Ist Mode queer?

Der gleichnamige Sammelband von Gertrud Lehnert und Maria Weilandt verspricht neue Perspektiven der Mode- und Queernessforschung

Von Julia BertschikRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Bertschik

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Queer Fashion Shows“, „Qwearfashion“-Blogs, der Mode-Pop-up-Store „Agender“ oder die Fotostrecke „The Gaze/ ‚& other stories‘ “ für die Modekette H & M – einen regelrechten Boom als queer ausgewiesener Mode verzeichnet der vorliegende Sammelband, welcher in der von Gertrud Lehnert herausgegebenen Reihe „Fashion Studies“ erschienen ist. Hervorgegangen aus einem Workshop am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam, stellt der Band daher erstmalig im deutschsprachigen Raum die Frage nach dem queeren Potenzial von Mode.

Geht man – und das tun eigentlich alle Beiträge – mit Lehnert davon aus, dass der Modekörper ein Geschlechtskörper ist, der kulturelle Geschlechtsmarker permanent in Szene setzt und damit heteronormative Geschlechterdifferenz(en) produziert, ausstellt und unterläuft, so ergeben sich schnell Verbindungslinien zu Vorstellungen von Queerness als Veruneindeutigung normierter Bedeutungen von Gender, Sexualität und Begehren. Seit den 1990er Jahren ist dies in Queer Theory bzw. Queer Studies formuliert worden und lässt sich um die Aspekte von Alter, Klasse, Ethnisierung, ‚Behinderung‘ ergänzen. Auch die Überschreitung der Natur-Kultur-Dichotomie und die Vereinnahmung durch bzw. die unhintergehbare Verknüpfung mit neoliberal-kapitalistischen Strukturen können als weitere Parallelen verstanden werden. So basiert Mode auf einer Kombination aus Körperlichkeit, modischen Artefakten und deren ununterbrochenem globalen Konsum; ein posthumanistisch erweitertes Konzept von Queerness sieht sich mit einer zunehmenden Instrumentalisierung im Sinne eines Freiheitlichkeit bloß suggerierenden „Pinkwashing“ konfrontiert. Darüber hinaus verbindet der Umstand, dass Mode und Queerness im Akt praktischen Handelns provisorisch und kontingent entstehen, beide Bereiche. Queer sind also, so der Tenor des Bandes, nicht einzelne Moden oder Kleidungsstücke, sondern erst der jeweilige Umgang mit ihnen.

Dazu werden 14 Fallstudien hauptsächlich aus den Bereichen Kunst und Haute Couture vorgestellt, die sich dem modischen Queering annähern und dieses umkreisen, ohne die notwendige Offenheit von Queerness definitorisch oder thematisch zu begrenzen. Dies ist sympathisch und entspricht dem zu untersuchenden Gegenstand. Es führt aber (zumindest bei der durchaus lohnenswerten Lektüre des gesamten Bandes) auch zu Überschneidungen und Wiederholungen. Denn jeder Beitrag legt aufs Neue und zumeist lobenswert skrupulös sein Verständnis von Mode und Queerness dar, wobei jedoch häufig auf die gleichen Quellen und Zitate (meist von Gertrud Lehnert, Antke Engel, Adam Geczy und Vicki Karaminas) zurückgegriffen wird. Interessant und anregend sind im beabsichtigten Sinne einer gegenseitigen Reflexion von Queerness und Mode indes alle der auf einem durchweg hohen, (selbst)kritischen Niveau argumentierenden Beiträge. Zu einem erfreulich großen Teil stammen sie von Nachwuchswissenschaftlerinnen und können hier jedoch nur ausschnitthaft vorgestellt werden.

Einige der Aufsätze thematisieren und hinterfragen explizit als „queer“ ausgewiesene Events, wie die Modeposen der „Queer Fashion Show“ namens „Verge“ 2015 im New Yorker Brooklyn Museum, die Kombination aus Fotos und „Making-Of“ der Modestrecke „The Gaze/ ‚& other stories‘“ eines Transgender-Teams für H&M im gleichen Jahr oder Kleider- und vor allem Schuhfragen (die nochmals in einem eigenen Beitrag gewürdigt werden) in der boomenden „Queer Tango“-Bewegung. Neben dem kleidermodischen Überschreiten, Annähern und Verkehren bipolarer Geschlechter-, Körper- und Rollenbilder geht es hier immer auch um deren Vermarktung wie um neuerliche Verfestigungen heteronormativer Vorstellungen. Das betrifft ebenso die Beiträge von Jana Scholz, Sonja Kull und Änne Söll über Drag-Performanzen in Kunst und Mode (von Warhol bis Gucci), Fragen nach dem ‚richtigen‘ WC-Piktogramm und dessen modischer „VerQueerung“ in der Do-it-yourself-Übermalung sowie die „Queer Manicure“-Bilderserie lackierter männlicher Fingernägel des Künstlerkollektivs „DIS“, kombiniert mit ‚männlich‘ konnotierten Gesten und behaarten Körperteilen: „DIS’ Maniküre ist also nicht ‚queer‘, sondern vielmehr eine Reflexion auf den Status von weißer, hegemonialer Männlichkeit und auf ihre Formen der ‚natürlichen‘ Körperlichkeit, die weiterhin auf Stärke, auf Wettkampf und auf körperlicher Dominanz fußt, sowie auf dem Ausschluss von Weiblichkeit und Homosexualität basiert.“ So lautet etwa das Fazit bei Söll. Besonders hervorzuheben sind daher die vier Fallstudien von Gertrud Lehnert, Katharina Rost, Charlotte Silbermann und Friedrich Weltzien, bei denen dies anders verläuft. Die hier verhandelten Körperbilder werden noch unkenntlicher, weil nicht nur Gender-Aspekte, sondern ebenso Klasse, Ethnisierung, Mensch-Tier- und Mensch-Technik-Bezüge eine Rolle spielen. So ergeben sich auch Ansätze für eine queere Modetheorie.

