Ein Herzstück

Nikola Müller und Isabell Rohner haben Hedwig Dohms Feuilletons der Jahre 1877-1903 zusammengestellt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicola Müller und Isabell Rohner, die Herausgeberinnen der Edition Hedwig Dohm, sehen in den Feuilletons der frühen Feministin das „Herzstück“ ihrer verlegerischen Arbeit. Inwiefern aber ist diese Einschätzung berechtigt? Eine Frage, die sich nun, wenn auch noch nicht abschließend, so doch zumindest fürs Erste beantworten lässt. Denn mit Band fünf der Edition liegen seit kurzem Dohms feuilletonistische Schriften der Jahre 1877-1903 vor. Ein zweiter Band mit den noch ausstehenden Feuilletons der Jahre 1904-1919 ist bereits in Arbeit.

Für die Recherche nach manchen der oft nur schwer auffindbaren Texte haben sich Müller und Rohner auf Reisen um den halben Globus begeben und „Archive von Warschau bis New York“ durchforstet. Schon jetzt lässt sich sagen, es hat sich gelohnt! Denn sie haben so manches wertvolle Stück ausgegraben. Einige der Texte waren bislang überhaupt nur ein einziges Mal publiziert und dann ‚ad acta gelegt‘ worden. Zahlreiche andere, ursprünglich in Periodika erschienene Arbeiten veröffentlichte Dohm zwar selbst noch ein zweites Mal in einem ihrer beiden Sammelbände Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung (1902) und Die Mütter. Ein Beitrag zur Erziehungsfrage (1903), dies aber oft in gründlich umgearbeiteter und nicht selten beträchtlich gekürzter Form.

Die vorliegende Edition bietet hingegen die ursprünglichen Versionen der in diversen Periodika erschienenen Feuilletons und Rezensionen. So lässt nicht nur die chronologische Anordnung der Texte Veränderungen und Entwicklungen in Dohms Denken, ihren Einschätzungen und Auffassungen hervortreten, sondern auch der Vergleich zwischen den hier vorliegenden Nachdrucken der Erstveröffentlichungen und deren durch Dohm selbst erfolgte Wiederveröffentlichungen in den besagten Sammelbänden. Und die Unterschiede sind teilweise durchaus signifikant. So wird etwa Ellen Key in den Erstveröffentlichungen der Texte Reaktion in der Frauenbewegung (1899) und Frauenrechtlerinnen (1900) noch der Frauenbewegung, wenn auch deren „Reaktion“ zugerechnet. In dem drei beziehungsweise vier Jahre darauf erschienenen Buch Die Antifeministen hingegen der titelstiftenden Gruppe der Antifeministen. Doch bescheinigt Dohm der schwedischen Schriftstellerin und Pädagogin nicht erst in dem Sammelband, sondern bereits im zweiten der beiden genannten Essays, das im Buch nicht mehr Frauenrechtlerinnen sondern Weib contra Weib betitelt ist, sich „die Vernichtung der Frauenrechtlerinnen“ auf die Fahnen geschrieben zu haben.

Auch Dohms 1895 erschienene Rezension von Laura Marholms Buch der Frauen wurde von ihr für den Essayband Die Antifeministen stark umgearbeitet und (nicht zuletzt um zahlreiche längere Zitate aus dem von ihr besprochenen Band) gekürzt. Dabei hat der Text gerade durch die Kürzungen durchaus gewonnen.

Andere ihrer bereits früh entwickelnden Einsichten behielt Dohm hingegen zeitlebens bei. Meistens sind es Erkenntnisse grundsätzlicher Art. So blieb sie – ähnlich wie ihre amerikanische Zeitgenossin und nur geographisch ferne feministische Mitstreiterin Charlotte Perkins Gilman – stets der Auffassung treu, dass der „Dreh- und Angelpunkt jeglicher Emanzipation von Anfang an die ökonomische Selbständigkeit der Frau bildet“, wie die Herausgeberinnen formulieren. Auch wandte sich Dohm von ihren ersten Schriften an bis ins hohe Alter hinein gegen biologistische Erklärungen und argumentierte stets antiessentialistisch. So etwa, wenn sie erklärt, „jeder Mensch“ sei „ein Produkt seiner Erziehung, bei dem das Geschlecht gar keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt“, wobei „die Anschauungen über das, was weiblich ist oder nicht, nach Zeiten und Ländern in überraschender Weise wechseln“. Die Zitate sind dem ersten Text des vorliegenden Bandes entnommen, dem Feuilleton Die Geheimrathstochter (1877).

