Eine Feier der Liebe angesichts des Todes
Leonard Cohens letztes Album „You want it darker“
Von Ralf Rättig
Leonard Cohen hat You want it darker aufgenommen im Bewusstsein des nahen Todes, im Wissen, dass es sein letztes Werk sein würde und damit etwas Endgültiges: Cohens Stimme verleiht seinen Worten das letzte Mal diese betörende Macht. Cohen hat mit diesem Album seine tiefe, lebenslange, komplexe Auseinadersetzung mit dem jüdischen Glauben auf eine Summe gebracht. Eine Auseinandersetzung, die immer wieder auch von außen an ihn herangetragen wurde, wie die beiden folgenden Episoden zeigen.
Es gibt diese Szene in der ZDF-Reihe Personenbeschreibung: Georg Stefan Troller – ein Wiener Jude, der vor den Nazis fliehen konnte, als amerikanischer Soldat Europa befreien half, in Paris mit seiner subjektiven Frageweise zum gefeierten Reporter wurde – versucht 1985, Leonard Cohen nahe zu kommen. Menschen sehr nahe zu kommen, dafür ist Troller berühmt. Cohen, der dafür berühmt ist, dass keiner ihm nahe kommt, warnt Troller, bei ihm sei in dieser Hinsicht nichts zu holen. Troller fragt: Was ist Heimat für Cohen? Hat er überhaupt eine Heimat? Cohen, ein Jude, Jahrgang 1934, weicht aus. Troller, ein Jude, Jahrgang 1921, insistiert. So lange, dass es dem Zuschauer unangenehm wird: Das Bild des „ewigen Juden“ stellt sich ein, Ahasver, der keine Heimat kennt. Ganz klar, Troller denkt an ihn, Cohen denkt an ihn, aber „der ewige Jude“? So will er nicht gesehen werden.
Es gibt diese Szene in Bird on a Wire, dem Film, den Cohen verhindern wollte: Cohens Welttournee 1972 führte ihn nach Israel. Und hier kommt Cohen an seine Grenze: Er, der behütet aufgewachsene kanadische Jude, ist überwältigt davon, vor einem ganzen Saal junger Israeli zu spielen. Er muss das Konzert abbrechen, das tun, was er tut, wenn er nicht mehr weiter weiß, zitternd vor Anspannung: Er rasiert sich („and a bitter voice in the mirror cries / hey prince you need a shave“). Die Menge singt „hewenu shalom aleichem“, wir bringen Euch den Frieden, das kann man selbst backstage hören… Cohen setzt das Konzert fort.
Vermessen, die (Gretchen-)Frage „Leonard, wie hältst Du’s mit der Religion?“ beantworten zu wollen. Cohen selbst sagte 1980 in einem Interview „I am religious in that sense, that I know the difference between grace and guilt“. Eine dieser apodiktischen Antworten, die jede Nachfrage, jedes Näherkommen verwehren, aber zugleich von einer tiefen spirituellen und persönlichen Auseinandersetzung künden: Religion ist Gnade, ist Schuld… Wenig später sollte Cohen sich in einem buddhistischen Kloster verbergen… für Jahrzehnte.
Ein Album der letzten Worte
Leonard Cohen ist gestorben, am 7. November 2016, nur drei Wochen nachdem er You want it darker veröffentlicht hat, das Album, das in jeder Zeile und jeder Note des nahen Todes gewiss ist. Das wäre wohl nur schwer erträglich, wiese das Album nicht auf die zwei tröstenden Auswege, die dem (gläubigen) Menschen gegeben sind: die Liebe zu einem Menschen und die Zwiesprache mit einem Gott. Die neun Songs, alle produziert von Cohens selbst inzwischen erfolgreichem Sohn Adam, spielen musikalisch in vertrauten Welten. Hier ruft ein griechisch anmutender Chor Erinnerungen an alte Songs hervor, dort ein vertrauter Akkordwechsel, da ein wohlbekannter 3/4-Takt. Leonard Cohen wollte dieses Album aufnehmen fast mit seinem letzten Atemzug und so baute Adam Cohen sein Studio kurzerhand in Cohens Apartment auf. Manchmal reichte Cohens Kraft nur für eine einzige Phrase, einen einzigen Refrain.
In Cohens letztem Werk hat die immer auch poetische Auseinandersetzung mit Religion noch einmal eine andere Wendung genommen: Der Titelsong You want it darker – sein wohl bester Song seit 30 Jahren, seit Hallelujah – lässt sich als direkte Zwiesprache mit Gott lesen. Ein Hadern mit der düsteren, gewalttätigen Zeit, in der wir leben müssen – und in der Religion eine so fatale Rolle spielt: „You want it darker / we kill the light“. Je nach Interpretation liegt viel Bitterkeit, aber auch Fatalismus in diesem Ausloten menschlicher Verantwortung vor Gott (und der Welt). Es ist ein Gott, dessen tatsächliche Macht in dieser düsteren Welt Cohen nicht ermessen kann: „If you are the dealer / I‘m out of the game / If you are the healer / It means I‘m broken and lame / If thine is the glory then / Mine must be the shame / You want it darker / we kill the flame“.
