Falscher Prophet

Der kommende US-Präsident Donald Trump gewann die Wahl mit altbekannten Verschwörungstheorien. Einblicke in antisemitische Narrative aus Nordamerika

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Fake News und verschwörungstheoretische Kampagnen als weltweiter Trend

Großes Entsetzen in New York. In einem inoffiziellen Treffen mit wichtigen Medienvertretern stauchte Donald Trump seine Gäste zusammen. Er habe es mit „betrügerischen, unehrlichen Medien“ zu tun, und bei CNN handele es sich um ein „Netzwerk von Lügnern“. Da war es also wieder. Die Rede ist von einem Gespenst, das auch in Deutschland seit Längerem umgeht – das antidemokratische Konstrukt der „Lügenpresse“. Einer Journaille also, die grundsätzlich manipuliert sei und ausschließlich ‚denen da oben‘ das Wort rede.

Was als wütender Ruf nach Meinungsfreiheit daherkommt, ist allerdings überall dort, wo es derzeit auf der Welt auftaucht, stets genau das Gegenteil. Genauso wie Plebiszite, deren noch so knappe Ergebnisse hinterher als ‚Volkswille‘ ausgegeben werden, der ab sofort keinerlei Widerspruch mehr dulde, wolle man nicht als ‚Verräter‘ gelten – siehe Brexit. Es handelt sich um leidlich kaschierte Forderungen nach einer autoritären Gesellschaft, in der fortan nur noch eine einzige ‚Wahrheit‘ gelten dürfe, und sei sie noch so absurd und menschenfeindlich.

Nun allerdings war Trump plötzlich selbst ‚ganz oben‘. Für wen ‚log‘ die US-Presse aus seiner Sicht denn nun noch? Seine Wut schien jedenfalls ungebrochen. „Es war ein gottverdammtes Erschießungskommando“, beschwerte sich einer der Zeugen des besagten New Yorker Treffens. Tatsächlich verwundert es kaum, wenn ein Populist wie Trump auch nach seiner Wahl der Linie treu bleibt, Journalisten anzugreifen, die nicht positiv über ihn berichtet haben. Doch hinter seinen Tiraden steckt offensichtlich mehr. Sie sind Botschaften an seine Wähler und die gesamte Gesellschaft der Vereinigten Staaten, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.

Heftige Kritik an Trump gab es tatsächlich. Doch selbst Hitler-Vergleiche und andere apokalyptische Warnungen von Seiten des US-Journalismus konnten es nicht verhindern: Am 20. Januar 2017 wird man Donald Trump als 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigen.

Der Weg dorthin entsprach einem internationalen Trend. Genauso wie in Deutschland, wo der Antisemitismus seit Jahren besorgniserregende Umfragewerte zeitigt, die jüngsten AfD-Wahlergebnisse Angela Merkel in Bedrängnis bringen, Pegida-Demonstranten den letzten Tag der deutschen Einheit für führende Politiker in Dresden zu einem Spießrutenlauf machten und die „Reichsbürger“-Gemeinde von einer wachsenden Anfälligkeit der Wutbürger für verschwörungstheoretische Weltbilder zeugt, konnte auch Trump in den USA von der politischen Effektivität rassistischer Wahnvorstellungen profitieren.

Man kann gar nicht genug betonen, wie global sich diese Entwicklung derzeit ausnimmt und wie wenig sie sich auf sogenannte bildungsferne Schichten beschränkt. Samuel Salzborn etwa schreibt in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Mittelweg 36, dass das übergreifende Thema des deutschen Rechtsextremismus das der Verschwörung sei. Die „Verschwörungskampagne“ dieses Diskurses ziele darauf ab, „politische und gesellschaftliche Entwicklungen der rationalen Betrachtung zu entziehen und stattdessen die Emotionalität und Affekthaftigkeit des Politischen zu steigern“. Ihr Grundmotiv sei, dass hinter diesen Prozessen

unbekannte, unfassbare, omnipotente Mächte vermutet werden, die stets im Verborgenen agieren und die Agenden der sichtbaren politischen Akteure insgeheim steuern. Das Motiv der Verschwörung ist historisch wie systematisch ein antisemitisches, gleichwohl kann die Verschwörungsphantasie im gegenwärtigen Rechtsextremismus zahlreiche Ausprägungen annehmen, neben den nach wie vor dominanten Ausformungen als Antisemitismus und Antiamerikanismus auch solche, die sich um die Gefahr einer angeblichen islamisierung Europas drehen.

Hinterfagbar an Salzborns Diagnose ist die offenbar dahinter stehende Annahme, es gebe eine klare Trennung zwischen Rationalität und Emotionalität. Dieser alten Dichotomie wird von der interdisziplinären Emotionsforschung seit Langem widersprochen. Emotionen bestimmen das menschliche Denken vielmehr grundlegend – und umgekehrt. Wie unter anderem im Folgenden zu zeigen sein wird, beruhen die Affekte der Verschwörungstheoretiker und der Trump-Wähler nicht nur auf bloßer Paranoia. Sie fußen auf einer eigenen narrativen und sprachlich besonders codierten Konstruktion von Realität, die für Anhänger in sich konsistent ist.

Kaum betrachtet wurde in dem Kontext zudem, welch lange Tradition Verschwörungstheorien in den USA haben und wie gezielt sie Donald Trump während seines Wahlkampfes aufgriff. Dass der Milliardär in seiner eigenen Welt lebe, wie Hillary Clinton im ersten TV-Streitgespräch mit ihm bemerkte, stimmt deswegen nur halb. Trumps abenteuerliche Behauptungen über Clinton oder auch seinen republikanischen Herausforderer Ted Cruz ließen sich stets als Verweise auf weit umfassendere und zugleich uralte verschwörungstheoretische Master-Erzählungen lesen, deren Copyright anderswo liegt.

