollten und bei ihren einheitlichen Witzchen stehengeblieben sind? Die Komik ist ein wankelmütiges Weib, sie verändert sich mit der Zeit – nicht alles was heute witzig ist, ist es noch in zehn Jahren. Nur die wenigsten Humoristen sind beständig, darunter Goldt.

Man kann darüber spekulieren, was sein Geheimnis ist, aber sicher dürfte sein, dass Max Goldt ein sehr guter und scharfsinniger Beobachter der Gegenwart ist, was seine Texte und Comics beweisen. Die Groteske und der Wahnwitz des Alltags werden bei ihm großgeschrieben. Man spürt und liest seine Lust an Sprachspielen und -witzen aus seinen Texten immer wieder heraus, es ist wahrlich ein prächtiges Vergnügen, seinen Sprachglossen zu folgen. Oftmals sind es auch die merkwürdigen und wirklich abgedrehten Wendungen, die den Hörer oder Leser erstmal irritieren und dann lachen lassen – Irritation als Quelle des Witzes, ein gelungener Kunstgriff.

Aber auch die Abschweifungen, das Treiben der Gedanken in die merkwürdigsten Situationen und Richtungen, sind ein Quell der Erheiterung. Goldt benutzt immer wieder altbekannte Strukturen, aber die Inhalte und die Witze sind stets etwas Neues. Das stetig Neue und Unerhörte sind wohl die Zutaten, die seinen Erfolg ausmachen. Es sei noch angemerkt, dass er es meisterlich versteht, seine Witze, Anekdoten und Gedanken so zu formulieren, dass sie zwar oftmals total verrückt sind, aber nie platt wirken. Immer versucht Goldt, einen gehobenen Witz in seine Texte zu bringen – er verkauft sich nicht unter seinem Niveau. Und so sollte man seine Texte und Comics auf sich wirken lassen oder gar ein zweites Mal lesen, denn oft ist darin noch ein tieferer Scherz versteckt .

Lippen abwischen und lächeln. Die prachtvollsten Texte 2003 bis 2014 ist nun ein Best-of aus Goldts Schaffen, wobei der Untertitel Verwirrung stiften kann. Der Untertitel intendiert, dass das Buch Texte aus knapp zehn Jahren versammelt, was aber in zwei Punkten nicht stimmt: Erstens sind auch Texte aus den 1990er-Jahren enthalten, zweitens beinhaltet das Buch nicht nur Texte im engeren Sinn: Szenen, ein paar Comics und Bild-Text-Montagen aus dem Bilderband Gattin aus Holzabfällen sind ebenfalls zu finden. Der Untertitel ist damit völlig missverständlich bzw. unglücklich gewählt – oder soll der Untertitel die Erwartungshaltung herunterschrauben, nur damit der Leser dann eine wohlige Überraschung beim Lesen erlebt? Zuzutrauen wäre es Goldt schon, dass er sich hier einen Witz erlaubt hat.

Das Buch beinhaltet also einen Querschnitt von Goldts literarischem und künstlerischem Schaffen, wobei hier nochmals erwähnt werden muss, dass es besonders positiv auffällt, dass man sich nicht nur auf die reinen Textarbeiten gestützt, sondern wirklich sein (fast) komplettes Schaffen berücksichtigt hat. Aber eine weitere Sache stimmt nun wieder nicht ganz, denn einige Texte sind im Detail verändert, d.h. einiges wurde gekürzt oder inhaltlich überarbeitet, sodass diese Texte eine Art Remix von älteren bekannteren Texten sind. Dies mag darin begründet sein, dass Goldt einerseits vielleicht mit den älteren Produkten nicht ganz zufrieden war und die Chance zur Überarbeitung nutzte, anderseits wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass manches einfach mit einem längeren zeitlichen Abstand heute nicht mehr so lustig ist wie früher und aktualisiert gehört. Schlimm sind beide Gründe nicht, sie sprechen eher für den Humoristen, der stets nach Aktualität bestrebt ist.

Weit mehr als 70 Texte, Bilder und Comics umfasst der Band, es liegt in der Natur der Sache, dass nicht jeder Text gleich gut ist, manch ein Witz oder eine Pointe mag nicht richtig zünden, aber bei der Auswahl wurde offensichtlich versucht, ein gleichbleibend hohes Level zu finden.

Nur wird man sich fragen, wer die „prachtvollsten Texte“ ausgesucht hat, und warum gerade diese Texte das Prädikat „prachtvollste“ erhalten haben. Ein Vor- oder auch Nachwort fehlt vollständig, daher bleibt unklar, ob Goldt die Texte selbst ausgesucht hat oder jemand anderes. Es ist wirklich bedauerlich, dass man die Chance versäumt hat, Max Goldt selbst zu Wort kommen zu lassen. In einem Vor- oder Nachwort hätte er über sein Schaffen Auskunft geben können, immerhin umfasst der Band eine gezielte Auswahl der wohl besten Stücke. Man hätte auch einen Kollegen darum bitten können, welcher dann über die Vorzüge von Goldts Komik hätte schreiben können.

Damit wird dem routinierten Goldt-Kenner in diesem Buch nichts Neues geboten. Die wenigen Veränderungen innerhalb der Texte rechtfertigen nicht unbedingt den Erwerb, wenn man schon die älteren Einzelausgaben besitzt. Wer aber Max Goldt kennenlernen möchte, sollte zu diesem Best-of greifen, denn es bietet einen reichhaltigen Querschnitt von Goldts komischem Œuvre.

Titelbild

Max Goldt: Lippen abwischen und lächeln. Die prachtvollsten Texte 2003 bis 2014 (und einige aus den Neunzigern).
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2016.
511 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783871341779

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