Der „Gärtner-Dichter“

Zum 100. Geburtstag von Rainer Brambach

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ein Gedicht schreiben / ohne Ballast“ – das war das erklärte Ziel des Lyrikers Rainer Brambach, der vor 100 Jahren in Basel zur Welt kam. Viel „Ballast“, sprich ein großes literarisches Werk, hat er nicht hinterlassen: rund 140 Gedichte und knapp 20 kurze Erzählungen – ein überschaubares Werk. Neben „Verstreutem“ und einigen ausgewählten Briefen erschien dieses schmale Œuvre 1989 im Diogenes-Sammelband „Heiterkeit im Garten“. Rainer Brambach war in der Literaturszene der Nachkriegszeit eine Ausnahmeerscheinung, daher findet man seinen Namen kaum oder nur beiläufig in Literaturdarstellungen. Dabei gehörte er zu den originellsten deutschsprachigen Lyrikern der 1950er- bis 1970er-Jahre.

Brambachs Weg zum Dichter war ebenso mühselig und zugleich ungewöhnlich wie sein Werk. Am 22. Januar 1917 wurde er in der Grenzstadt Basel als Sohn eines deutschen Klavierstimmers geboren. Der Vater war bereits 58 Jahre alt, sodass die Mutter mit Hauswirtschaftsarbeiten bei begüterten Familien den kärglichen Unterhalt der Familie bestritt. Nach dem Besuch der Primar- und Sekundarschule begann Brambach mit 14 Jahren eine Lehre als Flachmaler. Der Heranwachsende konnte sich jedoch nicht sonderlich dafür begeistern, sodass er dreimal davonlief. Später fasste er seine Schul- und Lehrzeit in einem frustrierten Satz zusammen: „Acht Jahre Volksschule mit anschließender (missglückter) Flachmalerlehrzeit“. Nach längerer Arbeitslosigkeit verdiente Brambach mit Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt – als Laufbursche, Landarbeiter, Möbelpacker, Torfstecher, Werbetexter und schließlich als Gärtner. Nebenbei besuchte er auch mit einigem Erfolg eine Schauspielschule.

1939 wurde Brambach als „arbeitsscheuer Herumtreiber“ auf unbestimmte Zeit aus der Schweiz ausgewiesen. Er zog nach Stuttgart, wo er kurzfristig als Fabrikmaler bei Mercedes Benz arbeitete. Da sein Pass ihn aber als deutscher Staatsbürger auswies, wurde er nach nur drei Monaten zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen. Um dem baldigen Eintritt in die Wehrmacht zu umgehen, folgte eine abenteuerliche Rückkehr. Doch bei diesem Vorhaben griff man ihn auf und er landete als Deserteur zunächst im Gefängnis und anschließend, bis Juni 1940, in einem Internierungslager. Nach 22 Monaten in Haft konnte Brambach nach Basel zurückkehren, zu seiner Freundin Gredel. Erfolgreich bemühte er sich um die Erteilung einer Toleranzbewilligung, die aber immer nur eine Gültigkeitsdauer von einem halben Jahr hatte. Außerdem war er einer ständigen Überwachung der Basler Fremdenpolizei ausgesetzt. Brambach erhielt eine Arbeitsbewilligung als Maler, jedoch nur unter der Bedingung, keinem Schweizer die Arbeit wegzunehmen. Nach einer Tätigkeit im landwirtschaftlichen Arbeitsdienst fand er schließlich ein stabiles Arbeitsverhältnis als Hilfsarbeiter bei einem Basler Gartenbauer. Diese körperliche Arbeit, die er gern verrichtete, und die Naturverbundenheit tauchen später in seinem Werk immer wieder auf, sie sind eine Besonderheit seiner Lyrik.