Henry Ford verkaufte nicht nur Autos

Trumps Fans verstanden seine Anschuldigungen deshalb so gut, weil sie sich dadurch an die geläufige Fiktion einer ungenannten externen Macht erinnert fühlen konnten, die mit allen Mitteln zu verhindern versuche, was der Präsidentschaftskandidat endgültig durchzusetzen versprach – ein dem Untergang geweihtes Amerika wieder zu neuer Weltmacht zu verhelfen.

Hier lohnt sich der Blick auf Details. Selbst Trumps wiederholte Schutzbehauptung nach zweifelhaften Auftritten, man habe ihm ein kaputtes Mikrofon gegeben, konnte so als ernste Mitteilung aufgefasst werden. Was in Europa als tumbe Ausrede für mangelhafte rhetorische Leistungen verlacht und in der deutschen ZDF-Satiresendung Heute Show als Gipfel der Dreistigkeit angeprangert wurde, vermochten Großteile des US-Publikums mit Trumps Klage über einen sabotierten Wahlkampf zu verbinden.

Behauptungen Trumps, Google manipuliere die Suchergebnisse zu Hillary Clinton und die US-Journaille arbeite konzertiert auf einen Sieg der Konkurrentin hin, passten ebenso in dieses vage Narrativ wie der vermeintlich vielsagende Hinweis von Donald Trump Jr., die Herausforderin habe in einer TV-Diskussion einen Knopf im Ohr gehabt. Welchen dämonischen Einflüsterungen, mögen sich geneigte Wähler gefragt haben, lauschte die Präsidentschaftskandidatin?

Das massentaugliche Phantasma einer geheimen Zersetzung der US-Gesellschaft durch manipulierte Medien erinnert an die Protokolle der Weisen von Zion. Also an jene von Henry Ford ab 1920 in seiner Publikation The International Jew und der auflagenstarken Wochenzeitung Dearborn Independent erstmals in den USA verbreiteten, bereits um 1900 in Russland entstandenen Fiktion einer jüdischen Weltverschwörung. Diese lange Geschichte des Antisemitismus in den USA ist allerdings vielen Bürgern in den Staaten gar nicht mehr präsent, so dass Rückgriffe auf die Protokolle und ihre Suggestivität von vielen Wählern womöglich gar nicht mehr in ihrer Problematik und Gefährlichkeit erkannt und decodiert werden konnten. Genauer gesagt: Das Narrativ klang in ihren Ohren gewiss bekannt und deshalb überzeugend. Dass es allerdings auch eines ist, das jemanden wie Adolf Hitler begeisterte, den Fords publizistische Aktionen in den 1920er Jahren erklärtermaßen inspirierten und ermutigten, und dass Henry Ford später sogar stolz einen Orden der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland annahm, war und ist ihnen wohl weniger bewusst. Es sei denn, es handelte sich um Wähler, die sich selbst ohnehin ganz offen als Nazis verstehen.  

Der New Yorker Theaterleiter Tuvia Tenenbom, ein jüdischer Autor, der sich zu Recherchezwecken für seine Publikationen immer wieder gerne als Deutscher ausgab, um Dinge zu erfahren, die man ihm sonst so nie eröffnet hätte, reiste zuletzt kreuz und quer durch die USA und schrieb ein Buch darüber. In einem Gespräch mit dem Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza erzählt Tenenbom die folgende Anekdote:

Ich habe das Henry-Ford-Museum in Michigan besucht. Es war der 4. Juli, und ich war gerade in Dearborn. […] Während der Besichtigung fällt mir ein, dass da doch was war mit Henry Ford und Antisemitismus. Also frage ich die Museumsangestellten: „Können Sie mir die Abteilung zeigen, die sich mit Fords Antisemitismus befasst?“ Sie scheinen nicht zu wissen, wovon ich rede, und sagen: „Wissen Sie was, Sie können sich eine Zugangskarte für den Computer holen, schauen Sie in unsere Datenbank, da finden Sie alle Informationen.“ Ich bekomme also diese Besucherkarte und suche am Computer nach „Henry Ford und Juden“. Ergebnis: „Keine Daten vorhanden.“ Ich versuche es mit „Juden und Henry Ford“: „Keine Daten vorhanden.“

Okay, denke ich mir, und gebe einfach nur „Jude“ ein – nichts. Später habe ich dann mit einer der Museumsführerinnen draußen in ihrer Zigarettenpause gesprochen. Wir kommen auf diese Sache zu sprechen, und sie sagt: „Das bringen sie uns in der Schulung so bei. Wenn jemand irgend etwas zum Thema Juden fragt, sind wir angewiesen, den Besuchern diese Karte für den Computer zu geben, und da finden sie nichts. Dafür werden wir extra geschult.“ Wir reden hier vom Henry-Ford-Museum, das Teil des Henry-Ford-Imperiums ist. Wir reden vom ganz normalen Amerika. Sie lügen einem ins Gesicht.

Von dieser Verleugnung des nordamerikanischen Antisemitismus, die in Michigan sicher kein Einzelfall ist, dürfte auch Donald Trump mit seinen Behauptungen über die Störung seines Wahlkampfes durch die US-Medien profitiert haben. In den Protokollen der Weisen von Zion ist die Rede davon, dass die jüdischen Verschwörer, deren Pläne in dem Text von einem ihrer fiktiven Anführer offengelegt werden, weltweit die Presse zensieren, um das Bewusstsein aller Nichtjuden zu trüben. Selbst noch die öffentliche Kritik an Juden sei dabei von den Saboteuren fingiert, um die Öffentlichkeit in Sicherheit zu wiegen und davon zu überzeugen, dass es nach wie vor einen unabhängigen Journalismus gebe.