Nicht einmal, dass die „Mutterliebe“ ein „Naturtrieb“ sei, lässt Dohm gelten. „Nicht der Naturinstinkt“ sei „der Grundpfeiler der menschlichen Mutterliebe“, sondern viel eher „das Schaffen und Wirken an dem Kinde“, erklärt sie in einem Text über Kinderrechte (1902). Dabei hält sie nicht einmal sonderlich viel von der ansonsten allseits so sehr geschätzten Mutterliebe. Die beeinflusse die Erziehung des Kindes nämlich „eher hemmend als fördernd“, da sie „der Mutter das klare, objektive Urteil über den Charakter ihrer Kinder raubt, das die Vorbedingung jedes fruchtbaren erzieherischen Wirkens sein muss“, erläutert sie in einer Anregung zur Erziehungsfrage (1900). So gelangt die streitbare Feministin zu der nicht nur damals provokanten These, „dass im Großen und Ganzen die Mütter die schlechtesten Erzieherinnen ihrer Kinder sind“ und entwirft – damals noch als „Utopie“ – ein kurzes Konzept für öffentliche Institutionen zur Kindererziehung inklusive einiger Ideen zur Architektur und Ausstattung ihrer „idealen Erziehungshäuser“.

Auch in ihrer bereits erwähnten Besprechung des Buchs der Frauen beharrt Dohm antiessentialistisch darauf, dass die „Annahme eines uniformen weiblichen Geschlechtscharakters“ ein „Fundamentalirrtum“ ist. Dabei hält sie die Frauen keineswegs für das ‚bessere‘ Geschlecht, wie in der Polemik Die Ritter der mater dolorosa (1897) deutlich wird, wenn sie auf Dr. Siegfried Placzeks Vermutung „niemand wird bezweifeln, dass das Weib mehr Mitleid und Menschenliebe hat, als der Mann“, antwortet „viele werden es bezweifeln, ich auch“ oder sie dem Mediziner versichert, „es gibt ebenso viele Faulenzer unter den Frauen wie unter den Männern.“ Darüber, dass dem Herren Frauen als das kranke Geschlecht galten, das „nur in Intervallen eines beständigen Krankseins gesund“ sei, kann man sich eigentlich nur lustig machen. Dohm wiederlegt die Scheinargumente von Ärzten wie Placzek denn auch ebenso schlagend wie einfach, so dass es geradezu lächerlich wirkt, wenn studierte Herren solch absonderliche Ansichten verfechten und ihre so offensichtlich kontrafaktischen Behauptungen aufstellen.

Nicht erst in ihrer Polemik gegen misogyne Ärzte, bereits in der Geheimratstochter brilliert Dohm mit ihrem unter FeministInnen geradezu als sprichwörtlich geltenden Sprachwitz, der auch schon einmal schwarz angehaucht sein kann. Pathetisches wiederum wird von ihr wie in Opfer der Mode (1880) sogleich selbstironisch entschärft:

Ich habe Märtyrerblut und kämpfe mit Vorliebe gegen despotische Institutionen. Am liebsten allerdings auf Gebieten, wo kein Staatsanwalt ‚wie ein Damoklesschwert‘ über mir hängt. Ein solches Gebiet ist die Mode.

Es ist dies nur eines von vielen Themen, mit denen sich Dohm befasst. Doch worauf sie ihr Augenmerk auch richtet, immer tut sie es mit dem Ziel, die Frauenrechte zu verteidigen oder sie überhaupt erst einmal zu erstreiten. In einem der anderen Texte moniert sie etwa die Themen der Schulaufsätze für Mädchen und fordert, „ein Hauptaugenmerk der Erziehung“ solle auch in der Schule „auf die Entwicklung des Verstandes – der Vernunft“ gerichtet sein. Ein wieder anderer Aufsatz gilt der Beantwortung der Frage Sind Berufstätigkeit und Mutterpflichten vereinbar? (1900). Voller Witz versucht sie den Männern weibliche Berufstätigkeit schmackhaft zu machen:

Lass o Mann, jede Frau einen Beruf ergreifen, und mit einem Schlag sind die Schwiegermütter abgeschafft, und auch alle Tanten, Großmütter und sonstige weibliche Anhängsel, die bisher den Mann pekuniär oder gemütlich genierten […] Denn eine Frau, die in einem Beruf wirkt, hat gar keinen Seelendrang, Schwiegermutter, Tante oder Großmutter zu sein. […] Und der Ehemann […] kann sich mit gutem Gewissen von der Frau trennen, die ökonomisch selbständig ist.

