Die Geisha und der Clown

In „Grüße aus Fukushima“ treffen sich zwei Frauen auf der Kinoleinwand, die unterschiedlicher nicht sein könnten

Von Nadja WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadja Weber

Eine junge Deutsche reist im Rahmen der Organisation „Clowns 4 Help“ in das verstrahlte Gebiet um Fukushima, um den Opfern der Nuklearkatastrophe Hula Hoop beizubringen. So weit, so skurril. Doris Dörries jüngster Film, der seit September 2016 auf DVD erhältlich ist, verliert nicht viele Bilder an eine langatmige Einleitung. Die Protagonistin Marie (Rosalie Thomass) wird an ihrem Hochzeitstag verlassen, versucht sich daraufhin im Wald zu erhängen und findet sich nach einem harten Schnitt unvermittelt mit zu großen Schuhen und einem geschminkten Gesicht in einer japanischen Großstadt wieder. Dort erwartet sie nicht nur ihr Clownkollege, sondern auch ein Anzugträger mit einem riesigen, plüschigen Katzenkopf auf den Schultern. Zu Beginn des Dramas fühlt sich der Zuschauer genauso überfordert wie die Hauptfigur selbst. Lässt er sich jedoch auf die Szenerie und Atmosphäre des Schwarz-Weiß-Films ein, so wird er bereits nach kurzer Zeit von einer erfreulichen Wendung und eindringlichen Aufnahmen aus der Sperrzone überrascht.

Nach dem verheerenden Unglück 2011 ist Grüße aus Fukushima bislang der erste Spielfilm, der in dieser Region gedreht wurde. Dörrie nimmt eine Vorreiterrolle ein, indem sie die verlassene Gegend mit der kargen Landschaft, den zerstörten Häusern und Säcken voller abgetragener Erde zum Drehort macht. Die Eindrücke des Originalschauplatzes werden durch Filmaufnahmen der Überschwemmungen ergänzt. Diese wurden in den Film montiert und veranschaulichen dem Publikum schnell das Ausmaß der Katastrophe. Die Protagonistin Marie erscheint vor diesem Hintergrund besonders naiv, denn sie versucht sich bei ihrer Ankunft mit einem Mundschutz oder durch das Schließen des Fensters gegen die radioaktive Strahlung zu schützen. Sie wirkt unbeholfen, labil und ist, im Gegensatz zu ihrem Kollegen, ganz und gar nicht für ihre Aufgabe in den Notunterkünften geeignet. Wirkliche Stärke zeigt die Freiwillige erst, als sie der alten Satomi (Kaori Momoi) Gesellschaft leistet, die beschließt, in die Überreste ihres früheren Familienwohnsitzes zurückzukehren. In der Abgeschiedenheit des evakuierten Dorfes sind die Frauen ganz auf sich allein gestellt und beginnen mit dem Wiederaufbau des verwüsteten Hauses.

Die Interaktion der beiden trauernden Frauen wird zum Kernstück der Handlung. Meistens schweigsam verständigen sie sich nur ab und zu in einem gebrochenen Englisch. Die eigentliche Kommunikation findet nonverbal statt. Durch ein gekonntes Zusammenspiel von Bild und Ton sowie eine eindrucksvolle schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerinnen gelingt es dem Film, auf sanfte Weise eine tiefere Botschaft zu vermitteln. Die vermeintlich tiefsinnigen Aussagen der Geisha Satomi „Missing is living with ghosts“ oder „Our life is a dream“ werden hierfür gar nicht benötigt. Viel bedeutsamer sind die Taten der Alten, die Marie einen Weg zeigen, mit den Verlusten der Vergangenheit umzugehen. „Sie lernt von dieser Frau etwas sehr, sehr Japanisches: und das ist Haltung. Haltung seinem eigenen Schmerz gegenüber“, erklärt die Regisseurin.

So wirkt das Drama nicht nur bedrückend, sondern gibt auch Aussicht auf Hoffnung und besticht durch einen Humor, der sich im Wesentlichen durch das Aufeinandertreffen zweier Kulturen auszeichnet. Grüße aus Fukushima überzeugt mit einprägsamen Bildern und berührender Musik, die teilweise ein wenig zu emotionalisierend wirkt. Fazit: Wer sich von den ersten befremdlichen Eindrücken nicht abschrecken lässt, wird mit einem sehenswerten Film belohnt, den man nicht so schnell vergisst.

Grüße aus Fukushima
Deutschland 2016
Regie & Drehbuch: Doris Dörrie
Darsteller: Rosalie Thomass, Kaori Momoi, Nami Kamata
Länge: 108 Minuten
Auf DVD erhältlich seit 8. September 2016

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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