Finstere Mächte am Werk: Trumps Spiel mit antisemitischen Botschaften

Es gab harsche Kritik an Trumps letztveröffentlichtem Wahlkampf-Werbespot, in dem der Präsidentschaftskandidat über „Strippenzieher in Washington“ raunte, deren „Establishment“ über „Trillionen“ von Dollars verfüge, mit Clinton gemeinsame Sache mache und mit den US-Bürgern „nichts Gutes“ im Schilde führe. Eine ominöse „globale Machtstruktur“ sei für ökonomische Entscheidungen verantwortlich, welche die „Arbeiterklasse“ der USA ausgeraubt, dem Land seinen Reichtum genommen und das Geld in die „Taschen einer Handvoll großer Organisationen und politischer Gebilde“ habe wandern lassen. Während dieser Formulierungen tauchen in dem Werbespot Bilder wirtschaftlicher Schlüsselfiguren auf: zunächst der ungarische Holocaust-Überlebende und US-Investor George Soros, dann die jüdische Wirtschaftswissenschaftlerin und Federal-Reserve-Präsidentin Janet Yellen und schließlich Lloyd Blankfein, CEO bei Goldmann Sachs.

Was hier inszeniert wurde, definierte der US-Rechtswissenschaftler und Verfasser einer lesenswerten Studie über die Macht der Verschwörungstheorien in der amerikanischen Kultur, Mark Fenster, in einem Interview mit dem kanadischen Nachrichtenmagazin Maclean’s als „Dog-whistle politics“: Wie eine Hundepfeife, deren Frequenz Menschen gar nicht wahrnehmen, vermögen demnach gewisse Botschaften nur berufene Teile des Publikums zu erreichen, während andere deren problematische Aspekte gar nicht bemerken. Der beschriebene Wahlkampf-Film mag keine explizit formulierte antisemitische Botschaft enthalten, insinuiert jedoch zumindest auf seiner visuellen Ebene sehr deutlich, dass die gezeigten jüdischen Persönlichkeiten exakt für diejenigen Mächte stehen sollen, die Trump aus dem Off für alles Unglück der US-Gesellschaft verantwortlich macht.

Auch der niederländische Autor Ian Buruma stellte im New York Times Magazine fest, dass zwar nicht jeder Trump-Fan verstanden haben werde, dass alle inkriminierten Figuren in dem Spot jüdisch seien. Doch diejenigen, die dies wussten, hätten die implizite Botschaft genau verstanden. In Erinnerung an Trumps Behauptung, Hillary Clinton mache geheime Deals mit internationalen Banken, um die US-Souveränität zu zerstören, schrieb zudem der Anglist Mark Danner von der University of California in Berkeley im New York Review of Books, Trumps notorische Stichworte erinnerten an die 1930er-Jahre in Deutschland, und auch die Protokolle der Weisen von Zion seien davon nur schwer zu unterscheiden: „As many have pointed out, words and sentiments such as these – international bankers, conspiracy, ‚stab in the back‘ – would not have been out of place in Germany in the early 1930s. Nor are the echoes of such diatribes as the Protocols of Zion difficult to discern.“

Alex Ross ergänzte derartige Warnungen im New Yorker aus der Perspektive der Kritischen Theorie, indem er feststellte, Leo Löwenthal mit seiner Studie Prophets of Deceit (1949) sowie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer mit ihrer Analyse der Authoritarian Personality (1950) hätten bereits richtig vorausgesehen, wo die amerikanische Gesellschaft nunmehr gelandet sei: Schon Adorno habe hellsichtig die Gefahr eines massenkulturellen Medien-Apparats erkannt, wie er nun mit Trumps Twitter-Kampagnen sein Haupt mit Macht erneut erhebe. Und auch Leo Löwenthal dokumentierte populistische Rhetoriken, die den Republikaner Trump von Anfang an unterhaltsamer als seine Konkurrentin habe erscheinen lassen.

Wie sind diese beunruhigenden Diagnosen zu verstehen? Stehen wir tatsächlich kurz vor dem Beginn eines weltweiten Siegs des Populismus, mit den bekannten furchtbaren Folgen für bedrohte Minoritäten wie die Juden? In Sachen Trump ist es für klare Diagnosen über das, was Amerika in diesem Fall konkret bevorsteht, sicher noch zu früh. Doch es besteht Grund zur Sorge. Die US-Historikerin Anne Applebaum fasste die globale Entwicklung im Tages-Anzeiger so zusammen: „Ich nenne diese Internationale populistisch und nicht faschistisch, weil ich nicht die direkte Verbindung zu den 1930er-Jahren ziehen will. Ich sage nicht, dass es mit Hitler und einem Massenmord an den Juden enden muss. Aber es liegt etwas Ähnliches in der Luft.“