Aber es sind nicht nur die Zweifel, die wichtig sind: es ist ebenso die Bereitschaft sich Gott hinzugeben: „Hineni, hineni“, immer wieder wiederholt Cohen das Wort, das Abraham seinem Gott zuruft, als der ihn prüfen will (wie diese Prüfung aussieht, hat Cohen schon vor vielen Jahrzehnten besungen: Story of Isaac). „Hineni“ – Ich bin hier. Das ist es auch, was Abraham seinem Sohn zuruft, als der Angst bekommt, weil zwar das Feuer bereit ist, aber weit und breit kein Opferlamm zu sehen ist. „Hineni“ trägt beides in sich: die Bereitschaft, Opfer zu sein für den Herrn und sich damit selbst zum Täter zu machen. Um das überdeutlich zu machen, schickt Cohen dem „Hineni, hineni“ ein aufs andere Mal ein englisches „I‘m ready, my lord“ hinterher.
Ende Juli 2016 erfuhr Cohen, dass Marianne Ihlen, die Freundin aus den Tagen auf Hydra, die Frau, für die er So long, Marianne schrieb, sterben würde und schrieb ihr ein letztes Mal: „Know that I am so close behind you that if you stretch out your hand, I think you can reach mine“. Kommt man umhin, Cohens „Hineni – I‘m ready“, auch als Bereitschaft Cohens zu lesen… bereit zu sein für den Tod? Abgeschlossen zu haben mit Leben und Liebe?
You want it darker ist ein Album der letzten Worte, der Aufarbeitung. Worte des Abschieds fallen in fast jedem Song von Traveling Light („It’s au revoir“) bis Leaving the Table („I‘m out of the game“) und doch sind viele Songs erst einmal Beziehungsbeschreibungen: Menschen begegnen sich, die nicht auf dem gleichen ‚Level’ sind, der eine geht, der andere kommt: Es ist ein ziemlich gebrochener einsamer Mann, dessen Bild Cohen hervorruft, einer, der nicht wirklich im Leben steht, den nur die Liebe, das lebenslange Verlangen nach ihr wirklich werden lässt: „That’s how it would be / How my life would seem to me / If I didn‘t have your love to make it real“.
Am Ende bleibt die Liebe
In dieses existenzielle Ausloten des Ichs im Verhältnis zur Geliebten reiht sich vordergründig ein weiterer Song ein: Treaty folgt direkt auf You want it darker. Er beginnt mit biblischen Motiven: Sie macht Wasser zu Wein, das muss das Wunder der Liebe sein. Doch dann verkehrt sie den Wein wieder in Wasser und er wendet sich ab in seinem Zorn, lässt sie zum Geist werden. Die Liebe ist längst aus dem Gleichgewicht geraten: „I‘m sorry for the ghost I made you be / Only one of us was real and that was me“. Aber so sollte es nicht sein: „I wish there was a treaty, I wish there was a treaty between your love and mine“.
Cohen besingt ein Abkommen, das es nicht geben kann, ein Abkommen, das die Liebe im Gleichgewicht hält, sie schützt und dafür sorgt, dass sie nicht zu Ende geht. Um welche Liebe geht es hier eigentlich? Um menschliche? Darauf deutet alles hin, aber das noch stark nachklingende You want it darker lässt den Song auch zu einer Zwiesprache mit Gott werden. Was wenn es ein Abkommen für Gottes Liebe gäbe, wenn der Mensch sich ihrer sicher wäre? Wenn Gott sich der menschlichen Liebe sicher sein könnte?
Ein heikles Ding mit der Liebe… aber ihre Doppeldeutigkeit ist ein Motiv, das schon aus der christlichen Mystik gut vertraut ist: Ist nicht jede Liebe zu einem Menschen aufgehoben in der Liebe zu Gott? Ist nicht die bloße Existenz der Liebe schon das Zeichen für die Existenz Gottes? Wenn es darüber bloß einen Vertrag gäbe…
Treaty ist das Gegenwicht zu You want it darker – die Gräuel der Welt und der tiefe Wunsch nach Liebe. Auch wenn das Album mit You want it darker den Titel des dunkleren Songs trägt – es ist die Liebe, die das letzte Wort hat: Treaty beendet als Reprise im Streicherarrangement dieses letzte Album Cohens. Das ist es, was am Ende bleibt, nach den neun Songs von You want it darker, nach dem Tod von Leonard Cohen: Der tiefe Wunsch, aufgehoben zu sein in der Liebe:
„I wish there was a treaty we could sign / It’s over now, the water and the wine / We were broken then, but now we‘re borderline / And I wish there was a treaty, I wish there was a treaty between your love and mine“
Leonard Cohen
„You want it darker“
Smi Col (Sony Music) 2016
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz