Zwischen Widerstand und Anpassung

Tobias Zervosen erzählt vom Niedergang des Architektenberufes zu DDR-Zeiten und seiner kurzen Blüte vor dem Mauerfall

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tobias Zervosen hat sich seit seinem Studium kontinuierlich mit der Baugeschichte der DDR auseinandergesetzt, zunächst mit dem Wiederaufbau des Ostberliner Nikolaiviertels. Und auch in seiner Zeit als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Städtebau und Architektur der ETH Zürich hat er diverse Publikationen zur Architektur der DDR vorgelegt. Die Summe dieser Forschungen hat er in seiner vorliegenden Dissertation gezogen.

Hiermit bewegt er sich innerhalb eines Forschungsfeldes, das jüngst vor allem von der Bauhaus-Universität zu Dessau getragen wird und in dem Aspekte umkreist werden, die er in einer ausführlichen Gesamtschau behandelt: Darunter sind beispielsweise Monografien zu wichtigen Protagonisten wie Hermann Henselmann und Richard Paulick, die Aneignung der Nationalen Bautradition, historische Städtebauforschung sowie die Um- und Neugestaltung der Innenstädte von Leipzig, Weimar und Rostock.

Architekten in der DDR. Realität und Selbstverständnis einer Profession ist in drei Überkapitel gegliedert, die dem Zeitstrang der 40 Jahre existierenden DDR folgend den Architektenberuf in den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren beleuchten und von jeweils drei Unterkapiteln begleitet werden.

Auf die Phase des Aufbruchs in den 1950er-Jahren folgen Anpassung und Konsolidierung in den 60er- und 70er-Jahren sowie die zunehmende Erstarrung des Berufsfeldes und eine partielle Neuausrichtung in den 1980er-Jahren. Diese Ereignisse werden auf der Basis ausführlicher Quellenarbeit geschildert. Die historischen Aussagen der damaligen Akteure sind es auch in erster Linie, die den im Buch geschilderten Vorgängen – trotz der vielfach bedrückenden Inhalte – Authentizität verleihen und es zu einem wahrheitsgemäßen Abbild der gesellschaftlichen Entwicklung der DDR am Beispiel des Bauwesens werden lassen.

Bereits während der vor allem vom Optimismus der jüngeren Generation getragenen Anfänge werden am Horizont die beklemmenden Zeichen des Kommenden sichtbar: Die Ausmerzung des freien Architektenberufs und die erzwungene Anpassung der Tätigkeit der ihn Ausübenden an die Vorgaben der siegreichen sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer einheimischen Vertreter.

Diese forcierten einen monumentalen Klassizismus unter vorgeblicher Bezugnahme auf Karl Friedrich Schinkel als Protagonisten der nationalen Bautradition – von dem man jedoch gleichzeitig ein Hauptwerk wie die Bauakademie als hässlichen roten Kasten schmähte und dessen Geburtshaus in Neuruppin langsam dem Verfall entgegenging! Dagegen lehnte man die progressiven Traditionen des sozialen Bauens der 1920er- und 1930er-Jahre ab und erstickte den Widerstand der oftmals am Bauhaus sozialisierten Architekten dagegen zunehmend im Keim. Mittel zu deren zwangsweiser Anpassung an die neuen Verhältnisse waren immer stärkere Einschränkungen der Auftragsvergabe sowie der Arbeitsmöglichkeiten, die eine freie Ausübung des Architektenberufs zunehmend erschwerten und verunmöglichten, während im Gegenzug die staatlich gelenkten und kontrollierten Entwurfs- und Projektierungsbüros, Vorstufen der späteren Wohnungsbaukombinate, immer stärker gefördert wurden.

Ausführlich beleuchtet Zervosen in seinem Buch auch die ambivalente Rolle von führenden fachlichen und politischen Funktionären wie Hermann Henselmann, Kurt Liebknecht, Richard Paulick und Edmund Collien, insbesondere am Beispiel der Berliner Stalinallee.

1971 erfolgte die Machtübergabe an der Staatsspitze von Walter Ulbricht an Erich Honecker. Der von ihm forcierte Umbau der DDR-Gesellschaft hin zu einer Konsumgesellschaft drückte auch dem Bauwesen seinen Stempel auf. Der Wohnraummangel sollte durch ein groß angelegtes Wohnungsbauprogramm behoben werden. Hierfür wurde die standardisierte Wohnungsbauserie WBS 70 geschaffen, mittels derer die unterschiedlichen existierenden Plattenbausysteme vereinheitlicht werden sollten.

Unter dem Druck der Devisen- und Rohstoffkrise waren Einsparungen und Qualitätseinbußen allerorten die Folge. Unwillkürlich fühlt sich der Leser diesbezüglich an einen alten DDR-Witz erinnert: „Was passiert, wenn man in der Sahara den Sozialismus errichtet? Erst einmal ganz lange gar nichts, dann wird der Sand knapp.“ Im Wohnungsbauwesen der DDR wurde allerdings nicht (nur) der Sand, sondern vor allem der Zement knapp.

Die als Folge dieser allein auf Rationalisierung ausgerichteten Wohnungsbaupolitik entstehende Eintönigkeit und Unwirtlichkeit der Städte (Alexander Mitscherlich) rief Widerstand in der Architektenschaft hervor, auf deren Berufsbild sie einen tiefgreifenden Einfluss ausübte. An den Hochschulen nach wie vor umfassend im Prozess des Entwerfens ausgebildet, erlebten die Architekten, dass diese Fähigkeiten in der Praxis der reinen Anpassungsprojektierung kaum mehr gefragt waren und verfielen zunehmend der Resignation. Nach außen hin wurde dieser Bruch mit dem traditionellen Berufsbild des Architekten durch die Umbenennung des „Bundes Deutscher Architekten“ in den „Bund der Architekten der DDR“ deutlich, womit eine klare Absage an die Traditionen des Neuen Bauens verbunden war. Die Abwertung des künstlerischen Architektenberufs auf der einen Seite bewirkte auf der anderen Seite eine zunehmende Aufwertung des Bauingenieurberufs sowie eine Überbetonung von Aufgaben des Projektmanagements.

Im Ergebnis der zunehmend gestalterisch anspruchslosen und formal reduzierten Architekturentwürfe regte sich Gegenwehr in der Architektenschaft, die auf das schöpferische Moment ihrer Arbeit verwies, das man als kreativen Umgang mit den Gegebenheiten verstanden wissen wollte. Gleichzeitig bemühten sich Partei und Architektenschaft um ein Zusammenwirken bei der Lösung städtebaulicher Fragen auf der Ebene des Einzelprojektes, aber auch bei Ensembles. Weiterhin benutzten Architekten die wirtschaftlichen Zwänge, um ihre schöpferische Experimentierfreudigkeit unter Beweis zu stellen.

Hinzu kam, dass die verfallenden Innenstädte es unmöglich machten, wie bisher auf eine reine Stadtrandbebauung zu setzen, die darüber hinaus die gleichzeitige Entwicklung der Infrastruktur voraussetzte. Somit entwickelte man die gestalterischen Potenziale des WBS 70-Programms in Anpassung an die umliegenden historischen Bauten in den Kernbereichen der Städte weiter, was durchaus Einsparungen mit sich brachte und bald auch auf die Stadtrandbebauung ausgedehnt wurde. Hiermit erhielten die Architekten zudem die Gelegenheit, von der einseitigen Anpassungsprojektierung wegzukommen und ihr schöpferisches Potential zu entwickeln.

Einen Ausweg aus den beschriebenen Anpassungszwängen bot den Architekten ebenfalls die Tätigkeit für den VEB Denkmalpflege, für die sie allerdings als Zukunftsverhinderer geschmäht wurden. Hier stellten sie sich ganz in den Dienst ihrer Aufgabe als Erhalter des baulichen Erbes. Dem Diktum des preußischen Konservators Ferdinand von Quast von der „Armut als bestem Denkmalpfleger“ entsprechend, existierten große Teile der historischen Bausubstanz immerhin noch und waren nicht dem Flächenabriss anheimgefallen.

Mit dem geschichtspolitischen Kurswechsel der 1980er-Jahre ergaben sich zusätzliche Argumentationshilfen für den Erhalt historischer Baudenkmale und auch das Bauhaus wurde bereits seit den 1970er-Jahren wieder in den Fokus gerückt und seine Protagonisten rehabilitiert. Die gewandelte Erbediskussion machte sich auch in den Lehrplänen der Universitäten und Hochschulen sowie der daraus entstehenden Forschung bemerkbar. Wie der Autor völlig zu Recht bemerkt, ließen sich vor allem aus dem Bereich der Denkmalpflege heraus behutsame Standortveränderungen in Bezug auf Beruf und Selbstverständnis der Architekten erzielen.

Diese fand auch Eingang in die stärkere Betonung der künstlerischen Fähigkeiten des Architekten, deren Vorhandensein nunmehr auch zur Eingangsvoraussetzung für das Studium erhoben wurde und auf die bereits die schulische Kunsterziehung hinwirken sollte. Die „Berufung“ für den Architektenberuf bei gleichzeitiger politischer Loyalität bildete nach wie vor einen zentralen Punkt des professionellen Selbstverständnisses vieler Fachleute und sollte sich als Haltung im Laufe der 1980er-Jahre immer stärker im Selbstverständnis der jüngeren Architektengeneration niederschlagen.

Mit diesem optimistischen Ausblick endet eine anschauliche und zum Nachdenken anregende Studie zum Selbstbild der Architekten in einer von vielfältigen inneren und äußeren Zwängen geprägten Epoche deutscher Geschichte.

Titelbild

Tobias Zervosen: Architekten in der DDR. Realität und Selbstverständnis einer Profession.
Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
472 Seiten, 44,99 EUR.
ISBN-13: 9783837633900

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