Rhetorik im Social Media-Zeitalter: Trump textet via Twitter

Trumps hauptsächliches Propagandamedium, das ihn im Gegensatz zu Pressekonferenzen, denen er bislang aus dem Weg gegangen ist, geradezu unangreifbar erscheinen lässt, ist Twitter. Geradezu manisch sendet Trump immer wieder Salven unbelegbarer Behauptungen über das World Wide Web, die dem entsprechen, was Samuel Salzborn in seinem zitierten Aufsatz als Charakteristik der Produktion verschwörungstheoretischer Mythen definiert. Diese werden demnach fast so schnell produziert, „wie die Ereignisse stattfinden, die den Anlass für ihre Formulierung bilden. Dass die Mythenbildung nahezu in Echtzeit erfolgt, hat mit der Logik der Verschwörungsphantasie selbst zu tun: Sie bedarf keiner Fakten, keiner Wirklichkeit außer ihrer selbst, um zu funktionieren. Es bedarf nur eines Anlasses, aber keiner Ursache, damit Verschwörungsphantasien aufblühen“. Daraus folgt laut Salzborn, dass Verschwörungstheorien mit rationalen Argumenten nicht zu widerlegen sind, da sie auf einer in sich geschlossenen Fiktion beruhen:

Verschwörungsmythen werden nicht geglaubt, weil sie rational oder kognitiv überzeugend wären, sondern weil sie ein Weltbild festigen, das gerade nicht den Prinzipien der Aufklärung verpflichtet ist, sondern lediglich dazu dient, Pseudobelege für Vorstellungen zu liefern, die im Widerspruch zu allen rationalen Erkenntnissen stehen. Deshalb ist es auch nicht möglich, eine Verschwörungstheorie in einer für ihren Anhänger schlüssigen Weise zu widerlegen: Er glaubt sie, weil sie irrational ist – und jeder Beleg dieser Irrationalität wird nur wieder in das Wahnweltbild des großen Verschwörungsglaubens integriert. Darum sind Verschwörungsphantasien auch keine Theorien: Sie wollen die Wirklichkeit nicht erklären, sondern den psychischen Bedürfnissen derer anpassen, die an sie glauben. Ihr Anspruch ist nicht theoretisch, sondern praktisch. Der Markt aber, der sich daraus für Verschwörungsliteratur und anderes mehr ergibt, ist gigantisch.

Zum Beispiel kann man damit offenbar problemlos Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Um die Putin-Biographin Masha Gessen zu zitieren, die in einem Artikel über Trumps auffällige habituelle Nähe zu dem Medienverhalten des russischen Präsidenten schreibt: „With a president who lies in order to demonstrate power, fact-checking is indeed useless if it’s the entire story.“

Es kommt dadurch zu einer Verschiebung der öffentlichen Wahrnehmung und der politischen Debattenkultur hin zur Diskurshoheit der Verschwörungsphantasie via Social Media. Massenhafte zustimmende Re-Tweets von Trumps getwitterten Behauptungen selbst durch Individuen aus den von ihm anderswo rassistisch angegriffenen Wählerschichten halfen dabei, eine scheinbare Mainstream-Zustimmung für den republikanischen Präsidentschaftsanwärter zu suggerieren. Das offensichtlich irrationale, rassistische und antisemitische Denken, das Trumps Botschaften kennzeichnete, wurde dadurch gar nicht mehr unbedingt als solches wahrgenommen, weil die Follower stets annehmen konnten, dass ‚doch alle anderen auch davon überzeugt sind‘.

Es handelte sich dabei aber teils offenbar nur um scheinbare Online-Voten, die Medienberichten nach vielfach maschinell generiert und gefaket wurden. Ein altbekanntes Prinzip politischer Propaganda, wie es auch im Nationalsozialismus zum Einsatz kam, wird hier unheimlicherweise mittels eines digitalen Algorithmus rein rechnerisch erledigt: Sobald eine Ideologie eine gewisse ‚Gleichschaltung‘ in den Medien und im öffentlichen Raum erreicht hat, werden die Massen schlicht blind für die Lügen, die sie bereits als Selbstverständlichkeit wahrnehmen, weil ‚doch sowieso alle daran glauben‘. Dann regt es z.B. auch niemanden mehr auf, wenn entschieden wird, Millionen Menschen aus der Nachbarschaft zu deportieren – wie es Trump von Anfang an im Blick auf die ‚illegalen‘ Latinos und ‚terroristische‘ Muslime forderte.

Kurz: Es entstehen die mittlerweile vielbeschworenen Echo-Kammern einer Fake-Realität, die keiner mehr als solche wahrzunehmen vermag, der sich nur noch innerhalb seiner (Facebook-)Bubble bewegt. Alles, was in diesen Widerhallräumen verhandelt wird, gilt plötzlich als unhinterfragbare Wahrheit. Gegenstimmen existieren nicht mehr. Wer dennoch widerspricht, dem drohen der Shitstorm, Hatemails – oder gar handgreifliche Aggression des Mobs, der den Genuss und den Kick der totalen kollektiven Revolution gegen jede Wahrheit sucht, um sich der Illusion jener absoluten Freiheit der Gewalt gegen die Komplexität der Aufklärung hinzugeben, die seit jeher im Antisemitismus kulminierte.

Insbesondere Facebook wird heute von vielen Leuten als hauptsächliches Nachrichten-Forum anerkannt, und Fake-News können selbst von unbescholtenenen Usern kaum noch von recherchierbaren Fakten unterschieden werden. Mehr noch: Da das Make-Believe-Spiel verschwörungstheoretischer Fiktionen einfacher zu ‚verstehen‘ ist und nicht zuletzt sehr viel unterhaltsamer wirkt, werden alle unwiderlegbaren ‚Wahrheiten‘ dieses Diskurses den nachprüfbaren Fakten-Sammlungen öffentlich-rechtlicher Nachrichtennetzwerke zunehmend vorgezogen. Deswegen greift auch Trump sie auf. Das, was dem rational entgegensteht – siehe dazu auch die von Salzborn analysierte Entwicklung in Deutschland – wird nur noch pauschal als betrügerische Suggestion der „Lügenpresse“ begriffen.