Nach dem Krieg, inzwischen verheiratet, war Brambach von 1947 bis 1951 Mitarbeiter im Graphischen Atelier von Rolf Rappaz. Hier entstanden seine ersten überlieferten Gedichte, die als Privatdruck „7 Gedichte“ (1947, mit Fotos von Rappaz illustriert) für einen Kunden- und Freundeskreis herausgegeben wurden. Erst später tauchten weitere Gedichte aus der Nachkriegszeit auf. In einer Ausgabe des „Merkur“ entdeckte Brambach 1950 Gedichte von Günter Eich, woraufhin er Kontakt zu dem Schriftsteller suchte. Eich unterstützte fortan seine lyrischen Anfänge, wurde fast wie ein Lektor und öffnete ihm zahlreiche Türen, unter anderem beim Rundfunk, wo Brambach bei verschiedenen Sendern seine Gedichte lesen konnte. Die Rundfunkproduktionen hatten damals im Literaturbetrieb eine wichtige Funktion. Die Freundschaft mit Günter Eich war bedeutsam für Brambach und so finden sich in seinen Gedichten aus dieser Zeit viele Einflüsse des Freundes. Doch langsam kristallisierte sich seine eigene lyrische Sprache heraus. Seine Gedichte erschienen in der Zeitschrift „Akzente“ und in diversen Anthologien (zum Beispiel in „Junge Lyrik 1956“ oder „Transit. Lyrikbuch der Jahrhundertmitte“).

Noch bevor Brambachs erster Gedichtband „Tagwerk“ (1959, Carl Hanser Verlag) erschien, wurde sein Werk schon mit Preisen gewürdigt; er erhielt den Preis der Hugo-Jakobi-Stiftung (1955) und den Preis des Kulturverbandes der deutschen Industrie (1958 zusammen mit Günter Grass). Der Debütant und Preisträger war zu dieser Zeit bereits über 40 Jahre alt. Obwohl „Tagwerk“ von der Presse in Deutschland, in der Schweiz und auch in Österreich überwiegend positiv aufgenommen wurde, verstummte Brambachs lyrische Stimme danach für einige Jahre. Zwar erschien 1961 der schmale Prosaband „Wahrnehmungen“ und in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen wurden weiterhin seine Gedichte gelegentlich abgedruckt, doch der Erwartungsdruck, möglichst jedes Jahr einen neuen Buchtitel vorzulegen, war für Brambach wohl zu groß. Außerdem bröckelte langsam sein Nimbus der „Neuentdeckung“ und es wurde für ihn immer schwieriger, seine Arbeit im Gartenbau mit der schriftstellerischen Tätigkeit zu vereinbaren.

Es ist letztlich dem Schweizer Schriftsteller Jürg Federspiel zu verdanken, dass Brambach „sein Talent nicht verkommen ließ“. Beide hatten sich schon Ende der 1950er-Jahre kennengelernt, nun konnte der 14 Jahre jüngere Federspiel Brambach für ein gemeinsames Buchprojekt gewinnen. Obwohl dieser zunächst nicht daran glaubte, dass man zusammen Gedichte schreiben könne, entstand das Bändchen „Marco Polos Koffer“, das 1968 bei Diogenes mit 20 farbigen Holzschnitten von Hans Ryf erschien.

Die kollegiale Zusammenarbeit mit Jürg Federspiel und dem Diogenes Verlag legte bei Brambach neue schöpferische Kräfte frei. So erschien bereits ein Jahr später mit „Ich fand keinen Namen dafür“ ein neuer Lyrikband. In dem Prosaband „Für sechs Tassen Kaffee und andere Geschichten“ (1972) verarbeitete Brambach zum wiederholten Mal seine Erfahrungen von Natur, Garten und der Arbeit im Freien. Nach diesen Bucherfolgen fiel er jedoch wieder in eine Schaffenskrise („Ich habe oft lange Pausen zwischendurch. Einbrüche, wo alles schwarz wird und nicht weitergeht.“), die erst durch ein weiteres Gemeinschaftsbuch mit dem Titel „Kneipenlieder“ (1974) ihr Ende fand – dieses Mal mit dem fast 30 Jahre jüngeren deutschen Schriftsteller Frank Geerk. Obwohl Brambachs „Kneipenlieder“, wobei die Urheberschaft der einzelnen Gedichte nicht eindeutig ist, nicht die Qualität seiner anderen Gedichte haben, war dieser Band sehr erfolgreich, sodass 1982 eine Neuausgabe mit Zeichnungen von Tomi Ungerer erschien.