Groteske Modekörper in ihrer provokanten Uneindeutigkeit von Geschlecht, Identität, Sexualität, Schönheit und Hässlichkeit des Perfomancekünstlers Leigh Bowery sowie die irritierende Amalgamierung aus Federn, Geweihen, Fleisch, Holz und Metall des Modedesigners Alexander McQueen erzeugen beispielsweise eine posthumanistische Queerness aus Organischem und Anorganischem, Belebtem und Unbelebtem, Innen und Außen. Gertrud Lehnert schlägt dafür das Konzept des Kontinuums vor, um so gerade Instabilitäten wahrnehmen zu können anstatt weiterhin in Binarismen zu denken. Für Friedrich Weltzien stehen vor allem produktionsästhetische Herangehensweisen auf der Agenda einer queeren Modetheorie. Im Sinne von Foucaults Dispositivkonzept sollte sie ebenfalls Prozesse, Relationen und Beziehungsgeflechte von Macht ins Auge fassen und Queerness eher als Ad-hoc-Strategie begreifen statt den Tendenzen zur eigenen Naturalisierung als einzig angemessener Lebensweise nachzugeben. Solche Antagonismen aus eindeutigem Feindbild und Befreiung beobachtet Weltzien selbst an seinem eigenen Fallbeispiel: Die 2011 begonnene „Facial Weaponization Suite“ des Künstleraktivisten Zach Blas besteht in einer hybriden Assemblage aus Technik, Material und Körper, nämlich der amorphen Überlagerung mehrerer biometrischer Scans von queeren Personen. Sie dienen dadurch keiner individuellen Gesichtserkennung mehr, sondern sind im Gegenteil zu unlesbaren Kunststoffmasken oder maskierendem Gesichtsschmuck aus Edelstahl geworden.

Mannigfaltigkeit im buchstäblichen Sinne von Körper- und Stofffalten sowie das männliche Modeaccessoire der Fliege als „Que(e)rbinder“ stehen im Vordergrund der somit auch sprachspielerisch operierenden Untersuchungen von Charlotte Silbermann und Katharina Rost. Mit der Popsängerin Janelle Monáe stellt Rost eine „black dandizette“ vor, eine postmoderne Transformation des klassischen Dandys (über dessen queeres Potenzial in Kleidung und Habitus, als „Effeminierung“ verlacht von den zeitgenössischen Modekarikaturen, auch der Beitrag von Julia Burde informiert). Monáes lässige Verwendung des in vielfacher, tatsächlicher wie symbolischer Hinsicht querstehenden Accessoires der Fliege durchkreuze die damit verbundenen Assoziationen von ‚maskulin‘ und ‚feminin‘, ‚schwarz‘ und ‚weiß‘, ‚arbeitend‘ und ‚dandyesk‘, ‚dienend‘ und ‚herrschaftlich‘. Ein ironisches Vexierspiel aus Geschlechter-, Körper-, Mode-, Kultur- und Kunstgeschichts-Normen sieht Silbermann in den Fotoinszenierungen Wolfgang Tillmans, vor allem in seinen scheinbar unauflöslich miteinander verknoteten und ineinander gefalteten „Kugelmenschen“ der 1990er Jahre. Die Falte als ästhetische Formel irritierender Uneindeutigkeit verweise hier, im Anschluss an Foucault und Deleuze, auf ‚mannig-faltige‘ und unabschließbare Subjektivierungsprozesse.

In Verklumpung, Überlagerung und Verflüssigung von Identitäten, provisorischem Handeln, transitorischen Inszenierungen, Dysfunktionalität, prozesshaften Übergängen und paradoxen Zusammenhängen scheint daher das Potenzial queer agierender Mode zu liegen. Das unterscheidet sie von inzwischen modisch gewordener Queerness als einem Lifestyle zwar vielfältiger, aber neuerlich abgrenzbarer Label-Identitäten aus der Lesbian-, Gay-, Bisexual-, Transsexual-, Transgender-, Intersex- und Queer-Community (LGBTTIQ). Dies herauszuarbeiten, gleichzeitig aber auch immer wieder zu hinterfragen, ist das Verdienst des Bandes, der damit ebenso ein Beispiel für eine undogmatisch-queer argumentierende Wissenschaft liefert. Dazu zählt nicht zuletzt das umkämpfte Gebiet der gendersensiblen Sprachmoden, denen der abschließende Beitrag Juliane Löfflers gewidmet ist. Das Prinzip bewusst uneinheitlicher „Binnenpluralität“ (aus Gender*sternchen, Gender_Gap, Binnen-I, Pluralformen, männlicher und weiblicher Bezeichnung, ‚mensch‘ statt ‚man‘, generischem Maskulinum), das hier an vier publizistischen, sich selbst als queer bezeichnenden Magazinen ausgemacht wird, kann dabei ebenso für den eigenen Sammelband gelten: „Offenheit, Vielfalt und sogar Widersprüche innerhalb einer Publikation zuzulassen“ als (auch sprachlichem) Spiegel für eines der zentralen Parameter von Queerness.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Gertrud Lehnert / Maria Weilandt (Hg.): Ist Mode queer? Neue Perspektiven der Modeforschung.
Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
224 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783837634907

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