Das Rätsel um Trumps kommende Israel-Politik

Ist Trump demnach ein antisemitischer Demagoge? All diesen Befunden stehen abwiegelnde Stimmen wie die in dem israelischen Internetportal Ynetnews gegenüber, in dem der US-Businessman und Trump-Unterstützer Yaakov Shaham beteuert, er habe Trump beim Golfen in Miami als überaus freundlichen und zurückhaltenden Privatmann kennengelernt, der sich ihm gegenüber aufgrund der Konversion von Trumps Tochter Ivanka zum Judentum sogar selbst als Jude bezeichnet und niemals auch nur ein negatives Wort über Israel verloren habe.

Trump distanzierte sich von sogenannten Alt-Rights, die seinen Sieg mit Hitler-Gruß feierten. Seinen Berater Stephen Bannon, der sein umstrittenes News-Portal Breitbart.com eigens als Sprachrohr der alternativen Rechten in den USA bezeichnete, nahm er gegen den Verdacht des Rassismus in Schutz. Nicht zuletzt beteuerte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu in der CBS-Sendung 60 Minutes: „Ich kenne Donald Trump und ich denke, sein Verhalten gegenüber Israel, seine Unterstützung sind klar.“ Dass sich Trump dem Staat und dem jüdischen Volk sehr verbunden fühle, daran bestehe „kein Zweifel“.

Angesichts eines selbstherrlichen Wirrkopfes wie Trump wirken derartige Mantren allerdings ein wenig wie Kaffeesatzleserei ­– oder auch das berühmte Pfeifen im Walde. Wenn seine täglich wechselnden Standpunkte und Richtungswechsel im Wahlkampf, um nicht zu sagen seine ständigen Lügen und seine Behauptungen, etwas nachweislich Geäußertes nie gesagt zu haben, von jemandem wie Netanjahu mit derartigen hoffnungsfrohen Beschwörungen kommentiert werden, besagt das leider erst einmal gar nichts.

Genauso wie die glühenden Solidaritätsadressen Donald Trumps oder auch des fundamentalistischen Christen und neuen US-Vizepräsidenten Michael Pence, die man sich auf YouTube ansehen kann. Trumps vielfach geäußerte Bewunderung für Vladimir Putin etwa, der bekanntlich mit dem syrischen Giftgas-Massenmörder und radikalen Israel-Hasser-Präsidenten Baschar al-Assad paktiert und die US-Wahl den amerikanischen Geheimdiensten zufolge durch Hacker-Angriffe maßgeblich beeinflusste, widerspricht den philosemitischen Beteuerungen der kommenden amerikanischen Staatenlenker diametral. So wie so vieles in Trumps Wahlkampf ganz und gar nicht zusammenpasste – oder bei größerem öffentlichem Protest ganz einfach als locker room talk abgetan wurde.

Zudem ist fraglich, ob außenpolitische Hardliner-Gesten wie Trumps Ernennung eines in Sachen Diplomatie vollkommen unerfahrenen Casino- und Insolvenz-Anwalts wie David Friedman zum US-Botschafter in Israel dem demokratischen Staat im Nahen Osten wirklich weiterhelfen werden. Friedmann bezichtigte Barack Obama absurderweise des Judenhasses und fiel stattdessen selbst durch Äußerungen auf, die den Tatbestand des sekundären Antisemitismus erfüllen. So berichtete die New York Times, dass Friedman Unterstützer der liberalen amerikanisch-jüdischen Organisation J Street, die sich in Israel für eine Zweistaatenlösung und für Obamas umstrittenen Atomindustrie-Deal mit dem Iran einsetzten, als „far worse than kapos“ bezeichnete – „Jews who turned in their fellow Jews in the Nazi death camps.“

Israel steht derweil mit dem Rücken zur Wand und setzte beim letzten Eklat über eine problematische UN-Resolution auf Konfrontation, im offensichtlichen Vertrauen auf eine Besserung der Lage durch die kommende US-Administration. Diese händeringenden Wünsche stießen bei dem gewählten US-Präsidenten im Dezember 2016 auf offene Ohren. So übte Trump dem Tagesspiegel zufolge scharfe Kritik an der Haltung der amtierenden Regierung Obamas: „Wir dürfen Israel nicht länger mit solch totaler Verachtung und Respektlosigkeit behandeln“, schrieb der Republikaner einmal mehr via Twitter: „Israel habe in den USA einst einen ‚großartigen Freund‘ gehabt, dem sei aber nicht mehr so. Nach seiner Amtsübernahme am 20. Januar 2017 werde sich das wieder ändern, versicherte der Republikaner. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu bedankte sich daraufhin bei Trump für dessen ‚warme Freundschaft‘ und ‚eindeutige Unterstützung Israels‘.“

Auf der anderen Seite gab die New York Times zu bedenken, Netanjahu werde Obama möglicherweise schon bald vermissen. Werde ihm doch Trumps freudige Zustimmung zu allen nur erdenklichen radikalen innen- und außenpolitischen Schritten seiner Regierung die Argumente gegenüber der israelischen Rechten ausgehen lassen, diese vorerst doch noch nicht umsetzen zu können. Konnte er doch bisher in solchen Fällen auf die mächtige US-Opposition Obamas verweisen, wenn er erklären wollte, warum ihm derzeit in dieser Sache leider noch die Hände gebunden seien. Dies alles könne laut dem zitierten Artikel der New York Times fatale Folgen haben, unter anderem für die Verhinderung der drohenden iranischen Nuklearbewaffnung. Zumindest heißt es in dem zitierten Artikel über den (aufgrund der Fragwürdigkeit seines Nutzens gegenüber der betrügerischen iranischen Regierung allerdings durchaus mit guten Gründen umstrittenen) Iran-Deal, die Folge könne eine internationale Isolation Israels und der USA sein: „But if they kill an agreement the rest of the world believes is working, the United States and Israel will be blamed and isolated, other countries will refuse to reimpose the international sanctions that were necessary to secure the deal, and Iran will kick out inspectors and resume its frozen nuclear program. It would be supremely ironic, but not entirely surprising, if Mr. Trump started to take steps that recklessly threatened the nuclear deal, and Mr. Netanyahu ended up quietly urging him to keep it in place.“

