Die Leiden des Kostverächters
Wie zerstört Thomas Lang den Nimbus um Hermann Hesse? Durch Lächerlichkeiten!
Von Gesa Singer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseThomas Lang beschreibt eine Phase im Leben von Hermann Hesse (1907 bis 1918), in der dieser große Verkaufserfolge seiner Romane verzeichnen kann, sich aber in einer Sinn- und Schaffenskrise befindet. Seine Ehe mit der Fotografin Maria Bernoulli sowie das einfache Landleben nebst Familiengründung, das sie gemeinsam gewählt haben, erweisen sich für ihn als eine Falle, der er nur immer wieder zur Pflege seines eigenen Wohlbefindens und letztlich auf Kosten ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit entrinnen zu können scheint.
Allerdings wundert man sich, dass der Autor dem Werkkontext von Hesse so wenig Raum gegeben hat. Schaffenskrise hin oder her, irgendwann müssen sich doch die Gedanken zu Demian geformt und Vorüberlegungen zu Siddhartha (Indien-Studien etc.) stattgefunden haben. Stattdessen läuft in diesem Roman auf analytischer Ebene alles auf den Plot von Roßhalde hinaus: Scheitern der Künstlerehe wegen bürgerlicher Beschränkungen.
So sieht man den Dichter häufig lächerlich, kleinlich, linkisch und selbstzentriert dargestellt; was an sich kein Problem ist, da man ähnliche Nebeneffekte des Geistesmenschen auf der Suche nach körperliche Entgrenzung (Vegetarismus, Nudismus etc.) durchaus erwarten kann:
Hesse hat ein Buch mit altindischen Dichtungen im Handkoffer, doch er hat keine Lust zu lesen. Das Licht und die Wärme der vergangenen Wochen, die vielen nackt verbrachten Stunden, die Bäder, die tiefen und die schrägen Gespräche mit Bohemiens und Utopisten, die geballte Ladung an besserem Leben füllen ihn noch ziemlich aus. Das Fasten hat ihm gutgetan und mehr noch die Abstinenz.
Und dennoch lässt der Autor Lang den Schriftsteller Hesse Kritik an den Lebensreformern äußern: „Ein Leben, in dem sogar das Blumenpflücken als Sünde gilt, kann kein Modell für eine gebesserte Menschheit sein.“
Die endlosen Beschreibungen von Magenbeschwerden und Heilfasten sind fast ebenso langweilig wie die Zänkereien und betulichen Analysen der Eheproblematik. Komisch wirkt da höchstens, dass dem Dichter auf dem Monte Veritá, der Heilanstalt bei Ascona, wo er einige Zeit verbringt, der Geruch von geräucherter Wurst in die Nase steigt und er denkt: „Das kann bloß eine Fata Morgana sein auf dem fleischlosen Berg“. – Da schaffen auch die drei oder vier Seiten Beschreibung von Fleischeslust (in einem Roman von 373 Seiten) keinen Ausgleich; zumal alles recht leidenschaftslos und peinlich vor sich geht.
Dass Lang aber Hesse mit so platten Sätzen wie den folgenden auszudeuten versucht, geht dann doch zu weit: „Wenn eine Erzählung sich nicht entwickelt, legt er sie beiseite.“ Was doch wohl jeder vernünftige Schriftsteller tun würde. „Die geistige Leere füllt sich mit Gedanken. Sein Leben in Gaienhofen beschäftigt ihn. Der Entschluss, auf dem Land zu leben und einen Garten zu haben, ist Mia und ihm nicht schwergefallen.“
Oder, als er sich seiner verflossenen Liebe zu Elisabeth erinnert: „Er schreibt immer über das, was ihn im Innern bewegt. Warum es ihm mit dieser irrealen Liebe nicht gelingen will, bleibt ihm ein Rätsel. Womöglich fehlt ihm die Heiterkeit.“
Auch das übrige Personal bleibt nicht von Stilbrüchen und grotesken Plattheiten verschont, immerhin rennt eine Katze im Kapitel ‚Nervöse Beschwerden‘, nachdem der Hausherr Hesse sie gestreichelt hat, „mit Karacho in die Küche“. Und: „Mia kennt ihren Hermi [!] inzwischen. Er klagt oft, dass er nichts mehr zuwege bringe. Dann hat er doch wieder was fertig und liest ihr vor. Also stellte sie die Ohren auf Durchzug“.
Manche eheliche Streiterei mit Mia klingt wie bei Loriot abgeschrieben: „Später am Morgen kommt Hermi ins Schlafzimmer zurück, um selbst seine Koffer zu packen. Für die Zugfahrt hängt er einen viel zu leichten Sommeranzug raus. Mia macht eine kleine Bemerkung. Er reagiert unwirsch, sie könne ja wohl nicht von außen fühlen, wie warm oder kalt ihm sei.“
Indessen fragt man sich, ob die Magd Karline, die dauernd mit ihrer Frisur beschäftigt ist, zu einem Leitmotiv ausgebaut werden sollte: „Karline zieht sich die Klammer aus dem Haar, das blond, aber nicht blond genug ist. Sie nimmt den dunklen Draht zwischen die Lippen und fängt an, weil sie weder Kamm noch Bürste dahat, ihre Strähnen mit den Fingern zu sortieren.“ Alles Weibliche soll Verführung signalisieren.
Amüsant sind einige Einsprengsel des zeitgenössischen literarischen Diskurses auf der Ebene von Klatsch und Tratsch, inklusive der assoziationsreichen Wortschöpfung „Keller-Epigone“! Immerhin soll der Leser sich ja in Hesses Zeit wähnen. Doch dann durchbricht eine jähe Vorausschau die Beschaulichkeit, als der Verfasser von einem Apfel mit dem Namen McIntosh zu schwadronieren anfängt: „Dieser Apfel ist das Wurmloch, durch das Hesse und Ehret in einem parallelen Universum gerade in die Zukunft rauschen. Es ist der Apfel auf unseren iPhones und Notebooks“. Und immer so weiter wird der Rechercheeifer belegt und werden Überlegungen angestellt, über Timothy Leary zu Steve Jobs und so fort. – Nur fragt man sich: Wozu?
Es bleibt insgesamt der Eindruck zurück, dass der Nimbus um Hermann Hesse humoristischer hätte gebrochen werden können als durch die wiederholte Darstellung von Lächerlichkeiten.
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