Plädoyer für einen lebendigen Wissenschafts- und Literaturbetrieb

Heinrich Deterings lesenswerte Aufsatzsammlung „Die Öffentlichkeit der Literatur“

Von Kay WolfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Wolfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Untertitel einer kürzlich erschienen Aufsatzsammlung von Heinrich Detering lautet „Reden und Randnotizen“. Das klingt wie nebenbei gesprochen und belanglos, dabei haben es die zehn über einen längeren Zeitraum hinweg entstandenen Aufsätze in sich. Es geht in ihnen um Kulturpessimismus, die Rolle des Feuilletons, um ein Plädoyer für Akademien und den Wissenschaftsbetrieb, um den Nobelpreis und seine Kritiker oder auch um Kinderliteratur.

Heinrich Detering, Professor für Neuere deutsche Literatur in Göttingen, ist weithin bekannt und mit zahlreichen Meriten geschmückt, als Lyriker hervorgetreten, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, und im letzten Jahr reüssierte er zudem, vor der Zeit die Gunst der Stunde erkennend, als kluger Interpret des Werks von Bob Dylan. Dies bewies Detering insbesondere durch sein 2016 erschienenes Buch Stimmen aus der Unterwelt über „Bob Dylans Mysterienspiele“, das zeigt, wie lohnend und substanzreich bis in seine tiefsten Schichten sich das Oeuvre des Nobelpreisträgers entfaltet hat.

In seiner wenig später publizierten Textsammlung verhandelt Detering als Kenner der Materie und zugleich als Akteur des Betriebs die vielfältigen Wege der Literaturvermittlung und der zugehörigen Institutionen. Dies geschieht auf so unterhaltsame und gleichermaßen lehrreiche Weise, dass man bei diesem Unterfangen von einer Aufwertung der Gattung des Gelegenheitstexts sprechen sollte. Eindrücklich belegt Detering die Angewiesenheit der Literatur auf die, wie er es nennt, „unpoetischen Formen der Vermittlung“ – „auf Verlage und Lektoren, auf Literaturkritik und literaturwissenschaftliche Forschungseinrichtungen, auf Freiheit von Zensur“ –, und er hebt hervor, „dass schon kleine Einschränkungen solcher Vermittlungswege genügen, um diese Freiheit empfindlich zu verletzen.“ Jede Zeile Deterings zeugt von der Verteidigung dieser Freiheiten und plädiert für diese Kanäle, die selbst nicht Poesie sind, diese jedoch verbreiten und bewahren.

Detering schreibt über seine Aufsätze: „Was diese Texte verbindet, ist mit anderen Worten die Frage nach denjenigen Formen der Öffentlichkeit, die von der Literatur selbst gefordert und mitgeformt werden, vom Feuilleton bis zur Akademie, von der populären Sprachkritik bis zur Nobelpreisjury, von der Erstleseerfahrung bis zur Lektoratsarbeit.“ Um diese wechselseitige Geformtheit geht es ihm im Folgenden. Der erste Text bietet so unter dem Titel Wer hat Angst vorm Sprachverfall? Über Kulturpessimismus und Sprachkritik eine endlich einmal gelassene und insofern wohltuende Werbung für das Vertrauen, das wir in die Veränderungen unserer Sprache und ihre Selbstbewahrungskräfte legen sollten. Denn: „Nie war der Wortschatz unserer Sprache so umfangreich und differenziert wie heute, keineswegs haben die Merkmale einer bürokratischen Amtssprache überhandgenommen, fremdsprachliche Wörter wie die viel beargwöhnten Anglizismen hat das Sprachsystem des Deutschen sich ebenso selbstbewusst einverleibt und angeeignet, wie es das in früheren Jahrhunderten mit dem Lateinischen und dem Französischen getan hat.“

Jedoch mischt Detering auch kritische Töne in seine Überlegungen und weist beispielsweise in seiner Dankrede zur Verleihung des Leibniz-Preises (Antragsprosa, Freiheitsträume, Glück. Von der Freiheit des Forschens) hin auf die „vom Drittmittelzwang erzeugte, fortwährende Suche nach Themen, die möglichst viele Kolleginnen und Kollegen verbinden könnten, und deren Ergebnis nur allzu leicht nicht die dringendste Forschungsaufgabe ist, sondern der kleinste gemeinsame Nenner.“ Detering nennt hier sehr deutlich Defizite im akademischen Betrieb, die Entfesselung einer wild ins Kraut schießenden Antragsprosa und die Energieverschwendung, welche dieser Moloch geradezu hervorruft – nicht ohne freilich auf der anderen Seite das Glück zu betonen, das aus vergebenen Drittmitteln und überhaupt der universitären Arbeit auch erwachsen kann.

Zu den lesenswertesten Aufsätzen in diesem schmalen Bändchen gehören eine ausgewogene und liebevolle Erinnerung an Marcel Reich-Ranicki und dann insbesondere der Text Der Gegenleser. Lob des Lektors, in dem es heißt: „Der erste Leser meiner Gedichte ist ein Gegenleser; erst als dieser ist er mein Lektor. Nicht loben soll er mich, sondern dagegenhalten, und zwar, soweit sie einen Einlass haben, aus dem Inneren der Gedichte heraus.“ Hier wird aus langer Lektoratserfahrung der Wissenschaftler Detering zum Lyriker, der er zu großen Teile ist. Zu wünschen ist eine Fortsetzung sowohl seines lyrischem Schaffens als auch seiner Reflexionen zum Betrieb und aus dem Betrieb heraus, die wie ein frischer Wind sind, der durch die gelegentlich staubigen Kammern der Gelehrten ziehen will.

Titelbild

Heinrich Detering: Die Öffentlichkeit der Literatur. Reden und Randnotizen.
Reclam Verlag, Stuttgart 2016.
80 Seiten, 5,00 EUR.
ISBN-13: 9783150193877

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