Wie dem auch sei: Man sollte sich durch diese bemerkenswerten weltpolitischen Wendemanöver und die zitierten anderen Behauptungen über Trumps grundsätzlichen Philosemitismus nie vom nüchternen Blick auf die bisherigen Fakten ablenken lassen. Offensichtlich schließt sich bei solchen Populisten wie Trump der Einsatz antisemitischer Verschwörungsphantasien im Wahlkampf und die Hardliner-Parteinahme für Israel, die bei mangelnder Diplomatie am Ende mehr Probleme erzeugen könnte als sie beseitigen will, keineswegs aus. Längst nicht ausgemacht ist zumal, was Trumps permamentes Spiel mit dem Feuer für die innenpolitische Lage in den Vereinigten Staaten selbst bedeuten wird. Aufgrund seiner besagten „Dog-whistle politics“ dürften viele Wähler Trump nicht nur wegen kommender Freundschaftsadressen an Israel gewählt haben, sondern eher wegen der Annahme, er stehe vielmehr für das Gegenteil.

Ein Faktum ist und bleibt jedenfalls nicht zu bestreiten: Trump spielte in seinem Wahlkampf mit antisemitischen Stereotypen. Ein Blick auf die Literaturgeschichte lehrt, wie komplex sich derartige Prozesse ausnehmen können. Autoren judenfeindlicher Texte äußerten sich in der Geschichte stets gerne widersprüchlich, und selbst jüdische Rezipienten solcher Werke taten Dinge, die mit dem Inhalt ihrer Publikationen aus heutiger Sich kaum noch rational in Einklang zu bringen sind. Germanisten hielten es deshalb zum Beispiel schon einmal für überzeugend, Gustav Freytag als Verfasser des wohl größten antisemitischen deutschsprachigen Bestsellers aller Zeiten, „Soll und Haben“ (1855), von jedem Judenhass freizusprechen und die Problematik seines Textes herunterzuspielen, indem sie darauf verwiesen, dass sein Buch in zeitgenössischen jüdischen Familien als Bar Mitzwa-Geschenk benutzt und der Schriftsteller selbst im Alter eine Jüdin geheiratet habe. So wie diese kunterbunt zusammengewürfelten Umstände rein gar nichts an der Problematik von „Soll und Haben“ zu ändern vermögen, spricht auch der von Trump verantwortete Werbespot für sich und ist nicht damit zu verharmlosen, dass sich seine Tochter Ivanka dem jüdischen Glauben zugewandt hat und Trump seither permanent freundliche Statements über Israel twittert.

Nicht zuletzt mutet in diesem Kontext der vielfache Hinweis wenig beruhigend an, dass Trumps Chefstratege Bannon, dem Antisemitismus vorgeworfen wird, mit einer Jüdin verheiratet gewesen sei und viel Geld mit der TV-Serie „Seinfield“ gemacht habe, die vom Publikum wegen ihres ‚jüdischen Humors‘ geschätzt wird.

Korrespondierende Verschwörungstheorien: JFK, Pizzagate und die „New World Order“

Donald Trump mag davon überzeugt sein, kein Antisemit zu sein. Doch hantierte er während seines Wahlkampfs nun einmal mit einer ganzen Reihe von Verschwörungstheorien, die Rassisten und Judenhassern in den USA seit Jahrzehnten geläufig sind und mit denen der Populist seine politischen Konkurrenten attackierte. Ted Cruz vermochte Trump erfolgreich mit der Andeutung zu neutralisieren, dessen Vater habe mit der Ermordung John F. Kennedys zu tun gehabt. Die durch Oliver Stones Kino-Blockbuster „JFK“ 1991 in Amerika populär gewordene Theorie, hinter der Ermordung des beliebten amerikanischen Präsidenten im November 1963 habe ein ominöser „militärisch-industrieller Komplex“ gesteckt, verweist ebenso auf eine unnahbare und allmächtig erscheinende dunkle Macht wie Trumps Rückgriffe auf andere Verschwörungsphantasien, die sich seit den 1990er Jahren um Bill Clintons damalige Amtszeiten ranken. Sogenannte White Supremacists und bewaffnete Militia Movements aus dem Mittleren Westen glaubten seinerzeit fest daran, Bill Clinton sei das Instrument einer totalitären „New World Order“. Verschwörungstheoretiker erstellten sogar eine „Clinton death list“ mit zweifelhaft Verstorbenen aus dem Umfeld des Präsidenten.

Michael Flynn, hochrangiger Militär und Verbreiter von Verschwörungstheorien via Twitter, wurde von Trump sogar zu seinem Nationalen Sicherheitsberater ernannt. Flynn und sein Sohn, der zeitweise als Regierungsmitglied seinem Vater zuarbeiten sollte, dann aber vorsorglich von seinen Aufgaben entbunden wurde, verbreiteten etwa die abenteuerliche Geschichte, Hillary Clinton und ihr Kampagnenchef John Podesta stünden einem Kinderporno-Ring vor, dessen Zentrale sich in dem Washingtoner Pizzarestaurant „Comet Ping Pong“ befinde, das im November prompt von einem ausgerasteten 28-jährigen mit einer Pistole und einem Gewehr gestürmt wurde, der Flynns obskure Andeutungen sofort geglaubt und nach eigenen Angaben den sogenannten „Pizzagate“-Fall habe untersuchen wollen. Verletzt wurde zum Glück niemand, bevor der emsige Fake-News-Fan verhaftet werden konnte. Zu seiner Verblüffung hatte er feststellen müssen, dass es in dem besagten Lokal jenen Tunnel in eine dunkle Porno-Unterwelt gar nicht gab, von dem in den frei weiter assoziierenden User-Kanälen der sozialen Medien nach Flynns Tweet zunehmend überzeugt die Rede gewesen war.

Trumps Wahlerfolg mit derartigen gefährlichen Lügengeschichten wirft dunkle Schatten auf die Zukunft, wenn man in Betracht zieht, was Die Zeit neulich meldete: Ein Großteil der Schüler und Studenten in den USA sind demnach nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, ob Nachrichtenmeldungen, die sie aus dem Internet erhalten, wahr oder unwahr sind beziehungsweise ob es sich dabei schlicht um Werbung handelt.

Auch die Süddeutsche Zeitung (SZ) wies zuletzt darauf hin, dass bereits drei Viertel der Amerikaner derartigen verschwörungstheoretischen Fake News Glauben schenken. Lynchmorde an kritischen Journalisten der „Lügenpresse“ werden in den USA bereits auf T-Shirts mit der Aufschrift „Rope. Tree. Journalist.“ („Strick. Baum. Journalist.“) empfohlen, die man im Internet erstehen kann, und im Fall von „Pizzagate“ ist der einflussreiche Verbreiter der bizarren Phantasie-Nachricht, die beinahe Opfer gefordert hätte, wie gesagt ein Mann, der „bald enormen Einfluss auf die US-Geheimdienste und das Militär haben wird und Trump oft als Letzter vor sicherheitspolitischen Entscheidungen berät“, wie die besorgte deutsche Tageszeitung erinnerte.

Insgesamt fällt auf, dass die Verschwörungstheorie von der perversen Kinderhändlerin Hillary Clinton, die kurz vor der Wahl per Social Media gestreut wurde und für die sich Trump nachträglich bedankte, an mittelalterliche Ritualmordlegenden erinnert, wie sie auch der antisemitische „Stürmer“ Julius Streichers im „Dritten Reich“ aufgriff. „Alex Jones von der sehr erfolgreichen ultrarechten Website Infowars.com“, so die SZ, habe mehrfach von satanischen Ritualen gesprochen, in die Clintons Wahlkampfleiter John Podesta verwickelt sei. Als die Wahl unmittelbar bevorstand, habe Jones in einem Youtube-Video geäußert: „Hillary Clinton hat persönlich Kinder umgebracht und vergewaltigt. Ich muss mit der Wahrheit rausrücken.“

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Auch solche Verschwörungsgeschichten, die sich um die Familie Clinton ranken, verhalfen Trump maßgeblich mit zu seinem kommenden Amt. Der nunmehr gewählte Präsident griff etwa eine der ältesten und berüchtigsten dieser Wahnideen in seinem Wahlkampf auf, indem er die Bemerkung fallen ließ, Clintons Berater Vincent Foster, der 1993 in Washington Suizid begangen haben soll, sei womöglich ermordet worden. Trumps implizite Botschaft: Sollte Hillary Clinton Präsidentin werden, würden erneut frei herumlaufende Mörder und Handlanger der teuflischen „New World Order“ ins Weiße Haus einziehen. Das Versprechen, Hillary Clinton im Falle seines Wahlsieges ins Gefängnis zu bringen, ließ also viele Amerikaner wohl nicht nur wegen der leidigen Affäre über ihre leichtsinnige Nutzung eines privaten E-Mail-Accounts für Regierungsgeschäfte aufhorchen.

In diesen Kontext gehört zudem die Rezeption der Turner Diaries (1978), eines rassistischen und antisemitischen Romans von William L. Pierce, der den Militia-Anhänger Timothy McVeigh 1995 zum verheerenden Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma inspiriert haben soll, bei dem 168 Menschen umkamen. Als habe er implizit an die Turner Diaries erinnern wollen, in denen die destabilisierende Gewalt wilder Afro-Amerikaner beschrieben wird, welche die US-Zivilisation unter einer jüdischen Okkupation in Atem halten und nur durch eine genozidale Revolution zu besiegen sind, beschwörte Donald Trump in seinem Wahlkampf gegen alle statistischen Fakten immer wieder die Unsicherheit amerikanischer Innenstädte als „schreckliche Todesfallen“ voller arbeitsloser Black Americans, wobei er diese zündelnden Andeutungen perfiderweise mit dem Versprechen verband, er werde die Black People mittels Law and Order vor sich selbst retten.

Die geheime Vorlust der Verschwörungstheoretiker

Bei einer kursorischen Zählung der größeren und kleineren Verschwörungstheorien, mit denen Trump während seiner Kampagne hantierte, kommt man schnell auf mindestens 20 derartiger Geschichten, die in den meisten Fällen irgendwie mit der Grundidee der Protokolle kompatibel sind. Mit etwas Phantasie – und Verschwörungstheoretiker haben mehr als genug davon – kann man selbst Trumps „Birther Movement“-Stories über die angebliche Fälschung von Barack Obamas Geburtsurkunde und seine Behauptung, der Kimawandel sei ein Hoax aus China mit dem Ziel, die US-Wirtschaft zu schwächen, damit in Verbindung bringen.

Wie kann all dieser Wahnsinn überhaupt funktionieren und unsere Welt, wie wir sie kennen, trotz aller vergleichbaren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts erneut derart dramatisch verändern? Die Antwort ist simpel. Verschwörungstheorien versprechen ihren Interessenten zu allererst tolle Geschichten. In seinem zitierten Interview meint Mark Fenster allerdings, Trump nutze seine Verschwörungsphantasien stets nur temporär als Aufmerksamkeits-Instrumente, indem er frei von Story zu Story springe. Kleinere Geschichten passten dabei aber bislang stets in bereits existierende, größere Narrative. Offensichtlich funktionierte dies bei den Wahlen der Vereinigten Staaten blendend: Was für aufgeklärte Beobachter nach den abstrusesten Behauptungen klingen mag, über die man nur noch lachen kann, nahmen amerikanische Verschwörungstheoretiker einmal mehr bitterernst, weil es aus ihrer Sicht im Rahmen jener ‚großen Geschichte‘, die Trump aus verschiedensten Blickwinkeln immer wieder neu aufrief, Kohärenz stiftete und im Rahmen einer revolutionären Weltanschauung Sinn ergab.

Kurz: Verschwörungstheoretiker versehen singuläre Phänomene, die ihnen suspekt erscheinen, mit großer Energie und stupendem Sammlerfleiß mit einem umfassenden interpretatorischen Rahmen, der helfen soll, sie zu einer funktionierenden Geschichte zusammenzufügen. In sich ist die dadurch von ihnen konstruierte Erzählung, die vollkommen disparate Ereignisse mit einem wahnhaft anmutenden Furor zusammensetzt, als Fiktion konsistent. Ihr Verhalten ist also nicht nur pathologisch, wie der einflussreiche US-Politikwissenschaftler Richard Hofstadter in den 1950er und 1960er Jahren noch meinte. Die Geschichten der Verschwörungstheoretiker gehorchen vielmehr ganz eigenen hermeneutischen Gesetzen – sie stehen für eine nicht enden wollende Suche nach einer finalen Interpretation, die den damit beschäftigten Deutern als Praxis zudem enormen Genuss bereitet.

Empfänglichen Wählern, die nach einer solchen für sie wohltuend anmutenden Geschichte suchen, die ihre diffuse Empörung, ihren Groll und ihren Hass auf all das kanalisiert, was aus ihrer Sicht in der Gesellschaft schiefläuft und sie in ihrer Klasse oder in ihrem rassistisch modellierten Selbsbild früherer Priviliegien beraubt, empfinden zudem zusätzliche Befriedigung, wenn sie die kleinen Teile der von Trump immer wieder nur angedeuteten größeren Verschwörungstheorien selbst zu einem für sie kohärenten Narrativ zusammensetzen können. So vermögen sie sich als Teil einer cleveren Elite zu begreifen, welche die geheimen Weltmechanismen der Unterdrückung souverän durchschauen und nun gemeinsam, unter der Führung eines furchtlosen Führers, erfolgreich zum Gegenangriff übergehen können. So funktionieren z.B. auch die Protokolle der Weisen von Zion – weltweit, bis heute.

Mit Sigmund Freud könnte man damit von einer Art Vorlust sprechen, die Trumps Wahlkampfbotschaften seinen Wählern ermöglichte. Zugleich erscheint ihnen der Populist mit seinen raunenden Geschichten als ermutigender Märtyrer, Tabubrecher und selbstloser Prophet der Wahrheit, der den „Sumpf in Washington“ trockenzulegen versprach. Die von ihm aufgerufenen Verschwörungstheorien restaurierten den Glauben an die Möglichkeit eines Master-Narrativs zu Zeiten, in denen Reflexion auf die Komplexität drängender Probleme nötig wäre. Wie gefährlich derartige Suggestionen nach Auschwitz sind, liegt auf der Hand.

Noch einmal: Donald Trump mag kein Antisemit sein. Aber er hat sich als eklektizistischer Zitator bestehender US-Ressentiments und rassistischer Lügengeschichten bewiesen. Der werdende US-Präsident gewann seine Wähler mit Hilfe von Narrativen, deren Überzeugungskraft im 20. Jahrhundert bereits mehrfach massenmörderische Antworten provozierte. Ab dem 20. Januar 2017 wird es darauf ankommen, jedem noch so klein erscheinenden weiteren Schritt in diese Richtung entschlossen entgegenzutreten und die Prinzipien der Demokratie zu verteidigen – nicht nur in Nordamerika.

Anmerkung der Redaktion: Eine kürzere Version dieses Artikels erschien in der Jungle World vom 15. Dezember 2016. Siehe hierzu außerdem auch das Videointerview, das bereits am 21. November zuerst im Deutschlandfunk publiziert wurde und danach unter anderem auch bei Spiegel.tv erschien.

Literatur:

Mark Fenster: Conspiracy Theories. Secrecy and Power in American Culture. Revised and Updated Edition. University of Minnesota Press: Minneapolis / London 2008.

Samuel Salzborn: Vom rechten Wahn. „Lügenpresse“, „Usrael“, „Die da oben“ und „Überfremdung“. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 6/2016, S. 76-96.

Jan Süselbeck: Die Außenseiter sind die Lehrer. Leo Löwenthals Konzept einer Sozialgeschichte der Literatur. In: Nicolas Berg / Dieter Burdorf (Hrsg.): ‚Textgelehrte‘ – Literaturwissenschaft und literarisches Wissen im Umkreis der Kritischen Theorie. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 2014, S. 215-231.

Tuvia Tenenbom: Allein unter Amerikanern. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag: Berlin 2016.