Man sieht bei der Lektüre Dohms Schalkhaftigkeit buchstäblich in ihren Augen blitzen. Natürlich unternimmt sie es auch, die Gegner der weiblichen Berufstätigkeit ganz ernsthaft zu widerlegen. In dem gleichen Text spricht sie allerdings auch wie selbstverständlich von „Mutter- und Hausfrauenpflichten“ und scheut den heute verfemten Ausdruck „Nurhausfrau“ nicht.

Dass natürlich auch Dohm nicht davor gefeit ist, sich gründlich zu irren, zeigt sich wiederum, wenn sie Elisabeth Förster-Nietzsche „absolute Gewissenhaftigkeit“ bescheinigt. Das ließen ihr die Zeitgenossinnen noch unwidersprochen durchgehen. Heute ist Förster-Nietzsches geradezu gewissenloser Umgang mit den Nachlasstexten ihres Bruders, wie auch mit der Wahrheit überhaupt, hingegen allgemein bekannt.

Eine andere Fehleinschätzung musste sich Dohm allerdings bereits persönlich vorhalten lassen. Zur Illustration ihrer These, Mütter taugten nicht zur Erziehung ihrer Kinder, verweist sie auf Rousseau, der „eins der epochemachendsten Bücher über Kindererziehung“ geschrieben habe – was im Übrigen nicht erst von heutigen FeministInnen bezweifelt wird – und dennoch seine fünf Kinder „ins Findelhaus gegeben“ habe, weil seine Frau zur Erziehung der Kinder untauglich gewesen sei. Hierfür wurde sie sogleich in einem Leserinnenbrief zu Recht heftig kritisiert, der, wie einige andere auch, dankenswerterweise im Anhang des vorliegenden Bandes abgedruckt ist. Die Größe Dohms zeigt sich nun in ihrer ebenfalls abgedruckten Reaktion auf die Kritik: „Meine paar beiläufigen Sätze über Rousseau gebe ich gerne preis. Sie wären besser fortgeblieben. Sie beweisen nichts.“ Die Vorwürfe eines Arztes, der sich als „treuer und wahrer Freund der Frauenbewegung“ vorstellt und zugleich die polemischen Art ihrer Auseinandersetzung mit seinen Zunftgenossen bitter beklagt, weist Dohm hingegen in einer knappen Erwiderung scharf zurück.

Die eingangs aufgeworfene Frage, ob es sich bei den Feuilletons tatsächlich um das Herzstück der Werkausgabe handelt, lässt sich natürlich auch nach der Lektüre des Bandes schon alleine deshalb nicht endgültig beantworten, weil die Edition noch nicht als Ganze vorliegt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden. Allerdings wäre zu wünschen, dass diese Bewertung von Müller und Rohner doch nicht so ganz zutreffen möge. Dies würde nämlich bedeuten, dass die noch ausstehenden Bände – mit Dohms Novellen, Komödien und Theaterstücke etwa – nicht weniger bedeutende Fundstücke enthalten werden als die Feuilletonbände. Denn auch diese Texte sind oft nur in einer einzigen Ausgabe erschienen und nicht ohne weiteres zugänglich. Oder sie gelten überhaupt als verschollen, wie etwa der Einakter Das Fräulein Don Quichotte, das Schauspiel Scirocco, das Stück Wehe dem, der nicht! oder das womöglich bislang unpublizierte Werk unbekannter Textsorte mit dem Titel Das ächte Weib. Würde es den Herausgeberinnen gelingen, das eine oder andere dieser als verloren geltenden Werke aufzufinden, würde es sich bei den Feuilletonbänden zwar nicht mehr um das Herzstück der Edition handeln, aber noch immer sehr wohl um eines ihrer Herzstücke. Denn sie würden dadurch ja nichts von ihrer eigenen Relevanz einbüßen.

Bei aller Freude über das Erscheinen des Feuilletonbandes ist abschließend allerdings auch noch eine kleine Kritik an seiner Edition vorzubringen. Es wäre schön gewesen, wenn die Herausgeberinnen nicht nur angegeben hätten, in welchen Büchern die in dem Band publizierten Text von Dohm selbst jeweils wiederveröffentlicht wurden, sondern wenn dies unter der genauen Seitenangabe, gegebenenfalls zudem unter Nennung des jeweiligen Titels der Wiederveröffentlichung in den Sammelbänden geschehen wäre. Denn diese sind keineswegs immer mit denjenigen der ersten Publikation in einem Periodikum identisch.

Diese kleine Kritik hindert aber keineswegs daran, den Kauf und die Lektüre des Bandes wärmstens zu empfehlen.

Titelbild

Hedwig Dohm: Feuilletons 1877-1903.
Herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner.
trafo verlag, Berlin 2016.
296 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-13: 9783864641374

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch