Wie kann man literarisches und mediales Lernen und Lehren optimieren?
Zwei Einführungen für Lehramtsstudierende und Deutschlehrkräfte im Vergleich
Von Torsten Mergen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHeutige Studierende und Lehrkräfte des Faches Deutsch können seit etlichen Jahren auf eine große Fülle an hochwertigen Einführungswerken zurückgreifen, die fachlich fundiert und thematisch auf dem aktuellsten Stand in die Teilgebiete der Disziplin einführen. Für die Sprach-, Medien- und Literaturdidaktik, aber auch für die Methodik des Unterrichtsfaches Deutsch liegen mit großer Expertise verfasste Werke vor, die eine schnelle Orientierung sowie ein vertieftes Studium ermöglichen. Bisweilen führt diese komfortable Situation zu einer klagenden Grundhaltung – der Leser einerseits, die eine schwierige Auswahl zwischen vielen kompetenten Angeboten treffen müssen, der Fachwelt anderseits, die sich nach der Sinnhaftigkeit des Überangebots fragt. Eine Ursache könnte darin liegen, dass die (Deutsch-)Lehrerausbildung an vielen Hochschulen im deutschsprachigen Raum ein wesentlicher (auch quantitativer) Faktor ist, nicht zuletzt mit Blick auf die Studierendenzahlen. Dass inzwischen für die entsprechenden Studiengänge und Teildisziplinen viele Einführungen zum identischen Gegenstand respektive Themengebiet miteinander konkurrieren, zeigt Licht und Schatten moderner, modularisierter Studienorganisation. Zwei aktuelle Einführungswerke sollen im Folgenden näher betrachtet werden, die mit identischem Titel im de Gruyter beziehungsweise im Reclam Verlag erschienen sind.
2016 legten bereits in dritter, überarbeiteter Auflage Martin Leubner, Anja Saupe und Matthias Richter die Literaturdidaktik vor. Die Besonderheit des Bandes, der in den Vorauflagen in der Reihe „Akademie Studienbücher“ publiziert wurde, lässt sich bereits am Autorenkreis ablesen: Zwei universitäre Fachdidaktiker arbeiteten und arbeiten bei diesem Projekt mit einem Vertreter der zweiten Deutschlehrerausbildungsphase – Matthias Richter als Mitarbeiter des Studienseminars Celle – zusammen. Diese Kooperation bewirkt eine spezifische, durchweg praxisbezogene Konzeption der Literaturdidaktik. Die 17 Kapitel sind in fünf Abschnitte gegliedert – Ziele, Gegenstände, Verfahren: Lernprozesse gestalten, Herausforderungen, Serviceteil und Anhang. Bereits das erste Kapitel unter der Überschrift „Was ist Literaturdidaktik“ beginnt programmatisch für das Projekt mit einem Einblick ins Praxisfeld: „Aus dem Leben eines Deutschlehrers“. Darin schildert Richter Stationen seiner morgendlichen Unterrichtsarbeit und nachmittäglichen Nach- und Vorbereitung, er hebt hervor: „Durch den Arbeitsalltag hebt sich ein dichtes Netz von Besprechungen. […] Im Zuge der Umstellung von stärker inhaltsorientierten Lehrplänen auf möglichst inhaltsarme kompetenzorientierte curriculare Vorgaben soll es die Aufgabe der Fachkollegien an den Schulen sein, verbindliche Unterrichtsinhalte und Anforderungen in Leistungssituationen festzulegen.“ Dieser praxisorientierte Ansatz zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Band, der Literaturdidaktik als Arbeitsbereich versteht, der „die für den Literaturunterricht entscheidenden Faktoren“ systematisierend erforscht. Eine wichtige Größe in diesem Kontext ist die fachwissenschaftlich wie fachdidaktisch kompetente Lehrkraft, die Schülern Freude und Begeisterung im Umgang mit Texten aller Art vermittelt. Im zweiten Abschnitt des Bandes etwa offerieren die Autoren eine differenzierte Betrachtung des weiten Feldes an Texten, das zur Verfügung steht: Episches, Lyrisches, Dramatisches, Mediales sowie Kanonisiertes wird jeweils auf Ziele, Auswahlkriterien, Analysekategorien und methodische Gestaltungsweisen hin in komprimierter Art und Weise beleuchtet. Ein besonderer Fokus des Bandes liegt auf den Methoden beziehungsweise Verfahren, um Lernprozesse effektiv, nachhaltig und schülerorientiert zu gestalten, wozu nicht zuletzt ein umfangreiches Kapitel dem „Schreiben im Literaturunterricht“ gewidmet ist. An diesen Beispielen wird der Praxisbezug immer wieder deutlich, ferner am umfangreichen Serviceteil, der Hinweise auf die Konzeption von Unterrichtsentwürfen für verschiedene schulische Alltags- und Ausbildungssituationen liefert.
Hervorzuheben ist – neben dem kundigen Blick für das wesentliche fachdidaktische Handwerkszeug – das explizite Problembewusstsein der Autoren, die zum Thema „Herausforderungen“ konstatieren, „dass die Zusammensetzung unserer Gesellschaft und Schule inzwischen polykulturell ist. […] Weitere grundlegende Herausforderungen betreffen die Themen ‚Inklusion und Deutschunterricht‘ sowie ‚selbstorganisiertes Lernen‘ im Unterricht“. Hier erste systematisierte Hinweise und Konzepte im Überblick vorgestellt zu haben, ist das Verdienst der dritten Auflage des Einführungswerkes, das auch für das Selbststudium bestens geeignet ist.
Das zweite vorliegende Buch mit dem Titel Literaturdidaktik. Eine Einführung von Swantje Ehlers strebt an, „in die theoretischen Grundlagen, Gegenstände, Ziele, Aufgaben und Methoden der Literaturdidaktik einzuführen“. Während Leubner, Saupe und Richter also holistisch den gesamten Prozess der Deutschlehrertätigkeit und -ausbildung im Blick haben, intendiert die emeritierte Gießener Literaturdidaktikerin vor allem eine Einführung für Studierende, die nach sachlicher und terminologischer Systematik und Klarheit bei der Erstbegegnung mit dem Gegenstand respektive Aufgabenfeld suchen. Das zweite Kapitel des Buches bemüht sich um eine Bestimmung von Inhalten und Aufgaben der Literaturdidaktik, dabei favorisiert Ehlers einen historischen Zugang, der besonders die Anfänge und Entwicklungen des Deutschunterrichts und der Deutschdidaktik seit dem 18. Jahrhundert fokussiert. Es wird deutlich, dass die gegenwärtig intensiv diskutierte Kompetenzorientierung durchaus historisch nicht singulär ist, mit anderen Worten: „Grundlegende Fragestellungen nach Bildungszielen, Kanon, Schulbüchern […] und Methodik kehren im Laufe der Fachgeschichte wieder, stehen jedoch in unterschiedlichen Begründungszusammenhängen.“
Umfangreiche Kapitel gehen auf die Bereiche „Textverstehen, Lesen, Lesesozialisation“, „Literarische Gattungen im Literaturunterricht“ sowie „Medien im Literaturunterricht“ ein. Dabei zeigt sich, dass Ehlers einem klassischen Textverständnis folgt, da sie die literarischen Gattungen exklusiv auf Epik, Drama und Lyrik begrenzt, wobei sie ihr Vorgehen didaktisch legitimiert: „Derartige Klassifikationen sind nicht unumstritten, weil sich Gattungen historisch ändern, Texte sich nicht eindeutig einer Gattung zuordnen lassen bzw. oft mehreren Gattungen angehören und Mischformen entstehen“. Umso systematischer und stringenter betrachtet sie daher die einzelnen Gattungsaspekte hinsichtlich der Merkmale und den damit korrespondierenden unterrichtlichen Einsatzmöglichkeiten. In diesem Kontext wirft Ehlers die Frage auf, wie sich „Kanon und Literaturgeschichte“ entwickelt haben – wiederum zeigt sich die historische Orientierung dieses Einführungswerkes, das ein besonderes Augenmerk auf Kontinuität und Wandel sowie geschichtliche Begründetheit von Unterricht richtet. Diese Betrachtungsweise prägt auch den Umgang mit den Medien – sowohl klassische Printmedien als auch visuelle Druckmedien (Bilderbücher) sowie elektronische Medien werden differenziert dargestellt. In diesem Zusammenhang plädiert Ehlers für einen engen Textbegriff, da Medien „über schriftsprachliche literarische Texte hinaus eine Erweiterung des Repertoires an Deutungen von Welt und Identitätsstiftung“ zur Verfügung stellten.
Auch das Methodenkapitel bietet einen soliden Einblick in klassische wie aktuelle Diskussionen. Besonders die Ausführungen zu den „Aufgaben im Literaturunterricht“ zeigen, dass Ehlers um eine Vermittlung zwischen Tradition und Innovation bemüht ist, besonders wenn sie konstatiert: „Eine Folge der Standardisierung von Leistungen im Deutschunterricht sind eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der Konstruktion und Analyse von Aufgaben und ein Wandel der Aufgabenkultur. […] Das Ziel besteht darin, in der Bearbeitung einer Aufgabe […] den Gegenständen neue Aspekte, Kategorien und Erkenntnisse abzugewinnen“.
Zusammenfassend betrachtet zeigen die beiden aktuellen Bände zur Literaturdidaktik, warum es gegenwärtig viele Einführungswerke auf dem Markt gibt: Die Zielgruppen und Zielsetzungen sind unterschiedlich, die Konzeption kann verschieden weite beziehungsweise enge Gegenstände und Didaktik-Ansätze verfolgen, da im Unterrichtsfach Deutsch ein so großes Spektrum an scheinbar divergenten Zielvorstellungen existiert wie in kaum einem anderen Fach. Insofern konkurrieren die beiden gut lesbaren und für einen weiten Nutzerkreis konzipierten Einführungswerke nicht zwingend miteinander, vielmehr ergänzen sie sich in konstruktiver Weise. Summa summarum bestätigen sie das Bild einer prosperierenden und kreativen Deutschdidaktik, die aktuelle Trends respektive soziokulturelle Entwicklungen reflektiert und diskursiv auf empirischer Basis beleuchtet.
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