Wie Wörter zu Geschichten werden

A.L. Kennedys Blogs und Essays über das Schreiben und ihre Erzählung „Leises Schlängeln“

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

A.L. Kennedy ist eine Planerin: Nachzulesen ist dies und vieles mehr im Band Schreiben, der Blogs und Essays umfasst und im Herbst 2016 im Hanser Verlag, Edition Akzente, auf Deutsch übersetzt von Ingo Herzke, erschienen ist. Ganz unzimperlich warnt sie vor den großen Gefahren, die ohne Planung eintreten werden:

Wenn Sie sich ohne angemessene Planung auf einen Roman einlassen, wette ich beträchtliche Summen, womöglich sogar Geld, dass Sie in einen bodenlosen Abgrund stürzen, auf dessen Grund sämtliche Probleme der Planlosigkeit über Sie herfallen werden. Ein Roman ist eine neue Welt, bevölkert und ausgestattet mit nie Dagewesenem und vielleicht gar Unmöglichem.

Deshalb sei Planung unumgänglich. Doch wie eine solche Planung auszusehen hat, dafür gibt es keine Rezepte, denn „die Methoden unterscheiden sich natürlich“. Solche Klarheit, die sich jedoch gleich wieder in eine Vielzahl von Möglichkeiten auffächert, zieht sich durch diese Sammlung von Texten über das Schreiben. Denn selbstverständlich ist A.L. Kennedy sehr viel mehr als eine Planerin, sie ist eine großartige englischsprachige Autorin, deren Bücher (Erzählungen, Romane, Essays) seit vielen Jahren zahlreiche Leserinnen und Leser begeistern. Ihre Sprache hat Kraft, was sie erzählt, geht unter die Haut. Kennedy, die 1965 in Schottland geboren wurde und heute in Essex lebt, überzeugt auch als Dramatikerin und Filmemacherin, in ihren Essays nimmt sie immer wieder Stellung zu Themen in Politik und Gesellschaft.

Im Band Schreiben erzählt A.L. Kennedy von ihrem Werdegang zur Schriftstellerin – am Anfang stand das Studium der Theaterwissenschaften, ein dreijähriger Studiengang, „der nicht theaterlastig genug war, eine Schauspielerin aus mir zu machen, aber auch nicht akademisch genug, mich irgendwie unter Druck zu setzen“. Hier begegnete sie einer Stimmexpertin, die die Teilnehmerinnen in ihrem Workshop aufforderte, drei Stunden mit dem ihnen zugewiesenen Wort zu arbeiten. A.L. Kennedys Wort war „the“. Sie gehorchte – und erfuhr dabei einiges: „Als ich den Worten meine wenn auch unbedeutende, so doch volle, auch körperliche Aufmerksamkeit schenkte, reagierten sie prompt – eine solche Unmittelbarkeit wünscht jeder Autor zu erzeugen.“ Was zu Beginn ein starres Wort war, begann zu leben, es bildeten sich zusammen mit anderen Wörtern Sätze, etwas Lebendiges wuchs. So entstehen aus Sprache Geschichten. Diese Essays und Blogeinträge über das Schreiben sind eine Fundgrube für alle, die sich mit dem Schreiben auseinandersetzen. Sie enthalten eine Fülle an Details, jedes wiederum ist reich an Anregungen, die direkt zum Nachahmen einladen – oder sie sind als Warnung zu lesen, denn auch vom Scheitern ist hier die Rede.

Wie A.L. Kennedy das umsetzt, was sie beschreibt, lässt sich zum Beispiel nachlesen in der Erzählung Leises Schlängeln, die ebenfalls im Herbst 2016 im Karl Rauch Verlag erschienen ist – im gleichen Verlag erscheint auch Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry auf Deutsch. Die Geschichte erinnert an ein Märchen, erzählt wird von der Schlange Lanmo. Die hübsche kleine Schlange entdeckt die Liebe zu Mary, einem Mädchen, das mit seinen Eltern in einer Stadt lebt, die regiert wird von eher unangenehmen Leuten. Denn sie mögen die Menschen nicht allzu sehr und lassen sie deshalb in Wohnungen leben, die trocken sind, dort wo sie nass sein sollten und umgekehrt. Mary ist etwas größer als andere Mädchen in ihrem Alter, und sie ist klug. Sie wünschte sich oft einen Bruder, da sie viel allein ist. Mary freut sich sehr, als die Schlange plötzlich auftaucht, und auch sie liebt Lanmo, nur eben nicht so, wie sie später Paul lieben wird. Lanmo behütet und beschützt sie, sie tauchte plötzlich und wie aus dem Nichts auf, oft gerade dann, wenn Mary Beistand nötig hat. Auch als Mary beginnt, vermehrt mit Paul unterwegs zu sein, verlässt Lanmo die beiden nicht, obwohl sie sichtlich mit Eifersuchtsgefühlen zu kämpfen hat. Und wie im Märchen kommt denn auch alles gut. Oder fast.

A.L. Kennedy legt eine zauberhafte Geschichte vor, leise (wie es der Titel antönt), zärtlich und immer wieder untermalt von feinem Humor. Die Planerin, die sie im Essay-Band Schreiben vorstellt, dürfte auch hier mitgewirkt haben. Doch ist es die große Kunst der Autorin, dass sie ihre Pläne beim Schreiben so umsetzt, dass im Text nichts Starres zu entdecken wäre. Vielmehr lesen wir Geschichten, die von großer Erzähllust und Freude am Umgang mit Sprache getragen sind. Für ihr überzeugendes literarisches Werk wurde A.L. Kennedy im Dezember 2016 mit dem Heine-Preis ausgezeichnet. Die Jury begründete ihre Auswahl wie folgt:

Der Heinrich-Heine-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf 2016 wird an A.L. Kennedy verliehen. Ausgezeichnet wird die Autorin für ihr eigenwilliges literarisches Werk, in dem sie die Grenzen menschlicher Seele und zugleich die des Schreibens auslotet – nie ohne Humor, abgründig und zärtlich. Ihr Blick auf politische und soziale Zustände schärft gesellschaftliche Diskussionen, etwa über den Irak-Krieg oder den Brexit. In der Tradition Heinrich Heines ist A.L. Kennedy eine große Literatin und eine streitbare Europäerin.

Titelbild

A. L. Kennedy: Leises Schlängeln. Erzählung.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Karl Rauch Verlag, Düsseldorf 2016.
112 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783792002490

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Titelbild

A. L. Kennedy: Schreiben. Blogs & Essays.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Carl Hanser Verlag, München 2016.
207 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446252844

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