Anwältinnen der Unterdrückten

Ruth Klüger wirft Licht auf das Werk Marie von Ebner-Eschenbachs

Von Veronika SchuchterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Schuchter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bändchen Marie von Ebner-Eschenbach. Anwältin der Unterdrückten ist der dritte Teil der bei mandelbaum erscheinenden Schriftenreihe „Autorinnen feiern Autorinnen“, in der die Festreden der gleichnamigen, vom Kulturreferat der Stadt Wien initiierten Veranstaltungsreihe erscheinen. Nach Marlene Streeruwitz über Bertha von Suttner und Marlen Schachinger über Betty Paoli schreibt nun also Ruth Klüger über Marie von Ebner-Eschenbach. Ziel der Veranstaltungs- und Publikationsreihe sollte es sein, so Julia Danielczyk in ihrem Vorwort, „vielfach marginalisierte Autorinnen sichtbar sowie auf deren damalige Präsenz und heutige Bedeutung aufmerksam zu machen“. Das ist ein wichtiges Anliegen, auch wenn Bertha von Suttner und Marie von Ebner-Eschenbach zu den Autorinnen zählen, denen zumindest noch etwas, über einen begrenzten wissenschaftlichen Diskurs hinausgehende Aufmerksamkeit gewidmet wird, und es ganz andere Schriftstellerinnen gibt, die es verdienen würden, aus den Untiefen des kollektiven Gedächtnisses hervorgekramt zu werden. Die Strategie ist gut gewählt: Da spricht nicht irgendjemand über weibliche Literatur, sondern Schriftstellerinnen über ihre Vorgängerinnen und damit auch Wegbereiterinnen, womit der von Virginia Woolf konstatierten Traditionslosigkeit der weiblichen Literatur etwas entgegengesetzt wird. Aber natürlich tritt Klüger hier nicht nur als Schriftstellerin auf. Sie lässt sich von der Literaturwissenschaftlerin, der Kritikerin, der Feuilletonistin nicht trennen.

Wie gewohnt ist Ruth Klügers Blick auf die Literatur unverstellt im wahrsten Sinne des Wortes. Sie lässt sich nicht ablenken, folgt keinen kanonisierten Lesarten und Interpretationsmustern, ihr Blick ist originär. Gemeinplätze findet man bei ihr nicht, egal ob sie sich mit Arthur Schnitzler, Erich Kästner oder Heinrich von Kleist auseinandersetzt, sie liefert immer eine neue, relevante und oft streitbare Perspektive. Dabei scheut sie sich auch nicht, anzuecken und schmerzhafte Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Klassiker, auch nicht die von ihr selbst verehrten, bleiben von ihrem zum Teil scharfen Urteil nicht verschont. Es gibt wenige, die sich im Bereich der Kanonkritik und -revision, auch, aber nicht nur aus feministischer Perspektive, verdienter gemacht hätten. Neben kritischen und überraschenden Interpretationen klassischer Texte ist es Klüger schon immer ein Anliegen, die Literatur von Frauen bekannt zu machen und zu würdigen, etwa in ihrer in der „Literarischen Welt“ erschienenen Kolumne „Bücher von Frauen“. Obwohl Ebner-Eschenbach mit dem unvermeidlichen Krambambuli, 1883 in den Dorf- und Schlossgeschichten erstmals veröffentlicht, zumindest in österreichischen Lehrplänen einen Stammplatz hat, hat die Grand Dame der österreichischen Literatur, wie sie gerne bezeichnet wird, das dringend notwendig. Anlässlich ihres Todestages, der sich 2016 zum 100. Mal jährte, rückte Marie von Ebner-Eschenbach wieder in den Mittelpunkt des Interesses – oder vielmehr wurde sie verdienstvoll dorthin gerückt, unter anderem durch die schon 2015 von Evelyne Polt-Heinzl, Daniela Strigl und Ulrike Tanzer bei Residenz herausgegebene, vierbändige Leseausgabe sowie durch Daniela Strigls im selben Verlag erschienene, zu Recht hochgelobte Biographie Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach.

Klüger schlägt in dieselbe Kerbe, indem sie das pejorative Bild von der sentimentalen, pädagogisierenden und provinziellen Kalendergeschichtenschreiberin einer gründlichen Revision unterzieht. Sie beginnt mit einem Zitat der Schriftstellerin Gabriele Reuter, die Ebner-Eschenbach „herablassend“ als „Dichterin der Idylle“ bezeichnet: „[Ich] stelle mit Betrübnis fest, dass auch schreibende Frauen auf weitverbreitete Vorurteile gegen andere schreibende Frauen hereinfallen können.“ Klüger zeichnet ein völlig anderes Bild, nämlich das einer unbequemen, gesellschaftskritischen Autorin und legt ihren Fokus auf die „Darstellung von Ungerechtigkeit und Unterdrückung […] und ihre Anteilnahme an den Geschädigten“, ein Blick, der sich nicht zuletzt aus Klügers eigener Biografie ergibt und den sie in ihren feuilletonistischen und literaturkritischen Arbeiten auch selbst immer wieder thematisiert. Klüger startet die Dekonstruktion des Behaglichkeit ausstrahlenden Bildes, das gerne von Ebner-Eschenbach gezeichnet wird, indem sie zeigt, dass diese durchaus zum Tabubruch neigte, etwa im Motiv der Vergewaltigung und der unerwünschten Schwangerschaft, das sich durch Ebner-Eschenbachs Literatur zieht. Mit einer sentimentalen und antiquierten „Dichterin der Idylle“ hat das wenig zu tun. Es erstaunt dann doch, dass dieser Aspekt bisher weitgehend ignoriert wurde, auch oder vielleicht gerade von der Wissenschaft. Klüger liefert nicht nur eine neue Interpretation, sie entlarvt gleichzeitig die blinden Flecken der patriarchal dominierten Rezeptionsgeschichte, ganz gemäß ihrer kontrovers diskutierten Feststellung, dass Frauen anders lesen. Klüger schafft es wie nur wenige, Texte in Hinblick auf ihr eigene Leserinnenbiografie hin zu interpretieren, ohne dadurch an Wissenschaftlichkeit zu verlieren – es ist eben nicht irrelevant, wer liest, insofern handelt es sich auch um einen sehr persönlichen Text.

Das Lektorat hätte ein wenig sorgfältiger sein können, denn es finden sich einige Satzfehler und auch das Vorwort von Julia Danielczyk ist etwas oberflächlich und unscharf geraten. Das tut der Freude, dass Ruth Klügers wunderbare Rede nun auch schriftlich vorliegt, aber keinen Abbruch. Besser hätte man es nicht treffen können: Da schreibt eine „Anwältin der Unterdrückten“ über eine andere, das ist tatsächlich eine Feier, die Lust macht, die Texte Ebner-Eschenbachs zu entdecken oder nochmals, vielleicht mit anderen Augen zu lesen.

Titelbild

Ruth Klüger: Marie von Ebner-Eschenbach. Anwältin der Unterdrückten.
Mandelbaum Verlag, Wien 2016.
72 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783854765219

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