1974 wurde Brambach in die Literaturkreditkommission Basel gewählt, was beinahe an seiner deutschen Staatsbürgerschaft scheiterte. Daher nahm er seine Einbürgerung ernsthaft in Angriff. 42 Jahre nach seinem ersten Antrag erhielt er nun die Schweizer Staatsbürgerschaft sowie das Basler Bürgerrecht. In den 1970er-Jahren war Brambach unermüdlich auf Lesereisen unterwegs, am häufigsten in der Schweiz und Deutschland, aber auch in Großbritannien. Dabei waren seine Auftritte (häufig gemeinsam mit anderen Dichtern) meist sehr gut besucht, sodass er kaum noch einer geregelten Arbeit nachging.

1977 war wieder ein erfolgreiches Jahr. Mit „Wirf eine Münze auf“ erschien bei Diogenes ein Sammelband seiner Gedichte und Brambach wurde mit dem Kunstpreis der Stadt Bern ausgezeichnet. Fünf Jahre später erhielt er gemeinsam mit dem Buchhändler und Schriftsteller Hans Werthmüller den Basler Kunstpreis. Rainer Brambach starb am 13. August 1983 und wurde auf dem Basler Zentralfriedhof Hörnli beigesetzt. Zwei Monate später erschien sein Gedichtband „Auch im April“. Die 40 Gedichte sind den vier Jahreszeiten gewidmet. Hier meldete sich noch einmal der lyrische Gärtner zu Wort:

Ein Gedicht schreiben
ohne Ballast
zum Beispiel Spätherbst
leeres Schneckenhaus Spinnweben
lautlos Fallendes
im Geflüster der Bäume.

Die Lyrik von Rainer Brambach ist von einem sinnlichen und direkten Bezug zur Natur geprägt. In seinen Gedichten, die keine reinen Naturgedichte darstellen, erschließt er neue Landschafts- und Alltagserfahrungen und entwirft eigene und unverbrauchte Naturbilder, in die er das Ich und die eigene Vergangenheit einordnet. Er betrachtet die Natur nicht von der Schreibstube aus, sondern aus der gebückten Haltung eines Gärtners. In seinen unmittelbaren Gedichten bringt er genaue Wahrnehmungen zur Sprache, die den Leser zu einem Sehenden machen. Zwischen den Zeilen verbergen sich jedoch keine verschlüsselten Geheimbotschaften, stets bleibt Brambach authentisch und schreibt (wie er selbst sagte) „mit einem Bewusstsein […], das auf menschliche Verhältnisse zielt.“

Pünktlich zum 100. Geburtstag von Rainer Brambach ist im Diogenes Verlag unter dem Titel „Ich wiege 80 Kilo, und das Leben ist mächtig“ eine erste Biografie des Dichters erschienen. Der Titel bezieht sich auf Brambachs kräftige Statur, die dahinter keinen kunstsinnigen Lyriker vermuten lässt. Die Historikerin Isabel Koellreuter und die Kulturwissenschaftlerin Franziska Schürch sichteten neben den Werksausgaben auch zahlreiche Archive. Außerdem haben sie Freunde, Bekannte und Verwandte Brambachs aufgesucht, die bereitwillig Auskunft gaben und mit ihren Erinnerungen den Dichter als Menschen greifbar machten.

Ausführlich werden Brambachs Lebensstationen geschildert, sein Ringen um Anerkennung als Dichter, der Kampf mit den Behörden oder die Beziehungen zu seinen Lebensgefährtinnen. Von Anfang an hatte der Dichter Freundschaften unterschiedlicher Prägung, durch die er auch entscheidende Förderung für sein Werk erhielt. Davon zeugt der intensive Briefwechsel mit Günter Eich, Jürg Federspiel oder Hans Bender, der mit zahlreichen Zitaten angeführt wird. Dank gründlicher Quellenstudien wird auch ein detailliertes Bild der Schweizer und deutschen Literaturgeschichte der Nachkriegszeit gezeichnet. Ein Bildteil mit persönlichen Fotos sowie ein umfangreicher Anhang komplettieren das vielschichtige Porträt. Das Weiterleben von Brambachs Lyrik in der Literatur ist jedenfalls gesichert – auch dank dieser lesenswerten Biografie, die gleichfalls ein Vermittler zu seinem Werk ist.

Titelbild

Isabel Koellreuter / Franziska Schürch: Rainer Brambach – Ich wiege 80 Kilo, und das Leben ist mächtig. Eine Biographie.
Diogenes Verlag, Zürich 2016.
272 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069785

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